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Panorama: Ohne Burka? Ohne alles!

Seine Gesichtszüge lassen sich schwer deuten. Seit dem Attentat vor 24 Jahren, verübt von einem rassistischen Sittenwächter, sitzt Larry Flynt im Rollstuhl.

Seine Gesichtszüge lassen sich schwer deuten. Seit dem Attentat vor 24 Jahren, verübt von einem rassistischen Sittenwächter, sitzt Larry Flynt im Rollstuhl. Mehrere Körperteile sind gelähmt. Wenn er spricht, klingt das so langsam, breit und undeutlich, als hätte er eine heiße Kartoffel im Mund. Ob sein Lächeln ein Grinsen ist oder eine steif gewordene Wange, ist unklar. Aber immer noch treibt ihn etwas. Immer noch sucht er den Krawall. Immer noch zieht es ihn ins Rampenlicht. Denn in dieser Rolle gefällt er sich am besten: der einsame, verrückte Wolf, der eine verklemmte, rigide Gesellschaft herausfordert. Und je aussichtsloser die Lage, desto entschlossener kämpft Flynt, der durch sein Pornomagazin "Hustler" zum Multimillionär geworden ist. Allein sein vergoldeter Rollstuhl hat mehr gekostet als ein Mittelklassewagen.

Sein jüngster Auftritt war erneut ein Spektakel. Flynt hat das Pentagon verklagt. Er will durchsetzen, dass die Reporter seines Magazins die amerikanischen Soldaten und Spezialeinheiten in Afghanistan begleiten dürfen. Am 30. Oktober hatte Flynt das Pentagon in einem Brief um die entsprechende Erlaubnis gebeten. Am 12. November hatte er seine Anfrage wiederholt. Doch Victoria Clarke, die Sprecherin des Verteidigungsministeriums, blieb hart. Die Boden-Operationen seien "außerordentlich gefährlich", allenfalls könnten die Reporter dabei sein, wenn humanitäre Hilfe geleistet wird. Flynt blieb ebenfalls hart. Am 16. November reichte er seine Klage ein. Der Fall, verhandelt vor einem Bundesgericht in Washington, heißt "Flynt versus Rumsfeld". Am Freitag fand die erste Anhörung statt.

Sein Lebensmotto heißt "Spaß haben und viel Geld verdienen". Die "Playboy"- und "Penthouse"-Hefte waren ihm stets zu langweilig. Flynt mag es derb. Er ist der Underdog, das Kind aus der Gosse. Er zeigt Bilder von nackten 300-Pfund-Frauen, von Models mit Durchfall und weibliche Geschlechtsteile im Großformat. "Wer weiß", sagte er auf dem Weg ins Gericht, "vielleicht zeigen wir auch bald die ersten afghanischen Mädchen in unserem Magazin". Allerdings sei es ihm ernst mit seiner Klage. Es gehe um die Pressefreiheit. "Wenn ich gewinne, gewinnt jeder." Und wie immer stilisiert er sich zum glühenden Verteidiger des ersten Verfassungszusatzes, in dem für alle Amerikaner die Meinungsfreiheit verankert ist. Dass ausgerechnet er diesen Prozess führen muss, sei eigentlich eine Schande. "Das hätten die seriösen Medien schon längst tun müssen."

Flynts Anwalt, Paul Cambria, zog bei der ersten Anhörung bereits alle Register. Kriege seien immer gefährlich, sagte er, trotzdem seien Reporter sowohl bei der Landung in der Normandie dabei gewesen als auch in Vietnam. Die Restriktionen im Afghanistan-Krieg seien dagegen willkürlich und ungerechtfertigt. In der Tat ist die Liste der Einschränkungen lang. Berichte von der Front gab es in den ersten Wochen der "Operation dauerhafte Freiheit" nicht. Fast alles unterlag der Geheimhaltung. Mitunter wurden Journalisten bei ihren Recherchen sogar behindert. Die Begleitung von Bodentruppen ist den Korrespondenten bis heute untersagt. Flynt hält das für einen Skandal. "Der Richter muss feststellen, dass die Presse das Recht hat, über diesen Krieg zu berichten", sagte er am Freitag.

Das Pentagon nimmt zu dem laufenden Verfahren offiziell keine Stellung. Die Verteidigungsstrategie ist dennoch klar. Die US-Regierung bestreitet, dass sich aus der amerikanischen Verfassung ein generelles Recht der Medien ableiten lässt, Zugang zu jedem Kampfgeschehen zu haben. Außerdem sei die Dringlichkeit der Klage nicht mehr gegeben. Inzwischen könnten sich Reporter relativ frei in Afghanistan bewegen. Dem "Hustler"-Magazin sei es unbenommen, seine Schreiber und Fotografen in die Region zu entsenden. Doch Flynt denkt über Afghanistan hinaus. Er will ein Grundsatzurteil. Und er will den Krawall. Denn dieser Antrieb zieht sich durch sein ganzes Leben. Als Junge handelt er in den Wäldern von Kentucky illegal mit Schnaps. Mit 15 Jahren reißt er von zu Hause aus, geht mit einem gefälschten Pass für wenige Monate zur Armee. Als junger Mann eröffnet er Striptease-Lokale. Für seine Stammkunden druckt er ein vierseitiges Schwarzweiß-Magazin mit Sexfotos. Bald vertreibt er es landesweit. Der Umfang wächst.

Seinen ersten Coup landet Flynt, als er heimlich geschossene Nacktaufnahmen der Kennedy-Witwe Jackie Onassis veröffentlicht. Die Auflage schnellt nach oben. Der "Hustler" - was zweierlei heißen kann: Malocher oder Straßenmädchen - durchbricht die Millionengrenze. Und aus dem verlausten Dorfjungen wird schließlich ein Sex-Gigant, dessen protziger Glaspalast über die Dächer von Los Angeles ragt.

Kein Wunder, dass Hollywood aus diesem Leben einen Film machte. Star-Regisseur Milos Forman und Erfolgsproduzent Oliver Stone verewigten den Porno-Anarchisten mit dem Streifen "The People vs. Larry Flynt" (zu deutsch: "Larry Flynt - die nackte Wahrheit"), der vor fünf Jahren in die Kinos kam. Die muntere Abfolge von Sex, Drogen und Gewalt sorgte in den USA für Furore. Flynts Leben werde glorifiziert, heißt es, seine Frauenfeindlichkeit und Brutal-Obsessionen würden bagatellisiert. Seine Tochter Tonya Flynt-Vega, eines von fünf Kindern aus fünf Ehen, behauptet sogar, ihr Vater habe sie sexuell missbraucht. "Er hat schreckliche Dinge getan", sagt sie.

Das ist unbestreitbar. Das Kino-Bild vom Hedonisten und etwas rauen Kämpfer für die Pressefreiheit spiegelt die Realität nur unvollständig wider. Die US-Verfassung garantiert zwar in einem hohen Maße die Meinungsfreiheit. Mitglieder des Ku-Klux-Klans etwa dürfen ungestraft Schwarze und Juden beschimpfen. Aber Pornografie, Obszönität und die Darstellung sexueller Gewalt haben mit der Verbreitung politischer Ansichten kaum etwas zu tun. Larry Flynt war nie ein Advokat der sexuellen Revolution. Er ist pervers und will seine Perversionen gerichtlich sanktioniert haben.

Deshalb stand er immer wieder vor dem Kadi. Mal wurde er gezwungen, mal zwang er andere. Im Mai 1976 verurteilt ihn ein Gericht wegen organisierter Kriminalität und der Verbreitung von Obszönitäten zu 25 Jahren Haft. Das Urteil wird später revidiert. Anfang der achtziger Jahre druckt er ein erfundenes Interview mit dem Fernsehprediger Jerry Falwell, dem Gründer der konservativen Wählergruppe "Moral Majority". Darin erzählt Falwell, wie er in einem Außenklo mit seiner eigenen Mutter Sex hatte. Flynt wird auf 100 Millionen Mark Schmerzensgeld verklagt, aber 1988 fällt der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten ein sensationelles Urteil. Das fiktive Interview sei eindeutig Satire gewesen, befinden die neun Richter. Prominente müssten sich so etwas gefallen lassen.

Doch selbst die Richter werden von Flynts Verbalattacken nicht verschont. In einem anderen Verfahren ruft er den neun Verfassungsrichtern von der Zuschauerbank aus zu, sie seien "acht Arschlöcher und eine Quoten-Möse". Im Herbst 1983 dann fordert er die US-Regierung heraus. Er droht damit, Abhörbänder zu veröffentlichen, die die US-Bundespolizei FBI in ein schlechtes Licht rücken. Gleichzeitig weigert er sich, die Herkunft des Materials zu verraten. Ein Gericht verurteilt ihn zur Zahlung von 10.000 Dollar täglich. Flynt bleibt stur. Statt zu reden, geht er lieber für sechs Monate ins Gefängnis.

In einer Schlüsselszene des Films von Milos Forman wird Larry Flynt mit dem Satz zitiert: "Was ist obszöner: Sex oder Krieg?". Um die Dramatik zu steigern, werden grausame Bilder aus My Lai und Hiroshima eingeblendet. Mit seiner Klage gegen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zeigt der Porno-Zar, dass ihm die Alternative inzwischen egal geworden ist.

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