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Von TISCH zu TISCH: Tim Raue

Rote Garnele mit Rosenschnaps-Sauce

Jedermanns Liebling will Tim Raue nicht sein. Dafür nimmt er nach dem Bruch mit der Adlon-Collection sogar das Risiko der Selbständigkeit in Kauf, und er exponierte sich im Fernsehen als Vormann einer letzten Endes erfolglosen Casting-Kochshow. Die brachte ihm aber viel Geld und mithin den Grundstock fürs eigene Restaurant; er schwört, dies nie wieder zu tun, so lange er Gäste zu bekochen hat. Dies unterscheidet den ewig aneckenden Kreuzberger Querkopf von prominenten Kollegen, die nur noch so tun, als ob, und sich hinter wichtigtuerischen Managern verschanzen.

Auch mit der Gestaltung seines neuen Restaurants ist er schon wieder angeeckt: Dass da ein großes Gemälde ein Gebirge von Müllsäcken zeigt, missfiel einem weltberühmten Kritiker bereits heftig. Ich mag die sachliche, bei aller Schlichtheit elegante Gestaltung des Raums, der überhaupt nichts mehr von der Boaaah-Attitüde des „Ma“ hat, aber einladend und anheimelnd wirkt.

Raue, das habe ich oft genug geschrieben, kocht das interessanteste und spannendste Essen in Berlin. Die Tradition interessiert ihn nicht, er hat sich ganz dem asiatischen Einfluss verschrieben und bleibt dieser Linie auch in Kreuzberg treu. Die Molekularmode hat er an sich vorüberziehen lassen, und auch der aktuelle Trend, jeden Teller mit „Mikrotexturen“ zu verkünsteln, interessiert ihn mäßig. Und er bleibt dabei, dass es weder Brot noch kohlehydrathaltige Beilagen gibt, darüber lässt sich nach wie vor streiten, denn es fehlt auf der Zunge manchmal der mildtätige Effekt von Reis oder Nudeln. Aber ich wüsste kein Restaurant, das mich hinterher unbeschwerter wieder auf die Straße entlässt – der stilisierte Kolibri im Logo hat seinen Sinn.

Das Essen hier ist sehr teuer, das liegt am extremen Produktaufwand. Den besten Überblick bekommt der Gast mit den Menüs, die zwischen 98 und 148 Euro, mittags nur 28 bis 48 Euro kosten. Das Abend-Herbstmenü begann dieser Tage mit einer Miniatur von dünn gehobelten Petersilienwurzeln mit grüner Petersilie, einem Hauch von Zitrone, Klecksen von Petersilienmayonnaise und weißen Trüffeln – köstlich. Erster Gang des „Menu Unique“ war eine rote Garnele auf einer klaren Sauce von Rosenschnaps, aromatisch eingefriedet von ShisoKresse, Litschi, süß-saurem Ingwer und Baiser mit Pondicherry-Pfeffer, gefriergetrockneten Himbeeren und Sesam. Keine Nachmach-Chance für Hobbyköche. . .

Raue würzt durchweg diskreter als früher, balanciert noch sicherer. Alles besticht durch kräftigen Geschmack und starke Aromen, aber es fehlt die früher häufige süßliche Grundierung, und nur ab und zu blitzt die Schärfe von Jalapeno-Pfeffer oder Wasabi erfrischend durch. Saftige Seezunge mit quietschgrüner Jadesauce – da sind Jalapenos drin –, Gurkenwürfeln, Senfkörnern und Saiblingskaviar, Tonic-Hühnerkeule mit Wasabi, Zitrone und Galgant, das zart schmelzende, schräg mit der Flosse herausgeschnittene Filet von der Gelbschwanzmakrele mit Wiesengrün und saurem Gemüse – oder die geniale Neuinterpretation der Peking-Ente, bestehend aus Bruststück und Keulenragout, knuspriger Haut, Terrine und Mousse von der Entenleber sowie einer tiefgründigen Consommé aus Entenfüßen mit Innereien. Weltklasse.

Während des gesamten Menüs kam nur ein einziger Moment der Frustration auf: Als die beiden umwerfenden Hummer-Dim-Sum, die es zum Hummer mit Koriander gab, aufgegessen waren. Denn davon hätten wir gern noch einen üppigen Nachschlag gegessen. Auch die Deserts, beispielsweise eine Mousse von der Palmira-Schokolade mit Birnen und einem Kreuzkümmel-Marshmallow, hielten Kurs und Niveau. Schließlich ist jetzt auch das Weinangebot bedeutend vielfältiger und zudem günstiger kalkuliert als im „Ma“; Marie Anne-Raue und Restaurantleiter André Macionga sind aber auch mit einer maßgeschneidertenWeinbegleitung zur Hand.

Tim Raue ist wieder da, und nur noch sich selbst und seinen Gästen verantwortlich. Das tut ihm gut.

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