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Von TISCH zu TISCH: Villa Seeblick

Artischockencreme mit Räucheraal

Wann mag draußen in Brandenburg das letzte ambitionierte Restaurant eröffnet worden sein? Jeder, der sich dafür interessiert, kennt die üblichen Verdächtigen, die die Fahne der guten Küche im Umland hochhalten, seit Jahren. Und jeder kennt auch die sechs Feinde der guten Küche im Umland: Es sind die Monate Oktober, November, Dezember, Januar, Februar und März. Wenn es kalt und feucht ist, wagt sich der Berliner allenfalls bis Sanssouci, weiter mag er nicht. Und ohne die Berliner geht die Chose nicht . . .

Falkensee allerdings ist noch nicht sooo weit weg. Dort haben sich sogar leibhaftige Berliner Sterneköche mit ihren Familien angesiedelt, aber das sagt noch nichts, weil die am Sonntag vermutlich selbst kochen oder in die nächstbeste Pizzeria gehen. Aber bitte: In Falkensee steht die Villa Seeblick, und die steuert seit kurzem auf Feinschmeckerkurs. Wir reden hier nicht von der kurzen Phase der „Cucina Italiana“, die noch groß über dem Eingang versprochen wird und vermutlich zu Missverständnissen mit den Pizza-Fans geführt hat, sondern von einer weiteren Evolutionsstufe.

Wer das Restaurant nicht kennt und den pseudoantiken Trödel vor der Tür überwindet, der wird baff sein über die schlichte, lichte Eleganz des wintergartenähnlichen Gastraums mit einer riesigen goldenen Vase als Blickfang. Das Auge schweift auf den kleinen See, dann auf die Terrasse, die sofort den Sitzenwollen-Reflex auslöst. Na, später. Fürs Erste sind auch die gepolsterten Stühle drinnen ganz angenehm.

In der Küche steht Tom Petzold, der an besten Berliner Adressen gearbeitet hat und diesen Betrieb nun klar aufwärts kochen will. „Das wird hier ein Gourmettempel“, droht ein Kellner nur halb im Scherz, sicher ein gefährlicher Begriff da draußen. Sagen wir: Man kann sehr gut essen. Denn schon die ersten Häppchen verbreiten das wohlige Gefühl, an der richtigen Adresse zu sein und allenfalls Kleinigkeiten bekritteln zu können. Ja, die Weinkarte ist noch keine, sie steckt in der Italien-Phase, aber das soll sich ändern, und auch über den holprigen Service ist offenbar noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Aber sonst: Entenstopfleber, fast schon, aber eben gerade noch nicht zu stark angebraten, wunderbar im Geschmack, dazu grüne Äpfel, Apfelgelee und ein mit Rosmarin akzentuiertes Zwiebelpüree – die kulinarische Moderne hat den westlichen Berliner Stadtrand definitiv erreicht. Das hausgebeizte Rinderfilet kommt da nicht ganz heran, es schmeckt gut, aber den Rote-Bete-Scheiben und der Rettich-„Luft“ dazu fehlt es an Ausdruck.

Den hat dafür das Entenfleisch mit Pilzen, Safran und Nudelblättern umso mehr. Prima! In der schaumigen Artischockencreme schwimmt ein Stück Räucheraal, das ist ebenfalls ein gute Idee. Und auch die Hauptgänge haben das gewisse Etwas, das die Fahrt nach Falkensee von weit her legitimiert: Die bretonischen Schollenfilets sind kunstvoll hellbraun angebraten und von schöner Festigkeit, die fast an Steinbutt heranreicht, der Kohlrabi ist perfekt, nur der dünne grüne Spargel bereichert das Gericht eher optisch als kulinarisch. Rehrückenfilet schon rosa, aber doch mit Biss und Aroma, dazu Maronengnocchi und ein süß-saures Quittenkompott, es lohnt sich hier wirklich, alles zu bestellen (Menü 39–62 Euro, Hauptgänge à la carte 13–25 Euro).

Bei den Desserts fehlte noch ein wenig Schliff. Die unüblich kalten Grießknödel mit Zimt und Krokant schmeckten gut, aber ich hätte mir eine stärker kontrastierende Beigabe gewünscht als das ebenfalls recht süße Rahmeis; die ausgebackene Gewürzbirne nebst Birnenmousse kam viel besser heraus, doch hier kostete der sehr kompakte Miniatur-Streuselkuchen dazu ein paar Punkte. Nichts gegen die Idee – aber dann muss er auch ofenfrisch und saftig sein.

Ich schätze mal, das geht demnächst weiter nach oben, sofern die Gäste mitspielen und nicht nur wegen Kaffee und Kuchen hereinschauen. Nicht, dass der hier schlecht wäre. Aber vor allem die Küche hat größten Zuspruch verdient. Sie gehört zu den besten im Umland.

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