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Gesundheit: Schulbücher: Was ist das Vaterland der Palästinenser?

Der kleine Junge Basim hat eine Sprechblase im Mund: "Ich bin in Jerusalem geboren". Das nächste Bild zeigt das Mädchen Asma mit den Rattenschwänzen.

Der kleine Junge Basim hat eine Sprechblase im Mund: "Ich bin in Jerusalem geboren". Das nächste Bild zeigt das Mädchen Asma mit den Rattenschwänzen. Es sagt, es sei in Bethlehem geboren. Darunter steht klein geschrieben für die Lehrer das Lernziel dieses Kapitels: Die Kinder sollen wiederholen können: "Ich bin aus Palästina, ich bin palästinensischer Nationalität." An diesem Kapitel aus dem Lehrbuch für "Staatsbürgerkunde" der ersten Klasse ist wenig auszusetzen.

Das vierte Bild auf der Seite, wo Basim und Asma die Al-Aqsa-Moschee an eine Wand neben eine Friedenstaube und eine palästinensische Flagge malen, könnte dagegen das Missfallen der Israelis finden: Für sie ist Jerusalem mitsamt dem islamischen Heiligtum die unteilbare israelische Hauptstadt - was allerdings nicht vom internationalen Recht gedeckt ist. An dem Beispiel wird die Schwierigkeit deutlich, ein Lehrbuch über "Staatsbürgerkunde" zu verfassen, ohne dass man über einen eigenen Staat mit definierten Grenzen verfügt. Daher überrascht es nicht, dass in Israel der Vorwurf erhoben wird, auch die neuen palästinensischen Schulbücher, die die bisher benutzten ägyptischen und jordanischen Werke ablösen sollen, enthielten anti-israelische und anti-jüdische Passagen.

Auch eine gerade vorgestellte Untersuchung des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung kommt zu teilweise kritischen Ergebnissen. Erst im vergangenen Schuljahr wurden in den Autonomiegebieten erstmals vom palästinensischen Erziehungsministerium herausgegebene Schulbücher benutzt, zunächst für die Klassen eins und sechs. Bis zum Jahr 2005 sollen alle Klassenstufen neues Lehrmaterial erhalten, das den Geist des Osloer Abkommens reflektiert, in dem die Palästinenser das Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1948 anerkannt haben.

Der stellvertretende palästinensische Bildungsminister Naim Abul Hommos hat im Juni auf die Schwierigkeiten hingewiesen, ein nationales Curriculum für ein Volk zu entwerfen, das teilweise unter Besatzung lebt. Welche Grenzen Palästinas oder Israels sollen in einem Geschichtsbuch eingezeichnet werden? Darf das besetzte Ost-Jerusalem als "Jerusalem" bezeichnet werden, oder ist das bereits ein Aufruf zur Befreiung ganz Jerusalems, wie Kritiker argwöhnen?

Andere Beispiele sind da schon überzeugender: Im Geographie-Buch für die sechste Klasse findet sich eine Karte, auf der ganz Israel und Palästina als ein Gebilde gezeigt wird - der Name Israel wird nicht einmal erwähnt. Dafür stehen auf der Karte alle bis heute von arabischen Israelis bewohnten Städte, während Tel Aviv nicht eingezeichnet ist. Die Grenzen Israels bleiben der Phantasie überlassen. Auch wenn anhand dieser Karte lediglich urbane Ballungszentren erkannt werden sollen, ist dies problematisch. Auf anderen Karten allerdings sind sehr wohl der Gaza-Streifen und die Westbank in Abgrenzung zu Israel zu erkennen: einmal in einem Kapitel über die palästinensischen Verwaltungsdistrikte, ein anderes Mal geht es um die israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten.

Omar Abdul Homos, der die Ausarbeitung des Curriculums mitbetreut, erklärt diese Mängel mit der politischen Zurückhaltung, die das Erziehungsministerium sich auferlegt habe. "Sie wollen keinen Verhandlungen vorgreifen oder sich in offene Debatten einmischen", erklärt er. Bisher gibt es keine offizielle Grenze zwischen Israel und einem Palästinenserstaat. Omars Bruder Naim, stellvertretender Bildungsminister, gibt sich ähnlich offen: "Die Schulbücher sind nicht der Koran, der nicht angetastet werden darf. Wir sind für Anregungen dankbar."

Alle palästinensischen Verantwortlichen versichern, dass große Anstrengungen unternommen wurden, negative Aussagen über Israel oder die Israelis aus den Büchern zu löschen. Worte wie "Feind" oder "Übel" im Zusammenhang mit Israel finden sich nicht mehr. Doch das Grundproblem scheint zu sein, dass die politischen Ansprüche von Israelis und Palästinensern weit aus der Geschichte hergeleitet werden. Damit ist in Israel und Palästina auch die Darstellung der Vergangenheit eminent politisch. Während die Palästinenser von Vertreibung sprechen, wollen viele Israelis noch immer glauben, dass die palästinensischen Flüchtlinge freiwillig ihre Häuser verlassen haben. Darf der Anführer des Palästinenser-Aufstandes in den 30er Jahren, Izz Al-Din Al-Qassam, im Lehrbuch für "Staatsbürgerkunde" der sechsten Klasse nicht positiv dargestellt werden, weil sich heute der militärische Flügel der islamistischen Hamas mit diesem Namen schmückt?

Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass der Koran und die islamische Überlieferung Berichte über die Kämpfe zwischen dem Propheten Mohammed und den jüdischen Stämmen in Mekka enthalten. Hier ist auch von "verräterischen" und "feigen" Juden die Rede. Diese Texte werden in den Büchern für den Islamunterricht behandelt. Wenn man diese Aussagen über die Juden aus dem historischen Kontext reißt, was einige israelische Kritiker und Islamisten gleichermaßen tun, lassen sie sich leicht als antisemitisch einstufen. Auch der Aufruf, sein Vaterland zu verteidigen, der sich beispielsweise im Staatsbürgerkunde-Buch der sechsten Klasse findet, kann angesichts des andauernden Konflikts mit Israel natürlich leicht als Gewaltaufruf verstanden werden.

Anerkennung für sein Bemühen, ausgewogenere Schulbücher zu schaffen, erhält das palästinensische Bildungsministerium dagegen von Ruth Firer. Sie hat in einer vom israelischen Truman-Institut finanzierten Studie untersucht, wie in Schulbüchern auf beiden Seiten der Konflikt dargestellt wird. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Anerkennung des "anderen" ein langer Prozess ist. In Israel habe man erst kürzlich begonnen, eine Mitverantwortung für den palästinensischen Exodus einzuräumen. Daher sei es "intellektuell nicht fair", israelische Schulbücher mit denen der Palästinenser zu vergleichen, die heute erstmals den Versuch machen dürfen, eigene Geschichtsbücher auszuarbeiten. Firer erinnert daran, dass die israelischen Schulbücher bis in die 60er Jahre "reine zionistische Propagandainstrumente" waren, in denen die Palästinenser gar nicht erwähnt wurden.

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