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Gesundheit: Kampf der Begriffe

„Islam-Faschismus“: politische Parole oder historisch korrekte Zuschreibung? Eine Umfrage

Die verhinderten Terroranschläge von London seien „eine starke Erinnerung, dass wir eine Nation sind, die sich im Krieg mit den Islam-Faschisten befindet“, erklärte George W. Bush. Es war nicht das erste Mal, dass der US-Präsident den Begriff „Islam-Faschisten“ benutzte, um die Gefährlichkeit des Islamismus zu charakterisieren. Bushs Äußerung löst jetzt jedoch eine neuerliche Debatte über einen Begriff aus, der nach dem 11. September 2001 geprägt wurde. Damals hatte der konservative US-Publizist Daniel Pipes, Direktor des Think Tanks „Middle East Forum“ Bush aufgefordert, einen Namen für den Feind zu finden. Bush, der den Begriff seit 2005 häufiger benutzt, wolle trotz massiver Kritik vor allem von muslimischer Seite daran festhalten, erklärte jetzt ein Sprecher. Der Präsident werde in Zukunft weniger vom „Krieg gegen den Terrorismus“ und mehr vom „Krieg gegen islamische Faschisten“ sprechen.

Befürworter des Begriffs – eine disparate Allianz arabischer, jüdischer und angloamerikanischer konservativer und auch liberaler Intellektueller – führen eine Reihe starker Argumente an: die totalitäre Grundausrichtung des Islamismus; die Ideologie, nach der die Zugehörigkeit zu einer überlegenen Gemeinschaft rechtfertige, das eigene Leben zu opfern; die Ablehnung der als dekadent geltenden westlichen Lebensweise; der Vernichtungswillen – und ein militanter Antisemitismus. Historisch wird auf die Nähe der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft, der Väter des radikalen Islamismus, zur nationalsozialistischen Ideologie verwiesen. So sollen sie sich bei antijüdischen Boykottaufrufen am deutschen Vorbild orientiert haben.

Gegen den Begriff Islam-Faschismus hat sich zuletzt auch Daniel Pipes ausgesprochen. Der Faschismus glorifiziere den Staat, betone rassische Reinheit, plädiere für den Sozialdarwinismus und lehne organisierte Religion ab – alles im Gegensatz zum Islamismus. Der radikale Islam habe historisch und philosophisch vielmehr Verbindungen mit dem Marxismus-Leninismus.

Der Tagesspiegel hat deutsche Wissenschaftler gefragt, was sie von dem Begriff halten.

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Michael Wolffsohn, Historiker an der Universität der Bundeswehr, München: US-Präsident Bush hat recht! Ihm recht zu geben, ist weltweit (mit Ausnahme Israels) rufschädigend und bei Intellektuellen nahezu selbstmörderisch. Dennoch hat Bush recht, weil die Geschichte ihm recht gibt. „Islam-Faschismus“ ist die operative Allianz von Nationalsozialismus und anderen Faschismen mit militanten Islamismen. Einige historische Beispiele: Italiens „Duce“, der Urfaschist Mussolini, nutzte sie während der 1930er Jahre im politisch-militärischen Ringen um die Gunst der arabisch-islamischen Welt gegen Großbritannien. Noch mehr Hitler. Seit 1939 suchte er die Zusammenarbeit mit dem militanten Islam, zum Beispiel mit dem Großmufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, dem geistig-geistlichen Vater der palästinensischen Nationalbewegung. Dieser half, wo er konnte, auch beim Holocaust. Die Feindschaft gegen „die“ Juden und den Westen, damals besonders Großbritannien, verband Islam und Faschismen. Im Mai 1941 versuchten arabische und islamische Kräfte eine antibritische Revolution im Irak. Dabei wurden auch Juden massakriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden zahlreiche „alte Kämpfer“ Hitlers, darunter Massenmörder, Unterschlupf in der arabisch-islamischen Welt. Die rechtsterroristische „Wehrsportgruppe Hoffmann“ trainierte dort in den 80er Jahren und traf dabei die linksterroristische RAF. Und in diesen Tagen sind sich Rechtsextremisten und Islamisten einig im Kampf gegen „die“ Juden.

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Ulrike Freitag, Islamwissenschaftlerin und Leiterin des Berliner Zentrums Moderner Orient: Als diffamierender Kampfbegriff verfehlt der „Islam-Faschismus“ seine Wirkung nicht. Als solchen akzeptiert ihn sogar der Generaldirektor des moderaten Satellitensenders Al Arabiya, Abd al Rahman al Rashid, der sich öffentlich gegen islamistische Gewalt ausspricht. Anders sieht es aus, fragt man nach dem Aussagewert des Begriffs. Wenn man strukturelle Merkmale abgleicht, lassen sich sowohl signifikante Unterschiede zwischen Islamismus und Faschismus als auch Gemeinsamkeiten entdecken. Eine zentrale Differenz liegt in der Tatsache, dass der Begründer der Muslimbrüder 1939, als er faschistoider Tendenzen beschuldigt wurde, den chauvinistischen Nationalismus der Deutschen und Italiener abgelehnt hat. Wer den Begriff „Faschismus“ auf islamistische Terroristen ausweitet, würde seine Prägnanz erheblich mindern.

Gleichzeitig, und dies ist mindestens ebenso problematisch, verschleiert der Begriff die Vielfalt islamistischer Bewegungen. Abu Mussab al Sarkawi hätte sich verwundert die Augen gerieben, mit Muktada al Sadr, dem Anführer schiitischer Milizen im Irak, in einem Atemzug genannt zu werden, hatte er doch zum Kampf gegen die Schiiten aufgerufen. Die sunnitische Hamas und die schiitische Hisbollah mögen strategische Allianzen eingehen, ihre Hauptausrichtungen unterscheiden sich sowohl politisch als auch religiös. „Islam-Faschismus“ ignoriert solche zur Analyse und Bekämpfung islamistischer Bewegungen notwendigen Differenzierungen und lädt zu vielfältigen Missverständnissen ein.

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Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität: Man sieht dem Begriff zu sehr an, welchen Zweck er hat. Es dominiert die politische Werbestrategie, der Begriff ist analytisch nicht gedeckt. Wer ihn benutzt, will die Gefährlichkeit des Islamismus betonen, die in westlichen liberalen Gesellschaften tendenziell unterschätzt wird. Der Begriff „Faschismus“ soll an 1933 und die von kaum jemandem vorausgesehenen Folgen erinnern. Dabei ist bemerkenswert, dass das Vergleichs- und Übertragungsverbot im Fall des Nationalsozialismus für den Faschismus nicht zu gelten scheint.

Wie problematisch es ist, mit der Faschismuskeule zu arbeiten, hat die westdeutsche Linke schon in den späten 60er und frühen 70er Jahren erfahren. Es ist sicherlich richtig, dass der Faschismus in schroffer Abwendung gegen eine bürgerliche Werthaltung heroische Werte kultiviert hat. Aber das ist kein spezifisches Merkmal des Faschismus, sondern betrifft generell den Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wenn man den Faschismusbegriff ernst nimmt, ging es dabei darum, in südeuropäischen Gesellschaften – Italien und Spanien – gegen eine plurale Gesellschaft den starken Staat und krude Gemeinschaftsvorstellungen durchzusetzen. Genau diese Orientierung am starken Staat fehlt den überstaatlichen und staatsdestruierenden Strukturen des islamistischen Terrorismus. Insofern glaube ich, dass der Begriff mehr Verwirrung als Klarheit schafft.

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Werner Schiffauer, Ethnologe an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder): Man kann selbstverständlich Parallelen herstellen zwischen Islamismus und Faschismus, aber genauso gut könnte man die Analogie zu sozialistischen oder kommunistischen Bewegungen sehen: Antikolonialismus, Widerstand gegen Kulturimperialismus, die Suche nach einem dritten Weg. Historisch haben die islamistischen Bewegungen das Erbe der kommunistischen Bewegungen angetreten. In Palästina stellt die Hamas die PLO in den Schatten, auch in Algerien und Ägypten gibt es ähnliche Tendenzen. Leute, die sich früher sozialistisch engagiert haben, sind jetzt in islamistischen Gruppen. Am ehesten könnte man jedoch von totalitaristischen Tendenzen im Islamismus sprechen. Aber ich zögere, den Iran als totalitaristisches System zu bezeichnen, bei allen Problemen, die es gibt. Im Iran herrscht weiterhin, wenn auch eingeschränkt, Pressefreiheit, das Parlament ist aus freien Wahlen hervorgegangen.

Islam-Faschismus ist ein politischer Kampfbegriff, der eine differenzierte Sicht erschwert. Auch in Bezug auf problematische Bewegungen müssen wir dazu kommen, sie aus sich selbst heraus zu verstehen. Das heiß nicht, sie zu entschuldigen, sondern sie genauer und differenzierter zu analysieren.

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