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Von Tisch zu Tisch: Speckers

Heidschnucke und geeiste Kokos-Lollis

Irgendwie sah es zu Jahresbeginn so gar nicht danach aus, dass sich in Potsdam kulinarisch Bedeutendes tun würde. Doch die Stadt macht sich, die Platzhirsche sind nicht mehr unangefochten, und das ist sicher auch gut so, weil Konkurrenz. . . Ach, wem sage ich das. Einer der Platzhirsche über Jahre ist Gottfried Specker, der aber in der coolen Bistro-Atmosphäre seiner zudem ungünstig gelegenen Ratswaage auf Dauer ebenso wenig glücklich wurde wie seine Gäste. Nach langem Hin und Her ist er nun in der Jägerallee sesshaft geworden, im eigenen Landhaus. Er firmiert als Patron, Tochter Tina erledigt den Service, Schwiegersohn in spe Steffen Johst kocht – alles wie bisher.

Das Küchenkonzept aber ist im Einklang mit der einfachen, etwas wohnzimmrigen Einrichtung offener geworden, stellt an den Gast geringere kulinarische (und finanzielle) Ansprüche. Doch das heißt nicht, dass Feinschmecker hier nicht auf ihre Kosten kommen würden. Im Gegenteil sieht sich die Küche eher als früher angespornt, die weitere Region zumindest in den Produkten zu berücksichtigen, und das schadet nie.

So gute leicht gebratene Heringe habe ich noch nie gegessen, ein paar Bratkartoffeln, etwas marinierte Rote Bete – voilà, eine tolle Vorspeise. Die köstliche sahnig-sanfte Gänseleberterrine mit milden Essigkirschen ist von früher geblieben, es gibt kulinarische Mauerblümchen wie die zarte, dünn aufgeschnittene Kalbszunge nebst Balsamico und kleinem Salat, und es stehen frisch überholte Klassiker wie der Zander à la française mit Möhren und Erbsen auf der Karte. Durchweg ist vor allem die Qualität der Produkte bemerkenswert, die auch bei der rustikal im Gusstopf servierten Heidschnucke mit Mittelmeergemüsen besticht. Und die Desserts halten das Niveau ohne Probleme, bei klassisch perfektem Grand-Marnier-Soufflé ebenso wie bei verspielten Modernismen wie den geeisten Kokos-Lollis. Wir sehen: Innovation ist hier nicht das Hauptthema, eher die Besinnung auf Geschmack und Region. (Hauptgerichte um 20 Euro, drei Gänge 35 Euro).

Tina Specker serviert mit ihren Mitstreiterinnen unangestrengt sachkundig, und ihre Weine hat sie aus dem alten Haus natürlich mitgebracht, eine recht umfassende Auswahl aus den klassischen europäischen Ländern zu sehr vernünftigen Preisen; mehr Weine von Stigler (Kaiserstuhl) hat vermutlich niemand in der Region. Wer dabei zu sehr hinlangt, kann sich in drei komfortablen Zimmern regenerieren, es gibt auch eine recht lauschige Terrasse nach hinten raus. Sehr zu empfehlen!

Während Potsdam kulinarisch also trotz allem Hin und Her irgendwie arriviert ist, hängt es anderswo noch sehr. Brandenburg zum Beispiel, die Stadt, die der Mark den Namen gibt, steht weiterhin traurig bröselnd in eben dieser Mark herum – aber es gibt da ausgezeichnetes Essen! „Am Humboldthain“ heißt das kleine, schmuck hergerichtete Restaurant in der Stadtmitte, angrenzend an den gleichnamigen Park. Und die Küche – Chefin: Magdalena Cupal-Schmidt – setzt die angenehmen Versprechungen der Speisekarte verblüffend gut um.

Nein, keine Sterneküche, das wäre hier zu hoch gezielt. Aber ich war dennoch baff über die Mairübchensuppe mit Gemüsetempura, den Saibling auf Radicchio und Chicoree oder den Maibockrücken in italienischem Guanciale-Speck mit Pastinakenstroh und Rhabarber. Selbst vermeintliche Banalitäten wie das Rindercarpaccio werden durch liebevolle Anrichtung und gut dosierte Würze mit Pinienkernen, Bärlauchpesto und einem adretten Blüten- und Kräutersalat voll auf Delikatessen-Niveau gestemmt (Hauptgerichte um 17, Menü 27/39 Euro). Als Dessert gibt es beispielsweise sehr gute Schokotorte mit Blutorangeneis. Die Weinkarte umfasst 70 Positionen, nichts Großes, aber sehr preiswert mit einem pauschalen Korkgeld von 12 Euro. Ja, bitte, das muss doch reichen, um da einfach mal hinzufahren, oder? (Plauer Str. 1, Brandenburg/Havel, Tel. 03381/334767, Mi-Sa ab 15, So ab 12 Uhr, www.am-humboldthain.de).

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