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Panorama: Hat er Jesus gesehen?

Papst Benedikt XVI. pilgert nach Manoppello, wo das „wahre Gesicht des Herrn“ verehrt wird

Wenn es Tag wird in diesem kleinen Abruzzendorf, dann hat man die schmucklose Wallfahrtskirche ganz für sich allein. Bärtige Kapuzinerpatres lesen ihre Frühmesse, danach herrscht bis zum Ansturm der Pilgerbusse eine Weile Ruhe. Und ER ist auch nicht da. Jedenfalls dann nicht, wenn man im Kirchenschiff sitzt und auf den Glasschrein über dem Altar schaut. Im Gegenlicht erkennt man nur eine barocke Monstranz, und dort, wo man etwas sehen sollte, sieht man nur eine viereckige, farblos-durchsichtige Folie.

Aber man darf herumgehen um den Altar, die Treppen hinauf, bis unmittelbar vor das Panzerglas. Von hinten, aus nächster Nähe, sieht man es. Das Gesicht. Das „Heilige Gesicht“. Den schütteren Bart, den entspannten, leicht geöffneten Mund, die Zähne, die offenen, ausdruckslosen Augen, jene Haarlocke, die aus dem Mittelscheitel quillt. Die linke Backe ist geschwollen, Blutergüsse verteilen sich über das Gesicht, schräg über der Nase trägt der Mann eine Strieme, als hätten sie ihm einen Stockhieb versetzt.

Man darf die Beleuchtung verändern. Halogenlämpchen von vorne, von hinten, von der Seite. Das Gesicht in seinen warmen Braunschattierungen verändert jedes Mal sein Aussehen. Mal wirkt es wie eine dunkle Ikone, mal wie ein Dia. Fein glänzt das spinnwebdünne Gewebe, auf dem das Bild aufgebracht ist: Aus Muschelfäden soll es gewirkt sein, dem seltensten, kostbarsten, kaiserlichsten Stoff, den die Antike kannte.

An diesem Freitagmorgen ist in Manoppello von Ruhe nichts zu spüren: Heute kommt der Papst. In den langjährigen Expertenstreit über die Echtheit des Tuchs, teilt die Ortskirche schon vorab mit, wolle er sich nicht einmischen, das sei Sache der Forscher. Benedikt XVI. wolle nur „privat“ beten, heißt es. Aber dazu schwebt er mit dem Hubschrauber ein, sieht und hört 7000 Pilger, die ihm zujubeln, und meint in fröhlicher Selbstironie, von Privatheit könne nicht viel Rede sein, wenn er unterwegs sei.

Formell lässt sich Benedikt XVI. in Manoppello sehen, weil sie dort Jubiläum feiern: Vor 500 Jahren soll ein geheimnisvoller Pilger das Stück Textil in der Bergwildnis abgeliefert haben. Recherchen deuten darauf hin, dass das verschwörerische Getue damals seinen Grund hatte: Der deutsche Journalist Paul Badde äußert den durchaus plausiblen Verdacht, das Tuch könnte seinerzeit aus der Baustelle des Petersdoms entwendet worden sein.

Das ganze Mittelalter über war den Pilgern im alten Petersdom ein „Heiliges Gesicht“ gezeigt worden – „Die Veronika“ nannte man es in Rom; der Legende nach war es jenes Tuch, in das Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung sein Gesicht gedrückt hatte. „Veronika“, zum Frauennamen geworden, heißt eigentlich „vera eikon“, „wahres Bildnis“.

Irgendwann verschwand das Tuch. Aber weil der Vatikan schlecht zugeben konnte, dass ihm ausgerechnet seine wertvollste Jesus-Reliquie abhandengekommen war, zeigt man im Petersdom bis heute ein anderes, ein – laut Badde – nachgemachtes, gefälschtes Tuch. Man schwenkt es öffentlich einmal im Jahr, und das auch nur sekundenkurz: Möglichst niemand soll erkennen, dass im Vatikan gar kein Gesicht mehr ist. Das Gesicht liegt in Manoppello. Nur: Wie es auf die Muschelseide gekommen ist, das kann niemand erklären. Die nylonartigen Fasern, mit denen sich die Mittelmeer-Steckmuschel „pinna nobilis“ auf dem Untergrund festhält, lassen sich angeblich nicht bemalen; der Stoff enthält auch keine Farbpigmente. Gewebt ist das Bild auch nicht. Es weist aber, das hat die deutsche Trappisten-Nonne und Ikonenexpertin Blandina Paschalis Schlömer herausgefunden, Übereinstimmungen mit einer anderen Reliquie auf: mit dem „Turiner Grabtuch“. In dem vier Meter langen Stück Leinen, sagt man, sei Jesus bestattet worden; das Tuch zeigt den Körperabdruck, die Wunden und das Blut (Blutgruppe AB) eines Gekreuzigten. Das Gesicht von Turin ist identisch mit dem von Manoppello. Und auch hier konnte kein Wissenschaftler beantworten, wie sich das Bild im Gewebe verewigen konnte – so kursiert die kuriose Spekulationen, Jesus habe seine Auferstehung unter Aussendung bisher unerforschter, energiereicher Strahlen bewerkstelligt.

Das Tuch von Manoppello gilt bei allen, die es für echt halten, als das Schweißtuch, das laut Johannes-Evangelium auf dem Kopf des toten Jesus lag; die Apostel Petrus und Johannes sahen es abseits der Leinenbinden, „zusammengefaltet, an einem eigenen Platz“, im leeren Grab.

Und Papst Benedikt? Mit fest gefalteten Händen studiert er schweigend das Tuch – und verlegt den spannenderen Teil seiner Kurzvisite hinter die Klostermauern des Kapuzinerkonvents: Dort bespricht er sich mit Schwester Blandina und dem römischen Jesuiten Heinrich Pfeiffer, der als Professor für Kunstgeschichte vehement die Echtheit dieses Tuches verficht.

Vor den versammelten Bischöfen, Klerikern und dem Volk indes rückt Benedikt XVI. die Dinge zurecht: Christen, predigt der Papst, müssten „das Antlitz des Herrn“ suchen; aber sie sollten es „im Gesicht der Mitmenschen erkennen, besonders der Armen und der Bedürftigen“.

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