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ICE: EKG auf Schienen

Bevor am Sonntag wieder Züge auf der sanierten Strecke Berlin-Hamburg fahren, muss kontrolliert werden, ob die Bautrupps die Schienen so gelegt haben, dass auch Züge mit Fahrgästen an Bord wieder mit Tempo 230 über die Gleise rasen können.

Berlin/Hamburg - Davon können Autofahrer nicht einmal träumen: „Grüne Welle“ von Berlin bis Hamburg, garantiert ohne Stopp und das stets bei der möglichen Höchstgeschwindigkeit: Die Bahn schafft es – zumindest bei Sonderfahrten. Wie am Dienstag. Bevor am 14. Juni wieder planmäßig Züge über die sanierte und bisher zum großen Teil gesperrte Bahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg fahren dürfen, ist der Messzug der Bahn unterwegs, um zu prüfen, ob die Bautrupps die Schienen so gelegt haben, dass auch Züge mit Fahrgästen an Bord wieder mit Tempo 230 über die Gleise rasen können.

Bevor klar ist, dass alle Signale unterwegs auf „Grün“ stehen, müssen sich die Stellwerker aufwendig abstimmen. Ganz klappt es nicht, und so startet die Messfahrt in Spandau mit 19 Minuten Verspätung. Ein Stopp muss vermieden werden, weil nur bei voller Fahrt die notwendigen Daten ermittelt werden können.

Messzugleiter Frank Siebenhaar bleibt ganz gelassen und lässt sich seinen Apfel auch weiter schmecken. So bald der Sonderzug, ein umgebauter ICE mit nur einem Wagen, beschleunigt, fangen die Papierrollen im Messgerät an zu rollen. Akkurat zeichnen sie nun auf, was die 24 am Zug angebrachten Sensoren und die zwei Messachsen an Daten übermitteln – wie bei einem EKG in der Arztpraxis.

Und so wichtig wie das Überprüfen der Herzfunktion beim Menschen ist auch die Kontrolle der neu gelegten Schienen. „Je weniger schwarze Kurvenausschläge auf den Papieren zu sehen sind, desto besser haben die Bauleute gearbeitet“, sagt Siebenhaar.

Überwacht wird, wie stark der Zug die Schienen beansprucht und umgekehrt, wie sehr die Schienen die Fahrt des Zuges beeinflussen. Siebenhaar und sein Kollege lassen die Papierflut kaum aus den Augen, mehr als 80 Meter sind es am Schluss. Die Endauswertung der Messergebnisse erfolgt später am Computer. Auch als eine Kurve extrem ausschlägt und sich das Blatt schwarz färbt, bleiben die Männer ruhig. Ein kurzer Stromausfall bei der Übertragung der Daten, weiter nichts.

Wenige Meter entfernt kann ferngesehen werden. Sogar ein ganz besonderes Programm – ein tanzender Stromabnehmer über dem Triebkopf, wie beim ICE die Lokomotive heißt. Es sieht wirklich aus wie ein Tanz, wenn der Stromabnehmer bei Tempo 230 gegen die Oberleitung drückt und dort hin- und her- schwankt. Doch so muss es sein, dann ist die Bahn-Welt in Ordnung. Auch Siebenhaar entdeckt keine Auffälligkeiten auf seinen Messbögen.

Michael Zehran ist zufrieden. Er war Projektleiter bei der Sanierung der Strecke, auf der seit Anfang März 256 000 Schwellen ausgetauscht werden mussten. Obwohl sie erst Mitte der 90er Jahre eingebaut worden waren, zerbröselten sie wegen eines Materialfehlers. Stück für Stück waren die insgesamt 976 000 Schwellen zuvor geprüft worden. Hierzu mussten Mitarbeiter die Strecke entlanglaufen; bei zwei Gleisen insgesamt immerhin 586 Kilometer. Eine Ausnahme. Gewöhnlich kontrolliert die Bahn ihre Gleise mit Messzügen; Streckenläufer gibt es nicht mehr.

Die Schwellen mit Schäden wurden mit einem gelben Punkt markiert und nun ausgetauscht. Die Kosten will die Bahn nicht nennen. Sie musste nicht nur die Bauarbeiten finanzieren, sondern auch die Zusatzleistungen für die Fahrgäste auf der längeren Umleitungsstrecke. Für sie gab es auch in der 2. Klasse gratis Snacks und Zeitungen. Damit ist es vorbei, wenn die Züge von Sonntag früh an wieder über die Stammstrecke fahren. Dafür sind die Fahrgäste dann aber auch wieder nach 96 Minuten am Ziel. Auf der Umleitungsstrecke über Stendal waren die Züge 40 Minuten länger unterwegs.

Weniger erfreulich ist die Wiederaufnahme der Fahrten für die Tierwelt entlang der Strecke. Sie hätten sich daran gewöhnt, dass hier mehr als ein Vierteljahr keine Züge gefahren sind, sagte ein Experte. Bei der Messfahrt erwischte der Zug bereits zwei Vögel.

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