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Gesundheit: Eiertanz am Südpol

Für ihren Nachwuchs gehen Kaiserpinguine an ihre Grenzen: Bei Eiseskälte wandern und hungern sie wochenlang

Schemenhaft taucht eine dunkle Masse aus dem mit mehr als zweihundert Stundenkilometern tobenden Schneesturm auf. Tausende von Pinguinen trotzen der bitteren Kälte von bis minus vierzig Grad Celsius. Eng drücken sich die bis zu 115 Zentimeter großen, dick gepolsterten Körper auf dem Eis aneinander, bis auf einem Quadratmeter zehn Tiere stehen.

So geht die wenige, durch das Federkleid dringende Körperwärme nicht in der eisigen Kälte verloren, sondern heizt den Nachbarn ein wenig. Schritt für Schritt tappen die Vögel vorwärts. Dabei lösen die Tiere im Zentrum diejenigen am Rande der Gruppe regelmäßig ab. So können sich auch diese in der Mitte ein wenig vor dem eisigen Sturm schützen.

Solche Geschichten, wie sie auch der französische Verhaltensbiologe Luc Jacquet in seinem demnächst anlaufenden Dokumentarfilm „Die Reise der Pinguine“ thematisiert, spielen in der Antarktis. Dort leisten jedes Jahr rund 400000 Kaiserpinguine in mehr als 40 Kolonien den grimmigen Schneestürmen Widerstand und kämpfen um das Überleben des Nachwuchses.

Ab Ende Februar wackeln die Tiere in einem mehrwöchigen Gewaltmarsch über das ewige Eis. Pro Stunde legen sie nur etwa einen halben Kilometer zurück. Denn eher als fürs Marschieren taugen ihre kurzen Beine dazu, die Torpedo-ähnlichen Körper durch das Meer zu katapultieren. Dies konnte der Kieler Polarbiologe Boris Culik gemeinsam mit Rory Wilson, Universität im britischen Cardiff, bei Studien im Wasserkanal zeigen.

Der Rastplatz am Ende des langen Marsches ist durch Felswände auf der einen und Eisberge auf der anderen Seite ein wenig vor den tobenden Winden geschützt. Weniger Wind bedeutet geringeren Wärmeverlust; die Pinguine benötigen weniger Energie. Das ist überlebenswichtig, schließlich müssen die Tiere etliche Monate ohne die gewohnte Nahrung aus Krill, das sind Kleinkrebse, Leuchtsardinen und Tintenfische, auskommen.

Nach zwei Wochen mühevollen Fußmarsches beginnt die Partnersuche. Hat sich ein Paar gefunden, tanzen die beiden mitten in der Kolonie miteinander. Plötzlich bleiben sie stehen und starren den Partner minutenlang an. „Kann ich mich wirklich auf dich verlassen, bist du bestimmt pünktlich?“, solche Fragen könnten in ihrem Blick liegen. Ohne diese beiden Eigenschaften gibt es nämlich keine Hoffnung auf lebensfähigen Nachwuchs.

Doch erst einmal kommen die Flitterwochen, in denen die Pinguine tatsächlich nur von Luft und Liebe leben – und natürlich von den Fettvorräten, die sie sich im Meer zwischen Dezember und Februar angefressen haben. Ende Mai hat das Weibchen bereits ein Drittel seines Körpergewichtes von dreißig Kilo verloren. Nun wird es Zeit für den Nachwuchs. Im Stehen legt das Weibchen ein Ei, balanciert es vorsichtig auf den Füßen und wärmt es in einer geräumigen Falte im Bauch.

Zum Brüten reichen die Energievorräte aber nicht mehr. Die Entwicklung des Eis hat zu viel Kraft gekostet. Die Männchen sind da besser dran. Sie wiegen fünf oder zehn Kilogramm mehr als die Weibchen und ihre Fettvorräte sind noch halb gefüllt. Nun lässt das Weibchen das Ei vorsichtig auf das Packeis rollen, der Partner hievt es vorsichtig mit dem Schnabel auf seine Füße. Das darf nicht schief gehen, denn das zerbrechliche Ei wäre bereits nach wenigen Sekunden außerhalb der Bauchfalte erfroren.

Hat die Übergabe geklappt, singt das Weibchen noch einmal. Schließlich sollen Partner und Nachwuchs sie bei der Rückkehr nach zwei Monaten an der Stimme erkennen. Nach entbehrungsreichem Gewaltmarsch finden die ausgehungerten Tiere am Rand des Eises oder an einer großen Lücke im Packeis einen reichlich gedeckten Tisch vor.

Zwar droht Gefahr von hungrigen Seeleoparden, aber die Pinguine sind bis in fünfhundert Meter Tiefe in ihrem Element. Indem sie wie ein Torpedo aus dem Wasser schießen und bäuchlings auf dem Eis landen, können sie meist entkommen. Schon nach wenigen Wochen sind die Fettpolster aufgefüllt, im Kropf lagern weitere drei oder vier Kilo Nahrung für den Nachwuchs. Die Zeit drängt, das Küken wird bald schlüpfen.

Nun bohrt sich plötzlich ein Schnabel durch die Schale. Der um 15 Kilo abgemagerte Vater schafft es, ein wenig Nahrungssekret aus dem Schlund zu würgen und das Küken vorm Verhungern zu bewahren. Auf Dauer hat der Nachwuchs aber nur eine Chance, wenn die Mutter pünktlich zurückkommt. Wenn sie dann erscheint, erkennen sich die Partner schon nach zwei Zehntel Sekunden am Gesang, wie der französische Forscher Pierre Jouventin gemessen hat.

Von der Mutter bekommt das Junge die erste richtige Mahlzeit. Jetzt sind die Männchen dran, in Richtung Meer und Krill zu wackeln, die Weibchen wärmen in der Zwischenzeit den Nachwuchs. So beginnt ein richtiger Pendelverkehr: Einer holt Nachschub, der andere kümmert sich um das Küken. Diese haben im Polarsommer, kurz vor Weihnachten, schon die Größe der Eltern erreicht. Zehn bis fünfzehn Kilo wiegt jetzt der Nachwuchs, der nach vier Jahren zum ersten Mal aufbricht. Zum langen Marsch in die tobenden Stürme der Antarktis, um selber Nachwuchs zu bekommen.

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