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Gesundheit: Der afrikanische Traum

Ist die Technische Universität Berlin ein Modell für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern?

Havva Engins Bildungsbiografie begann mit einer Katastrophe. Sie kam in eine dieser Ausländerklassen, in denen Gastarbeiterkinder in ihren Muttersprachen unterrichtet wurden. Havva war schnell Klassenbeste – und wurde in eine deutsche Regelklasse versetzt. Ohne ein Wort Deutsch zu können, kam sie in die Dritte. Plötzlich war sie „die Doofe“. Nicht lange, denn in einem halben Jahr lernte sie Deutsch. Heute lehrt die promovierte Erziehungswissenschaftlerin an der Technischen Universität und entwickelt in ihrer Habilitation ein Konzept für Schulen in sozialen Brennpunkten. Eine deutschtürkische Musterkarriere in Berlin, die auch möglich wurde durch die Aufstiegschancen, die die TU gerade Migranten und Ausländern bietet.

Mit fast 6000 Studierenden aus über 130 Ländern hat die TU unter den deutschen Unis den höchsten Anteil ausländischer Studierender. Der „gefühlte“ Ausländeranteil im Foyer an der Straße des 17. Juni, einem geschäftigen Basar für Treffen zwischen den Vorlesungen, ist weitaus höher als die offiziellen 20 Prozent. Denn viele der asiatisch, orientalisch oder afrikanisch aussehenden Studenten sind keine Ausländer, sondern „Bildungsinländer“: Kinder ehemaliger Gastarbeiter und Flüchtlinge, die in Berlin zur Schule gegangen sind und einen deutschen Pass haben – wie Havva Engin.

„Den Kindern zeigen, dass man in dieser Gesellschaft durch Bildung aufsteigen kann“: Das müsse heute die Schule leisten, sagt Engin. Dabei setzt sie auch auf ihre Lehramts-Studentinnen, die in türkischen Familien geboren wurden. Havva Engin kämpft dafür, dass sie auch eingestellt werden. Und sorgt sich um die Kopftuchträgerinnen. Einige „sehr gute zukünftige Lehrerinnen“ – und bestimmt keine Islamistinnen, wie Engin versichert – hätten jetzt aus Angst vor einem Kopftuchverbot den Studiengang gewechselt. Jahrelang hat man sie mit Kopftuch studieren lassen, und jetzt das böse Erwachen?

Die Technische Universität zieht die Grenzen der Toleranz gerade gegenüber ihren Studenten muslimischen Glaubens traditionell sehr weit – und ist mehrfach darüber gestolpert: Anfang dieses Jahres wurde eine Hochschulgruppe geschlossen. Sie hatte gemeinsam mit einer islamistischen Organisation zu einer Veranstaltung zum „neuen Irakkrieg“ eingeladen, auf der antisemitische Positionen vertreten wurden. Das Verbot der Organisation durch Innenminister Schily wurde dann vom Imam im Freitagsgebet an der TU kritisiert. Eine Moschee an der Uni? Ja, in einer Turnhalle im Altbau treffen sich jeden Freitagmittag die gläubigen Muslime zum Gebet – und so soll es auch bleiben. TU-Präsident Kurt Kutzler erteilte dem Vorbeter allerdings die Auflage, künftig von politischen Äußerungen abzusehen. „Den Gebetsraum gibt es seit dreißig Jahren, und er steht für unser Entgegenkommen gegenüber ausländischen Studenten“, sagt TU-Sprecherin Kristina Zerges. Ein bewährtes Modell also, das durch kleine Irritationen nicht in Frage gestellt wird.

Ist der Campus der Technischen Universität vielleicht ein Modell für das Zusammenleben von Menschen verschiedenster ethnischer und sozialer Herkunft? Ein Modell für Berlin, wo ein hoher Ausländeranteil in einem Wohngebiet zwangsläufig zum Synonym für den „sozialen Brennpunkt“ wird? Wer sich im Foyer des TU-Hauptgebäudes umschaut, hat das Gefühl, auf einem Marktplatz des fairen multikulturellen Austausches zu stehen: Ein afrikanischer Student geht mit einer polnischen Kommilitonin einen Kaffee trinken, vor dem Fahrstuhl tauscht sich eine deutsch-arabisch-asiatische Gruppe über die anstehende Mathe-Vorlesung aus. Aber es gibt auch homogene Gruppen, in denen man nur türkisch oder chinesisch spricht – oder deutsch. „Ich habe an der Uni keine Erfahrung mit Diskriminierung gemacht“, sagt Eduard Toukam Pouma, ein Student des Wirtschaftsingenieurwesens aus Kamerun. Aber einige deutsche Studenten seien doch „sehr verunsichert, wie sie mit einem Afrikaner umgehen sollen“. Und die blieben dann lieber unter sich.

Andreas, Harm und Luise, Wirtschaftsstudenten im fünften Semester, bilden so eine deutsche Insel im Foyer. Internationale TU? Mit dem Stichwort können sie erstmal gar nichts anfangen. „Mit irgendwelchen Austauschstudenten haben wir nichts zu tun“, sagt die 21-jährige Luise. Der 22-jährige Harm sagt: „Man sieht sie nur im Foyer.“ Dann erinnern sich die drei Freunde doch an Berührungspunkte: an den chinesischen Analysis-Tutor, der nicht erklären konnte, und an den Kameruner im Computerraum, der so schlecht Deutsch sprach.

„Cambridge ist internationaler“, sagt Lucienne Blessing, aus Holland stammende Professorin für Konstruktionstechnik und Entwicklungsmethodik. Die für Internationales zuständige Vizepräsidentin kritisiert, dass die TU bislang nur bei der Zahl der ausländischen Studenten und wissenschaftlichen Hilfskräfte ganz vorne liege. Die Forschergruppen seien, anders als an international führenden Universitäten, fast durchgehend deutsch. Blessing will jetzt mit Doktorandenprogrammen für ausländische Absolventen „Topleute für die Forschung gewinnen“.

Eduard Toukam Pouma macht im Mai Diplom und strebt eine Karriere „im Management eines multinationalen Konzerns“ an. Dass nichteuropäische Gaststudenten nach ihrem Abschluss das Land verlassen müssen, selbst wenn ein deutsches Unternehmen sie einstellen will, sei schade, sagt Toukam Pouma – für Deutschland. „Man hat hier eine gute Ausbildung bekommen und erhält keine Chance, auch etwas für die deutsche Gesellschaft zu leisten.“

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