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Gesundheit: Kultur und Schock

Asien und Osteuropa werden bei Austauschschülern immer beliebter – eine gute Gastfamilie hilft beim Einleben in der Fremde

Einmal um die halbe Welt reiste Julia Brekenfeld in ihr neues Zuhause, und dann begrüßten sie zuallererst deutsche Hoheitssymbole. Auf den Straßen von Padang, Indonesien, wehten mehr schwarz-rot-goldene Fahnen, als sie jemals in ihrer Heimatstadt Berlin auf einem Fleck zu sehen bekäme. „Die können doch nicht lauter deutsche Flaggen hier hängen haben“, dachte die 18-Jährige irritiert. Womit sie völlig recht hatte: Denn sie kam am indonesischen Unabhängigkeitstag in dem südostasiatischen Land an. Die Fahnen grüßten nicht die neue deutsche Austauschschülerin, sondern standen für Minang-Kabau, den wichtigsten Kulturkreis der Region Westsumatra, deren Hauptort Padang ist.

Wie Julia machen jedes Jahr rund 13 000 junge Deutsche während eines Auslandsaufenthaltes die Erfahrung, dass das beliebte Schlagwort „Andere Länder, andere Sitten“ bereits für Kleinigkeiten wie die Fahnenfarben gilt. Größere Umstellungen warten oft im Klassenraum: Beim morgendlichen Singen der Nationalhymne kontrollierten Julias Lehrer, ob ihre Schüler die Schuhe ordentlich geschnürt und das Hemd in die Hose gestopft haben. Jungs mit zu langen Haaren und Mädchen mit ungekürzten Fingernägeln erregten ebenfalls das Missfallen der Lehrkraft und durften zwecks Nachbesserung des Äußeren nach Hause gehen.

Trotzdem wählen immer mehr Jugendliche ein weit entferntes Land zum Austausch, was sowohl die geografische als auch die kulturelle Distanz angeht. Von den 900 Austauschschülern, die die Organisation AFS im nächsten Jahr ins Ausland schickt, fahren knapp 300 nach Latein- und Südamerika – etwa 15 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Auch Japan, Thailand und China vermelden starke Zuwächse, das Reich der Mitte sogar trotz Sars-Krise.

Osteuropäische Länder gehören ebenfalls zu den exotischen Zielen, selbst wenn dorthin eine Zugfahrt völlig ausreicht: Das nächste Schuljahr verbringen bei AFS viermal so viele Schüler in Polen, Russland oder Bulgarien wie im Jahr 2001.

Um den Kulturschock in der Fremde nicht zu groß werden zu lassen, sollte ein Schulaufenthalt im Ausland gut geplant sein, empfiehlt deshalb Werner Kinzinger vom Stuttgarter Verein Aktion Bildungsinformation. Die Auswahl der Austauschorganisation stellt dabei oft die erste große Hürde dar, meint Kinzinger, dessen Verein Schüler bei der Wahl der passenden Organisation berät: „Für viele Anbieter steht inzwischen das Geschäft im Vordergrund und nicht die Idee des Kulturaustauschs. Es ist für Schüler und Eltern schwer festzustellen, welcher Anbieter eine gute Betreuung gewährleistet.“

Der Trend zur Kommerzialisierung gilt vor allem für die USA, die nach wie vor das beliebtestes Ziel deutscher Schüler darstellen. Unzählige Organisationen werben mit den unterschiedlichsten Angeboten. „Man darf nicht alles glauben, was angepriesen wird“, warnt Kinzinger. Grundsätzlich sollten Austauschwillige darauf achten, dass die gewählte Organisation einen Abflugtermin rechtzeitig zum Beginn des Schuljahres im Zielland garantiert. Die Adresse der Gastfamilie sollte einige Wochen im Voraus feststehen. Oft wissen Schüler noch wenige Tage vor dem festgesetzten Reisedatum nicht, wo sie die kommenden Monate verbringen.

Zumal das Land der unbegrenzten Möglichkeit für Austauschschüler zahlreiche Einschränkungen bereithält. Jugendliche haben selten Einfluss darauf, wo und bei wem sie untergebracht werden. Die Verhaltensregeln der Gastfamilie und -schule gilt es dennoch strikt zu befolgen. Dazu gehört beispielsweise die Teilnahme am religiösen Leben der Familie, selbst wenn der Austauschschüler in Deutschland nur zu Weihnachten die Kirche besucht. Schwierigkeiten sind da programmiert. „Etwa jeder Vierte wechselt innerhalb eines Jahres die Familie“, sagt AFS-Vertreter Michael Pahl. Er warnt vor übertriebenen Erwartungen: „Wenn jemand ein Jahr in einer Gastfamilie wohnt, geht das nie ganz reibungslos ab.“

Denn so viele Schüler wollen unbedingt in die USA, dass bei den Gastfamilien oft größere Kompromisse gemacht werden müssen. Werner Kinzinger hält Länder wie Thailand, Südafrika oder Brasilien gerade wegen der Betreuung für eine gute Alternative zu den USA: „Der Austausch funktioniert oft besser, weil die Schüler individueller behandelt werden.“ Michael Pahl sieht einen weiteren Vorteil bei der Wahl eines ungewöhnlichen Ziellandes: „Eine Sprache wie Thai zu beherrschen ist etwas Außergewöhnliches. Damit kann man im Lebenslauf eher glänzen als mit einem USA-Aufenthalt.“

Gleich mit zwei außergewöhnlichen Sprachen glänzt inzwischen Julia Brekenfeld. Sie lernte neben Indonesisch auch noch Japanisch an ihrer Schule in Padang. Die Kontrolle von Schnürsenkeln und Hemden fand die Schülerin zwar gewöhnungsbedürftig. Sie stellte aber fest, dass die Indonesier solche Maßnahmen für typisch westliche Angewohnheiten halten: „Die denken: Der Westen ist nur durch Disziplin soweit gekommen. Deswegen müssen wir in der Schule durchgreifen.“ In Bezug auf die Lerneinstellung könnten sich deutsche Schüler von indonesischen sogar eine Scheibe abschneiden. „Die Guten lernen außerhalb der Schule extra viel, um noch besser zu werden“, sagt Brekenfeld – nur so ist die Aufnahme auf eine Elite-Uni zu schaffen.

Ob Indonesien oder USA: Die Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt sollte mehr als nur einen Informationsabend umfassen, um spätere Enttäuschungen zu vermeiden. Julia Brekenfeld beispielsweise hielt es für sehr wichtig, auf die sprichwörtliche asiatische Zurückhaltung eingestellt zu werden. „Eltern teilen Verbote eher durch die Blume mit“, meint Brekenfeld. Wenn ein Ja nicht immer ein Ja bedeute, könne das im Alltag schnell zu Problemen führen. „Hier wird bei vielen Organisationen zu wenig getan“, sagt Kinzinger.

„Man muss sensibel sein und darf nicht zu sehr das Großmaul spielen“, gibt Brekenfeld künftigen Austauschschülern mit auf den Weg. Dann könne ein Auslandsjahr eine wunderbare Erfahrung sein: „Ich würd’ es immer wieder machen.“

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