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Gesundheit: Orchideen-Alarm

Die Hochschulrektoren wollen die Kleinen Fächer retten – mit einem Wettbewerb und einer Roten Liste

Indologen, Byzantinisten und Indogermanisten sind die Schatzgräber unter den Gelehrten. Sie bereisen und erforschen ferne Länder und entreißen die ältesten Sprachen der Menschheit dem Vergessen. Trotzdem gehören diese und andere Kleine Fächer selber zu den bedrohten Arten an Deutschlands Universitäten.

An mangelnder Anerkennung kann das nicht liegen: Kleine Fächer gerade in den Geisteswissenschaften haben eine große Tradition, sie sind das Markenzeichen der Volluniversität. Obwohl sie oft nur von einem Professor vertreten werden und nur wenige Studenten und Doktoranden ausbilden, tragen sie wesentlich zum internationalen Renommee der deutschen Wissenschaft bei. Die Gebiete, die Kleine Fächer bearbeiten, sind groß: Assyriologen, Keltologen oder Papyrologen erhalten das kulturelle Gedächtnis über Jahrtausende. Sinologen, Afrikanisten oder Turkologen erforschen Geschichte, Sprache und Kultur großer Regionen mit wirtschaftlicher und politischer Bedeutung für Europas Zukunft.

Seit den 90er Jahren aber sind viele der Orchideenfächer von den Sparmaßnahmen an den Hochschulen überproportional betroffen. So wurden in der Indogermanistik seit Januar 2000 neun Standorte geschlossen; Islamische Kunstgeschichte und Papyrologie gehören zu den Fächern, die nur noch an drei Unis vertreten sind, Jiddistik und Albanologie an nur noch einer. „Schleichender Abbau“ oder „unkontrollierte Vernichtung“? Nach Jahren solcher Hilferufe mehren sich nun jedenfalls die Rettungsversuche: Im vergangenen Jahr hat sich der Wissenschaftsrat in zwei Gutachten für die bedrohten Fächer starkgemacht. Am kommenden Mittwoch will auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Empfehlungen zur „Zukunft der Kleinen Fächer“ veröffentlichen.

Die Problemanalyse mündet in einen überraschenden Vorschlag: Die Kleinen Fächer sollen einen eigenen Elitewettbewerb bekommen. Eine „Förderinitiative“ solle „insbesondere solche Fächer unterstützen, die einen besonderen Nutzen für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem erbringen und einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung von Absolventen für Politik und Wirtschaft leisten“, heißt es in einer Beschlussvorlage zu dem HRK-Papier, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Rektoren empfehlen einen „national finanzierten“ Wettbewerb.

In dem HRK-Papier werden vier Problemfelder benannt: Kleine Fächer haben Schwierigkeiten bei der Einführung von Bachelor und Master. Ihre Leistungen sind aufgrund ihrer spezifischen Arbeitsbedingungen oft schwer messbar. Sie sind bei der Finanzierung an den Unis benachteiligt. Und bislang gibt es keine bundesweite Strategie zu ihrer Schließung oder Fortführung. Zumindest das soll sich schnell ändern. Zwar ist die HRK bislang daran gescheitert, eine Rote Liste beziehungsweise eine Kartierung vorzulegen. Die Arbeitsgruppe, die jetzt die Empfehlungen vorgelegt, hatte 2006 Fragebögen an alle Hochschulen geschickt; viel zu wenige aber haben geantwortet. Jetzt will die HRK jedoch eine Servicestelle einrichten, die eine solche Landkarte erstellt, sie ständig aktualisiert und auch Ansprechpartner für alle Hochschulen und Landesregierungen ist. Das Angebot der Kleinen Fächer soll bundesweit koordiniert werden. Auch zu den übrigen Problemfeldern macht die HRK konkrete Vorschläge.

Ein Professor, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und eine halbe Sekretariatsstelle: Für eine Hand voll Magisterstudenten im Haupt- und Nebenfach reichte das Personal. Aber im Bologna-Prozess wird die geringe Personalausstattung den Kleinen Fächern zum Verhängnis: Weil bei der Zulassung von Bachelor- und Masterstudiengängen nur die Lehrkapaziät von Universitätsangestellten, nicht aber die von Privatdozenten oder Honorarprofessoren zählt, wird den meisten die Akkreditierung verweigert. Tatsächlich reicht das Personal oft nicht, um die im Bachelor obligatorischen Module anbieten zu können. Nötig seien Verbünde über Fächergrenzen hinaus und auch hochschulübergreifende Kooperationen, heißt in dem HRK-Papier. Das geschieht schon heute: So bietet die Freie Universität einen Kombi-Bachelor zur „Geschichte und Kultur des Vorderen Orients“ an, in Marburg gibt es einen Studiengang „Archäologische Wissenschaften“.

In solchen Lehrverbünden müsse jedoch sichergestellt werden, dass die beteiligten Disziplinen auch weiterhin die Grundlagen ihres Faches vermitteln. Damit die einzelnen Fächer wirklich erhalten bleiben, sollten neben den kooperativen Bachelorstudiengängen gleichzeitig weiterführende Master- und Promotionsprogramme in den einzelnen Disziplinen geplant werden. Denn sonst würde diesen der wissenschaftliche Nachwuchs fehlen.

Die in der Regel dreijährigen Bachelorstudiengänge stellen die Kleinen Fächer vor ein weiteres Problem: Die Zeit reicht nicht, um eine Fremdsprache neu zu lernen. Auch längere Auslandsaufenthalte sind in dem engen Zeitkorsett kaum möglich – aber gerade in den Regionalwissenschaften unerlässlich. Die HRK schlägt hier ein Sprachpropädeutikum vor. Solche Intensivkurse vor Studienbeginn sollten nicht auf die Studienzeit angerechnet werden. Auslandsaufenthalte könnten ebenfalls ohne Anrechnung auf die Regelstudienzeit in das Bachelorstudium eingeschoben werden oder sollten teilweise zwischen Bachelor und Master gelegt werden. Diese Sonderregelungen müssten die Kultusminister rechtlich absichern. Die HRK schließt sich auch einem Vorschlag des Wissenschaftsrats an, die Bachelorphase zu verlängern. Hier seien die Unileitungen aufgerufen, die Spannweite der Studienzeit von sechs bis acht Semestern auszuschöpfen.

Durch ihre weitvernetzte Forschung und ihre Publikationen sind Vertreter Kleiner Fächer international renommiert. Die „leistungsorientierte Mittelvergabe“ an den Hochschulen aber gefährdet ihre kleinen Institute. Wer in der Forschung nicht kontinuierlich Drittmittel einwirbt, etwa mit Sonderforschungsbereichen oder DFG–Forschergruppen, und nur auf eine geringe Zahl von Hauptfachstudenten, Absolventen, Promovierten und Habilitierten kommt, kann bei der bundesweit üblichen Finanzzuweisung nicht punkten. Die HRK empfiehlt neue Parameter für die Kleinen Fächer: Die Unis sollten Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit ihnen treffen, indem sie „Sockelwerte“ festlegen, „die von der aktuellen Studierendenzahl unabhängig sind und bei gesicherter Forschungsleistung nicht unterschritten werden“.

Mehrfach wird die Bedeutung der Kleinen Fächer für die Universitäten gewürdigt. Sie seien „so fest in die Lehr- und Forschungsstrukturen ihrer Hochschulen integriert, dass auf sie ohne wesentliche Qualitätsminderung zulasten anderer Disziplinen und des Hochschulstandorts insgesamt gar nicht verzichtet werden kann“. Aber die HRK nimmt die Sorgenkinder auch in die Pflicht: Gerade sie müssten „hohe Standards in der Qualitätssicherung sowie in der Personal- und Berufungsplanung“ gewährleisten. Um der Personalknappheit zu begegnen, werden speziell für die Kleinen Fächer Lecturer-Stellen und „Juniorprofessuren mit tenure track“ vorgeschlagen – als attraktive und realistische Karriereperspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Die Chance der Initiative für die Kleinen Fächer scheint gut zu sein. So kündigt Bundesforschungsministerin Annette Schavan an, im Jahr der Geisteswissenschaften auch etwas für diese gefährdeten Disziplinen zu tun. Sie werde sich mit den Kultusministern der 16 Länder verständigen, wie sie die Kleinen Fächer auf der Grundlage der HRK-Empfehlung schützen könnten, sagt Schavan. Man müsse an die Hochschulen appellieren, trotz wachsender Autonomie nicht übergeordnete Ziele wie die Bestandssicherung der Kleinen Fächer aus dem Blick zu verlieren. „Es kann nicht sein, dass von Zeit zu Zeit ein Aufschrei durch das Land geht, wenn wieder ein Fach geschlossen wurde: O, davon haben wir ja gar nichts gewusst“, sagt Schavan. Sie ist auch finanziell gefragt – bei der Ausstattung der Förderinitiative für die Kleinen Fächer und der Servicestelle.

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