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Fashion Week in Polen: Auf der Suche nach dem polnischen Look

Die polnische Fashion Week findet in Lodz statt. Die Stadt ist interessant, aber die Mode bleibt blass. Die Besten bleiben lieber in Warschau.

Die polnische Fashion Week hat alles, was zu einer richtigen Modewoche dazugehört: Ein Zelt mit Laufsteg, Designer, Leute, die wichtig gucken, Blogger, die lustig angezogen sind, und einen kleinen Mann aus Amerika mit Hund unterm Arm, der immer als Erster ins Zelt darf. Aber etwas fehlt: Mode, die man sehen will, weil man sie nur hier sehen kann.

Trotzdem ist es gut, dass auch Lodz jetzt eine eigene Modeveranstaltung hat wie eigentlich fast jedes Land von Rumänien bis Botswana. Wer sich nicht in erster Linie für Mode, sondern für das gesellschaftliche Leben in Polen interessiert, der sollte nach Lodz fahren. Hier kann sich jeder ein Ticket für die Schauen kaufen. In Berlin laden die Designer ihre Gäste ein, die Karten sind unverkäuflich.

Nach drei Tagen kennt man die Gesichter aller polnischen Seriendarsteller und Moderatoren, weiß, dass die Tochter des polnischen Ministerpräsidenten Bronislaw Komorowski sich für Mode interessiert, und hat gesehen, wie man sich in Polen so richtig schick macht.

Man darf an einem gesellschaftlichen Spiel teilnehmen mit dem Inhalt, seine eigene Bedeutung daran zu messen, dass man jetzt auch eine Fashion Week hat. Man lässt sich von Bloggern fotografieren, die wiederum vom Fernsehen gefilmt werden, dessen Filme dann später auf einem speziellen Modesender laufen. Wie auch in Berlin während der Fashion Week sind die Zeitungen voll mit Nachrichten darüber, wer in der ersten Reihe gesessen hat. Aber anders als in Deutschland scheinen die Polen ihre einheimischen Designer wirklich zu kennen. Sie sind fast genau so wichtig wie die Prominenten in der ersten Reihe.

Wer mit den Organisatoren, Designern und Zuschauern spricht, merkt, wie ernst hier alle ihre Fashion Week nehmen. Es geht eben auch um Identität: „Wir haben hier genug polnische Mode, um damit vier Tage lang von morgens bis abends Models über den Laufsteg zu schicken“, sagt Fashion-Week-Chef Jacek Klak.

Das Zelt liegt in einem Industriegebiet, und der Bus fährt vom Hotel, wo alle Designer und Gäste von außerhalb wohnen, nur zweimal am Tag hierher. Wenigstens garantiert die karge Randlage, dass die Leute sich viele Schauen ansehen. Neben dem Zelt mit dem weiß gelackten Laufsteg steht noch eins für eine kleine Modemesse. Davor ist ein bisschen Karneval. Wer sich mit Mode ausdrücken will, lässt es in Polen richtig krachen. Das sieht so aus: Ein großer Vogel auf dem Kopf, ein Umhang aus zauseligem Haar um die Schultern, ein rosafarbener Petticoat um die Hüften und sehr viel Make-up.

Dass die Modewoche in Lodz und nicht in Warschau stattfindet, scheint nicht nur den Organisatoren vollkommen logisch vorzukommen, sondern jedem in Polen. Denn Lodz hat eine Tradition in der Textilindustrie, es wird gern das „Manchester Polens“ genannt. Lodz hatte mal 546 Fabriken, die meisten von ihnen stellten Textilien her. Die Einkaufsstraße Piotrkowska ist vier Kilometer lang von prächtigen Palästen gesäumt. Das ist alles schon lange her, ihre industrielle Blüte hatte die Stadt im 19. Jahrhundert.

Heute hat Lodz das größte Einkaufzentrum Polens, die Manufaktura. Es gibt viel zu kaufen, aber fast nichts, was es woanders nicht auch gäbe. Auf der Piotrkowska flaniert schon lange niemand mehr, am Samstagvormittag sind Geschäfte und Cafés geschlossen. In der Manufaktura gibt es Kleider von H&M, Schuhe von Deichmann, Essen von McDonald’s und Süßigkeiten von Hussel.

Lodz wuchs innerhalb eines Jahrhunderts von 190 Einwohnern auf 600 000. 18 Flüsse fließen durch die Stadt, die meisten unterirdisch, rundherum gibt es dichte Wälder – die richtigen Voraussetzungen, um Textilien herzustellen. Der russische Zar brauchte Stoff für Uniformen. Unter anderem aus Deutschland kamen Menschen und bauten Fabriken. Juden, Deutsche, Russen und Polen lebten für etwas mehr als ein Jahrhundert zusammen in Lodz. Als die Deutschen in Polen einmarschieren, ist damit Schluss. Dass hier eines der größten Ghettos stand, dass hier mehrere 10 000 Menschen starben und mehr als 200 000 in die Konzentrationslager deportiert wurden, gehört auch zur Geschichte von Lodz.

Im Textilmuseum kann man sich ansehen, was nach dem Krieg in Lodz mit der Textilindustrie passierte – heute ist davon fast nichts mehr übrig, die meisten Fabriken schlossen nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Volksrepublik Polen 1990. Wenige konnten privatisiert und am Leben gehalten werden. Auch wenn es heute eine Handvoll Firmen gibt, die Textilien herstellen – die wenigsten Designer produzieren hier.

Es ist also nicht so, dass die Designer, die auf der Fashion Week zeigen, wirklich von Lodz und seiner Geschichte profitieren. Aber die meisten haben dort gelernt, wie Joanna Palma, Martyna Montewska und Agienszka Rymarczyk. Die drei studieren an der Kunstakademie und haben schon mal ihr Label Hanger gegründet. „Um zu üben“, sagt Martyna Montewska. Sie wollen schnell bekannt werden. „Die Polen kaufen am liebsten Mode von bekannten Designern“, sagt Agienszka Rymarczyk und zeigt direkt hinter sich.

Mehrere Kameras leuchten den Stand von Lukasz Jemiol aus. Gerade spricht der Designer in ein Mikrofon. Er trägt eine seiner Strickjacken, die vorne etwas länger geschnitten sind. Darin sieht er genauso entspannt aus wie die Models, die kurz vorher für ihn über den Laufsteg gehüpft sind. Zum ersten Mal hatten die Zuschauer das Gefühl, dass die Models sich in den Kleidern wohl fühlten. Die Inszenierung erinnerte an des Kaisers neue Kleider; die Jeans, Sweatshirts und T-Shirts in verschiedenen Grauschattierungen hätte man nicht auf einer Modenschau zeigen müssen.

Das ist tatsächlich ein Problem bei dieser polnischen Modewoche. Man wartet auf die, für die sich das Warten lohnt, und sieht doch immer wieder ähnliche Entwürfe. Wenigstens lernt man etwas über polnische Mode im Allgemeinen: Kunsthandwerk ist wichtig, viele Designer geben sich Mühe zu zeigen, wie viele Details sie in ein Kleidungsstück packen können. Ein vorne schlichtes, hochgeschlossenes Kleid hat wahrscheinlich einen tiefen Rückenausschnitt, der die Alltagstauglichkeit des Vorderteils zunichte macht. Dazu kommen offene Saumkanten, asymmetrische Schnitte und wenige Farben.

Da bleibt die raue, kantige Männerkollektion von Piotr Drzal genauso hängen wie die aufwendig inszenierte Schau von MMC Studio, die ihre Models erst einmal im Dunkeln bei Blitz und Donner über den Laufsteg schickten. Es schien, als haben bisher wenige Designer Zeit gefunden, mal zu schauen, was ihre ausländischen Kollegen so treiben.

Wer es sich leisten kann, zeigt seine Kleider ohnehin in Warschau, so wie Gosia Baczynska, Paprocki & Brzozowski und Maciej Zien, die bekanntesten Designer Polens. Darauf reagiert der Chef Jacek Klak fast trotzig: „Die können halt die hohen Anforderungen nicht erfüllen“ – nämlich die, dass die Kollektionen hier zum ersten Mal gezeigt werden müssen. Und auf die Frage „Warum Lodz?“ erwidert er: „Warum Mailand?“ Es ist rührend, wie er seine Veranstaltung in eine Reihe mit der italienischen stellt, die eine der drei wichtigsten der Welt ist.

Als Ehrengast ist diesmal Dawid Tomaszewski eingeladen, mit seiner Modenschau endet die polnische Modewoche. Der in Danzig geborene Designer lebt seit 15 Jahren im Ausland, die letzten davon in Berlin. Dort gehört er zu den Shootingstars – in Polen kennt ihn kaum jemand. Das stört ihn nicht weiter: „Wer etwas werden will, muss nach Paris. Alles andere ist nur der Weg dorthin.“

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