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Auf dieser Bühne werden am Samstag die ESC-Teilnehmer singen.

© dapd

Eurovision Song Contest: Bloß nicht küssen

Zum Eurovision Song Contest in Baku reisen auch schwule Fans an. Homosexuelle in Aserbaidschan betonen zwar Toleranz ihnen gegenüber im Land – die hat aber offensichtlich Grenzen.

Auf den Eurovision Song Contest freut sich Elkhan Bagirov diesmal ganz besonders. Der 36-jährige Aserbaidschaner ist seit seiner Kindheit ein begeisterter Fan. An diesem Samstag kann er das Finale zum ersten Mal in seiner Stadt verfolgen, in Baku. Doch in den Wochen vor dem Song Contest mussten er und sein Lebensgefährte viele Fragen von besorgten ESC-Fans und Journalisten beantworten. Ob es nicht gefährlich sei für die vielen homosexuellen Fans aus dem Ausland. Und wie es sich lebt in Aserbaidschan für einen Schwulen wie ihn.

Über diese Fragen kann Bagirov nur den Kopf schütteln: „Wir werden oft wie das hinterletzte Land behandelt und mit dem Iran verglichen. Aber wir sind ein tolerantes Land.“ In Aserbaidschan sei die Situation für Schwule und Lesben besser als in Russland, wo ein Gesetz weltweit Schlagzeilen machte, das „Propaganda für Homosexualität“ unter Strafe stellt. „Hier gibt es auch keine Babuschkas mit Kreuzen, die gegen Schwule zu Felde ziehen.“ Aserbaidschan ist ein säkulares muslimisches Land, in dem überwiegend Schiiten leben.

Sehen Sie hier, wer beim Song Contest alles antritt:

Bagirov, der einen Schönheitssalon in Baku führt, lebt schon lange offen schwul. Auf der Straße habe ihn noch nie jemand angegriffen, sagt er. Wer durch Baku geht, begegnet oft Männern, die den Arm um einen Freund gelegt haben oder Hand in Hand gehen. Ein alltägliches Bild, bei dem in Aserbaidschan niemand auf die Idee käme, es könne um mehr gehen als um Freundschaft. Diese Tradition komme auch den Schwulen in Baku zugute, sagt Bagirov lächelnd: „Wenn wir uns an der Hand halten, fällt das gar nicht auf.“

Bildergalerie: Aserbaidschan vor dem European Song Contest in Baku:

Allerdings würde er auf offener Straße einen Mann nicht küssen. So weit geht die Toleranz in Aserbaidschan doch nicht. Dass schwulen Fans aus dem Ausland etwas passieren könnte in Baku, glaubt er nicht. Das Auswärtige Amt in Berlin hat seine Sicherheitshinweise für Aserbaidschan vor kurzem entschärft und einen Passus zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei auf Schwule entfernt. Ali Hasanonov, Berater des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev, betont ebenfalls die Toleranz in Baku – und mahnt zugleich, die Gäste müssten auch die Kultur des Landes berücksichtigen.

Große Probleme gibt es für Aserbaidschans Homosexuelle nach wie vor in der Familie, besonders in den ländlichen Regionen. Oft reagieren die Väter mit Gewalt auf das Coming-out, die Betroffenen werden von der Familie verstoßen oder zu einer Heirat gezwungen. Ein 17-Jähriger sei kürzlich geschlagen und zu Hause rausgeworfen worden, berichtet Kamran Rzayev, Leiter der Hilfsorganisation Gender and Development in Baku und Bagirovs Lebensgefährte. Auch Diskriminierung am Arbeitsplatz gebe es durchaus. Daher sei ein echtes Coming-out eher selten, sagt Rzayev. Aber auch er betont: „Aserbaidschan ist kein schwulenfeindliches Land.“

So war der Song Contest im vergangenen Jahr in Deutschland:

Allerdings zeigt schon die Gründung seiner Organisation, wie groß die Ressentiments gegen Schwule wohl auch bei den Behörden sind. Denn es ist kein Zufall, dass sie den neutralen Namen Gender and Development trägt: „Eine offen schwullesbische Organisation wäre gar nicht erst registriert worden“, sagt Rzayev. Seine Organisation sei keineswegs politisch. „Wir wollen nur den Leuten helfen, sich selbst zu verwirklichen.“ In dem autoritär regierten Land halten sich die Homosexuellen mit politischen Forderungen zurück. Man könne das Land nicht mit dem Westen und dessen langer demokratischer Tradition vergleichen, sagt Rzayev. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“ An Gleichstellungsgesetze etwa sei noch gar nicht zu denken. Auch andere Minderheiten in Aserbaidschan äußern sich nicht politisch oder zeigen demonstrativ ihre Loyalität mit der Staatsmacht.

Vor dem ESC war in Aserbaidschan und im Ausland diskutiert worden, ob es eine Schwulenparade in Baku geben könnte. Der Iran, der das säkulare Nachbarland ohnehin kritisch beäugt, hatte sogar damit Stimmung gegen den ESC gemacht und vor der angeblich gottlosen Veranstaltung gewarnt. Aktivisten im Westen sahen hingegen die Möglichkeit, mit einer Parade auf die Situation der Homosexuellen im Land aufmerksam zu machen. Doch von einer Schwulenparade in Baku halten Rzayev und Bagirov nichts: „Wir sind dafür noch nicht bereit.“

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