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Polizei in Alarmbereitschaft. Thatcher-Gegner wie hier in Brixton feiern ihren Tod und bereiten sich auf die Beerdigung vor.

© AFP

Gespaltenes Großbritannien: Margaret Thatcher - das alte Lied von der Hexe

Die Briten nehmen den Tod der Eisernen Lady zum Anlass, die Spaltung des Landes noch einmal neu zu inszenieren. Anhänger und Gegner formieren sich. Der Song „Ding Dong The Witch is Dead“ liegt auf Platz eins der Charts.

Einen Sieg haben Margaret Thatchers Gegner am Ende doch noch errungen. „Ding Dong The Witch is Dead“ – Judy Garlands Song aus dem Film „The Wizard of Oz“ hat die Download-Charts im Königreich gestürmt und steht auf Platz eins. Eine von Ella Fitzgerald gesungene Version steht bereits auf Platz vier. Nach dem Tod der Eisernen Lady hatten ihre Gegner über Facebook zum massenhaften Download aufgefordert, um mit dem ersten Platz in den Charts zu zeigen, wie viele sie sind.

Das fröhliche Lied soll den Jubel begleiten, mit dem sich die einst von Thatcher zerschlagene britische Linke nun an ihrem Tod stärken will. „Ich poliere meine Tanzschuhe für die Beerdigung“, freut sich die Lehrerin Sue Avenell. Sie ist schon im Rentenalter und erinnert sich an die großen Kämpfe der achtziger Jahre, die Proteste gegen den Falklandkrieg, den langen Kampf der Bergarbeiter gegen die Schließung ihrer Zechen. Andere sind jünger, wie der 28-jährige Ray Thornton, der bei einer der ersten „Totenfeiern“ in Brixton der „Opfer des Thatcherismus“ gedachte. Vom Chaos der siebziger Jahre, dem Niedergang Großbritanniens, den politischen Erpressungen der sozialistischen Gewerkschaften damals weiß er allenfalls aus Büchern etwas. „Thatcherismus ist nicht tot und es ist wichtig, dass die Leute auf die Straße gehen und der Regierung nicht erlauben, Thatchers Gedächtnis weißzuwaschen.“

Fußballspieler weigern sich, eine Trauerminute einzulegen. Die Kosten der Beerdigung von zehn Millionen Pfund werden debattiert. Warum soll die Öffentlichkeit ausgerechnet die Kosten der Beisetzung für eine Premierministerin tragen, die sonst alles privatisiert hat? Labour-Abgeordnete schimpfen, Premier Cameron nutze den Tod Thatchers für Eigenpropaganda. Aber mit diesen Debatten kämpfen Briten nicht so sehr um das Gedenken an diese Politikerin, sondern vielmehr um ihre eigene Sicht auf ihr Land, seine Geschichte und seine Zukunft.

Eine Stunde nachdem der Tod Thatchers bekannt wurde, fotografierte eine Fotografin für die „Daily Mail“ eine Delegation gut gekleideter Büroangestellter in Anzug und Krawatte, die zum Haus Thatchers am Chester Square zog, um Blumen niederzulegen, Man sieht ihnen an, dass sie stolz auf ihre Leistung und auf ihr Geld sind. Nur zwei Frauen sind dabei. Ein Blumenmeer wie beim Tode Prinzessin Dianas ist es nicht, aber immer noch werden an dem schwarzen Eisenzaun Blumen, britische Flaggen, Karten mit Danksagungen abgelegt. Auf einer steht: „Für eine große Führerin, die eine Generation veränderte und Britannien wieder groß machte. In Liebe. Rosemary“.

Umstritten ist Thatcher, weil sie den Konsens über Bord warf, der die alten Regeln der britischen Gesellschaft und nicht zuletzt ihren Klassencharakter steuerte, das, wenigstens im nostalgischen Rückblick, harmonische Nebeneinander von Aristokraten und Arbeiterklasse. Mit ihrer unsentimentalen Leistungsideologie war Thatcher für beide Seiten eine Herausforderung. Für sie war nicht soziale Abkunft, nicht einmal das Geschlecht entscheidend für den Erfolg eines Menschen, sondern Leistungsbereitschaft, Fleiß, Selbstverantwortung. Dies, nicht die Entfesselung der Marktkräfte, ist der Kern von Thatchers Philosophie. Mit ihr verärgerte sie Gewerkschaftsführer mit ihrem sozialistischen Kollektivismus ebenso wie paternalistische Konservative der Oberklasse, die gerne noch länger schützend die Hand über die Arbeiterklasse gehalten und dafür gesorgt hätten, dass die Arbeitersiedlungen im Norden und die pastoralen Landschaften des feudalen Englands weiter säuberlich getrennt nebeneinander existierten. Aber solche Nostalgie war nicht Thatchers Sache.

Sie hat das alte, schrullige, konservative England zerstört

Auch die Anhänger formieren sich. Blumen vor ihrem Haus im Stadtteil Belgravia.
Auch die Anhänger formieren sich. Blumen vor ihrem Haus im Stadtteil Belgravia.

© AFP

Sie habe damals Kommunen zerschlagen, Landstriche verwüstet, den Menschen ihre Arbeit und ihren Stolz genommen, argumentiert die Linke. „Ich wünschte, Thatcher wäre nie geboren“, sagte Derek Hatton, einst als Vizechef des berüchtigten Stadtrats von Liverpool Aushängeschild der „loony left“ oder „Irren-Linken“, die damals in der britischen Politik herumgeisterte und von der sich Labour unter dem Druck der Thatcher’schen Politik mühsam distanzierte, um als „New Labour“ zu einer sozialdemokratischen Volkspartei zu werden. Auch dies ist Thatchers Vermächtnis, weshalb sie von der harten Linken fast so sehr gehasst wird wie Tony Blair. Niemand wurde von der Huldigungsdebatte am Mittwochabend im Unterhaus mehr in die Bredouille gebracht als Labourchef Ed Miliband. Er forderte seine Abgeordneten vor der Debatte nicht nur zu zahlreichem Erscheinen, sondern auch zu Respekt auf. „Ed Miliband verurteilt kategorisch jeden Jubel über den Tod von Lady Thatcher“, erinnerte die Parteiführung. Thatcher sei eine „riesige Figur in der britischen Politik und auf der Weltbühne“ gewesen.

Auch die Ex-Frau des damaligen Bergarbeiterführers Arthur Scargill meldet sich zu Wort. „Thatcher war keine Frau, sie war das Böse. Sie wollte die Gewerkschaften zerschlagen und hat damit das Land zerstört.“ Scargill selbst, Thatchers großer Gegner, meldet sich dagegen nicht zu Wort. Nüchterne Analysen schieben seiner extremen Militanz und Unnachgiebigkeit, nicht Thatcher, die Schuld am Debakel dieses Streiks in die Schuhe. „Scargill wollte, dass keine Zeche geschlossen wird, bevor das letzte Kohlenflöz abgeräumt war. Wie hätte das gehen sollen“, fragte sich Tory-Minister Ken Clarke in einer der unzähligen Thatcher-Debatten in der BBC.

„Die selbstsüchtige Linke, nicht Thatcher, hat uns gespalten“, argumentiert Kolumnist Daniel Finkelstein in der „Times“. Er erinnert an die 35-prozentige Lohnerhöhung, mit der erpresserische Bergarbeiter Thatchers Vorgänger, den konservativen Ted Heath, in die Knie zwangen. Auch der Tod des irischen IRA-Hungerstreikenden Bobby Sands sei nicht Thatchers Schuld gewesen. Sands habe sich zu Tode gehungert, um Thatcher zu erpressen, erinnert Finkelstein und widerspricht nüchtern der These von Thatchers Schuld an der Spaltung: „In den 20 Jahren nach Thatcher war Großbritannien ein weniger uneiniges Land als in den 20 Jahren davor“.

„Thatcher verstand, dass wir mit der Welt nicht nur den Wettbewerb aufnehmen mussten, sondern dass wir das auch konnten“, schreibt Elizabeth Truss, eine der neuen konservativen Abgeordneten, die sich heute offen und stolz als „Thatchers Kinder“ bezeichnen. Thatcher, das ist die Bilanz, weigerte sich, den Status quo eines schrulligen, altmodischen England zu akzeptieren, das mit seinem Widerschein verblichenen imperialen Glanzes und den alten Feudalstrukturen Stoff ungezählter Filme ist und bis heute auch Deutschlands Englandbild prägt. Thatcher bedeutete das alles nichts. Weil sie es zerschlug und Großbritannien, auf Gedeih oder Verderb, in eine neue Zeit zwang, hat sie heute so viele Feinde.

Die Beerdigung am Mittwoch nächster Woche wird den Meinungskampf um Thatcher auf die größte Probe stellen. „Operation True Blue“ nennt die Polizei ihre Vorbereitungen. Die Angst vor Krawallen ist groß. Die Queen, die für die Einheit der Briten und ihr Selbstverständnis steht, wird der fast gleichaltrigen Verstorbenen die letzte Ehre erweisen, die für dieses Selbstverständnis der Briten die größte Herausforderung war – zum Guten und zum Schlechten.

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