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Von TISCH zu TISCH: Reinstoff

Tomaten-Raritäten aus Gretas Garten.

Heute mal ein schwieriges Thema. Ist dieses teure Essen sein Geld eigentlich wert? Es handelt sich tendenziell um die gleiche Frage, die bei allen Luxusgütern auftaucht, Cognac, Hifi-Anlagen, Uhren. Nur beim Auto wird sie so gut wie nie gestellt, weil sich die Antwort im allgemeinen Verständnis von selbst ergibt: je teurer, desto schneller, bequemer, sicherer – das verstehen alle.

Beim Essen dagegen gilt gemeinhin die deutsche Verteidigung: „Das schmecke ich dem nicht an.“ Wer Essen nur als Nahrungszufuhr versteht und sich notfalls auch von Astronautenkost ernähren würde, der verdient unser Bedauern, nicht unsere Kritik. Wer aber wirklich Spaß am Essen hat, der wird nach Aufstieg und Verfeinerung streben. Früher hat er im Feinschmeckerrestaurant dann vor allem für sehr teure, frische Produkte bezahlt, die nach dem Stand der Technik von vielen Köchen zubereitet und von vielen Kellnern an den Tisch gebracht wurden. Heute dagegen erwartet er etwas anderes: Überraschung. Das Toprestaurant soll etwas bieten, was es sonst nirgendwo gibt, und es soll schmecken, wie es noch nirgendwo geschmeckt hat, aufwendig zubereitet aus raren, nicht unbedingt teuren Produkten.

Deshalb ist es völlig konsequent, dass Daniel Achilles im Berliner „Reinstoff“ so etwas servieren lässt: „Tomaten-Raritäten aus Gretas Garten und Bayo-Reis“. Viel passiert da gar nicht, da liegen ein paar sehr unterschiedlich zubereitete Tomatenstücke, einige leicht angebraten, drunten etwas perfekt abgepasster Reis, beim Essen drängt irgendwo ein Hauch Kreuzkümmel hervor. Das ist wunderbar, einfach wegen der aromatischen Tomaten, denen mit wenigen Zugaben eine Bühne aufgebaut wird.

Achilles, der es in wenigen Jahren zu zwei Michelin-Sternen gebracht hat, ist ständig unterwegs mit seiner Küche. Anfangs brachte er sehr viel von Juan Amador mit, bei dem er Küchenchef war, dann machte er sich auf einen eigenen Weg. Typisch für den Anfang waren separat auf flachen Tellern angerichtete Kleinigkeiten, kunstvoll, aber ein wenig theoretisch und unsinnlich. Jetzt ballen sich die Gerichte eher in der Mitte tiefer Teller – und sie sind großartig.

Der „Bergschiefer“ beispielsweise ist eine enorme Bastelei: ein echtes Stück Schiefer wurde abgeformt, dann mit Kakaobutter nachgebildet. Schwarz wie Schiefer, gefüllt mit Entenlebercreme, liegt es auf dem Teller, bringt Schmelz ohne Süße auf die Zunge und harmoniert umwerfend mit Entenleberwürfeln, Pfirsich und einem Stück Brioche. „Steinpilztrüffel“ sind kleine Kugeln mit extrem intensivem, aber nicht künstlichem Aroma, eingebettet in Steinpilzscheiben und Blätter von Zitronentagetes – Hühnerschmorsaft fügt sanfte Röstnoten hinzu.

Die sekundengenau abgepassten Filets der Meerforelle bleiben ganz diskret, gewürzt nur mit Holunderblüten, dazu gibt es Zucchini in verschiedener Form für den Biss. Ein sehr leiser Gang, der seine Funktion als ruhiger Hauptgang findet, denn vorher gab es intensiven geschmorten Rehnacken mit roten Früchten und dem Kraut Mädesüß. Zum Reinlegen: Ochsenschwanz-Curry mit Mango, bedeckt von Linsenpüree.

Hier finden sich neo-skandinavische, japanische und chinesische Einflüsse zu einer ganz persönlichen Melange zusammen, die es so nur hier und nirgendwo sonst zu essen gibt. Interessanterweise lassen sich gewisse Parallelen zu Michael Hoffmanns Arbeit im „Margaux“ feststellen, der aus einer ganz anderen Ecke zu ähnlichen Ergebnissen kommt und gegenwärtig ebenfalls in Hochform ist – aber gerade angekündigt hat, dass er sein Restaurant im nächsten Jahr schließen will.

Die Menüs „ganz nah“ mit regionalen und „weiter draußen“ mit mehr exotischen Zutaten kosten 91 Euro für fünf Gänge, maximal acht Gänge werden für 145 Euro verkauft. Dazu gibt es ein hochinteressantes, ständig aktualisiertes Sortiment spanischer und deutscher Weine und aufmerksamen, fehlerlosen Service. Das ist viel Geld für immens viel Arbeit – aber das Essen war nicht einmal so teuer wie die letzte Routineinspektion mit Ölwechsel bei meinem Auto. Gefallen hat es mir besser.

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