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Auf dem Land, hier in Bagan, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Auch wenn längst Lkws zum Transport genutzt werden, und Mopeds auf den wenigen Straßen wuseln. Auf den Märkten – hier in Heho unweit des Inle-Sees – kaufen und verkaufen die Menschen in ihren jeweiligen Trachten. 135 verschiedene Ethnien leben in Birma. Fotos: Kaiser

© IMAGO

Reise: Buddha will nicht verreisen

Tempel und goldene Pagoden glänzen in Birma. Ein Land mit herzlichen, oft lächelnden Menschen, denen die Regierung viele Rechte vorenthält. Das Volk möchte Besucher. Doch Touristen sind rar

So viel Gold. Ob Buddha das gewollt hätte? Bald zehn Tonnen sollen die glänzenden Schichten an der Shwedagon Pagode in Rangun wiegen. Und sie besteht ja nicht nur aus der Hauptstupa, diesem mächtigen Kuppelgewölbe, das sich, nach oben verjüngend, hundert Meter hoch in den Himmel schraubt. Im oberen Teil ist das Gewölbe gespickt mit zehntausenden Edelsteinen, der größte Diamant soll ein Gewicht von 76 Karat haben. Zahllose kleinere Stupas umringen den schimmernden Riesen, Buddhafiguren sitzen majestätisch in kostbar verzierten Schreinen, bewacht von bunten Fabelwesen. „Mutter aller Pagoden“ wird die Shwedagon genannt und gleicht einem gigantischen Marktplatz des Glaubens.

Fast rund um die Uhr kommen Menschen hierher. Viele Menschen. Lautlos sind ihre barfüßigen Schritte auf dem weißen Marmorboden, leise die Gespräche und Gebete. Nicht nur Mönche in ihren weinroten Tuniken verharren in sich gekehrt vor einem Buddha oder stecken Blumen oder Kerzen in vorgesehene Behälter. Manch ein Buddha hat seine Form verloren, weil ihm Gläubige immer neue Goldplättchen ankleben. In winzigen Päckchen werden sie am Eingang feilgeboten - und verkaufen sich gut.

Die Shwedagon und all die anderen Pagoden und Tempel sind Oasen in Rangun. Davor rumpeln Busse, bisweilen arg qualmend, durch die Hauptstadt Birmas. Seit 1989 heißt das Land amtlich Myanmar, so wie man es bereits vor 800 Jahren nannte. Offiziell wollte die Militärregierung mit dem neuen, alten Namen, der international nicht überall anerkannt wird, einen Strich unter die koloniale Vergangenheit machen. Das Volk wurde nicht um seine Meinung gefragt. Die einheimische Reiseleiterin Khin findet die Bezeichnung Myanmar in Ordnung. „Myan heißt fest zusammenstehend und Mar bedeutet stark“, erklärt sie. Der Name passe also gut zum Land und seinem Alltag. „Im Bus zum Beispiel müssen wir eng zusammenstehen, und wenn wir nicht stark sind, bekommen wir erst gar keinen Platz darin.“

Natürlich fahren auch Autos durch die Zwei-Millionen-Stadt. Jeeps zum Beispiel, aus einheimischer Produktion. Eigentlich wolle sie niemand, denn sie taugten nichts, heißt es. „Wenn man nach rechts lenkt, fahren sie nach links“, sagt Khin. Die importierten Gebrauchtwagen seien besser, aber sie kosteten im Schnitt dreimal so viel, 15 000 bis 20 000 Dollar.

Wie soll ein normaler Birmaner diese Summe je zusammenbekommen? Der Durchschnittsverdienst beträgt zwei Dollar am Tag. Ein Lehrer etwa verdient zwischen 150 und 200 Dollar im Monat. „Die Menschen brauchen ein Nebeneinkommen, sonst kommen sie in der Stadt nicht über die Runden“, sagt Khin. Dabei ist Birma so reich, hat Edelsteine und sogar Öl. Warum gibt die Regierung nicht mehr Geld fürs eigene Volk aus, möchte man Khin fragen – und tut es dann doch nicht. Denn, was sollte sie darauf antworten? Wir fahren durch die University Street, vorbei an der Nummer 54, dem Haus von Aung San Suu Kyi. „15 Jahre war die Straße abgeriegelt“, sagt Khin. Nun ist der Hausarrest der Nobelpreisträgerin aufgehoben, aber Khin möchte trotzdem nicht, dass wir hier aussteigen. Vor einiger Zeit hatte eine französische Touristengruppe, entgegen den Bitten ihres Reiseleiters, vor dem Haus Fotos gemacht. „Danach durfte er zwei Jahre lang nicht arbeiten“, erzählt Khin. Am 8. November 2010 gab es Wahlen in Birma, seitdem gibt es einen neuen Präsidenten. Dürfen die Menschen nun auf demokratische Prozesse hoffen? Vor einer Ampel stauen sich die Autos, eine Frau geht zwischen den Fahrzeugen hindurch und hält eine aufgeklappte Zeitschrift in der Hand. Das Bild des Nationalhelden Aung San, Vater der Nobelpreisträgerin, ist gut zu erkennen. „Das ist neu“, sagt Khin. „Das wäre vor den Wahlen 2010 nicht möglich gewesen.“

Ein Indiz für Veränderungen? Buddha schweigt – und ruht entspannt in der Kyauk-htat-gyi-Pagode. Rund 70 Meter lang ist dieser „Liegende Buddha“. Was bedeuten die 180 unterschiedlichen, auf seine riesigen Fußsohlen gemalten Zeichen? Auf Englisch stehen Erklärungen an der Wand – und werfen noch mehr Fragen auf. „Der lange Speer“ steht da, „Eine Tasse voll Wasser“, „Die Sonne“ oder „Der Krokodilkönig?“ Das Ergebnis unterm Strich: „Buddha ist größer als die drei Welten.“

Vor der Halle steht eine junge Frau. Sie hält den Besuchern einen netzbedeckten Weidenkorb entgegen, in dem sich zehn Vögelchen drängeln. „Sie können einen freilassen“, sagt Khin, „es kostet 500 Kyat.“ Kann man einen halben Dollar besser anlegen? Ein Piepmatz flattert zum nächsten Baum. „Gut fürs Karma“, lobt ein Mitreisender, während ein anderer grummelt: „Der wird doch sowieso wieder eingefangen.“ Khin lächelt milde. Genau, wie sie es vorhin tat, als wir nicht glauben wollten, dass sie schon Ende 40 ist. Vielleicht liegt das an Thanakha, jener gelblich-weißen Paste, deren Spuren im Gesicht vieler Birmanerinnen zu sehen sind. „Thanaka kühlt die Haut, verfeinert die Poren und schützt vor der Sonne“, sagt Khin. Jede Frau stelle sie täglich frisch her, indem sie ein Stück vom Thanakha-Baum mit Wasser abreibe. Das Wunderholz gibt es auf jedem Markt zu kaufen.

Gut anderthalb Stunden dauert der Flug von Rangun nach Mandalay. Wie dieser Name klingt! Wir träumen uns in ein Märchen und wachen im Ort erschrocken auf. Wie viele Mopeds hier herumwuseln! In Rangun sind sie verboten. Der Fahrer des Minibusses hupt unentwegt – aber es nützt nichts. Aus Seitenwegen und Einfahrten biegen Zweiradfahrer sorglos auf die Hauptstraße ein, überholen sich in weitem Bogen, queren unvermittelt zur anderen Seite hinüber. Vertrauen sie alle darauf, sowieso 120 Jahre alt zu werden? Deshalb schließlich pilgern viele hinauf zum heiligen Mandalay Berg. Wer es ernst meint, geht die 934 Stufen zu Fuß. Andere nehmen Platz in klapprigen Pick-ups, die sich die schmale Asphaltstraße hoch zur Aussichtsplattform schlängeln.

Von oben sieht man auch die gut erhaltenen Mauern des einstigen Königspalastes. Im Zweiten Weltkrieg wurde er in Schutt und Asche gelegt – und in den 90er Jahren zum Teil wieder aufgebaut. Entstanden ist eine seelenlose Replik. Wie verwunschen wirkt dagegen das Shwe In Bin Kloster. Es gehört zu den wenigen Holzklöstern, die über die Jahrhunderte nicht zerfallen oder abgebrannt sind. Auch hier sitzt ein Buddha. In seinen Schoß hat sich eine Katze gekuschelt und schläft. Kein Mönch ist zu sehen. Vielleicht sind sie zur Kuthodaw Pagode gepilgert, um zu lernen. Denn hier in den 729 kleinen Pagoden rund um die große sind die Weisheiten Buddhas in Stein gemeißelt. „Um alle zu studieren, müsste man ein Jahr lang acht Stunden pro Tag lesen“, sagt Khin.

„Jetzt fahren wir zur Shwezigon Pagode“, ruft Khin. Als ob im Kopf heute noch Platz wäre für so ein Bauwerk - und sei es noch so prachtvoll. Bei der Shwezigon aber kann man gut ausbüxen, zum „Haus der 37 Nats“. Bunt angezogene Figuren sind es, die dort in Reih’ und Glied stehen. Nats gehören zu Birma wie das Salz in der Suppe. Denn während man Buddha verehren soll, darf man diese Geister auch um etwas bitten. „Buddha sagt, man darf nichts begehren“, sagt Khin. Aber die Menschen hätten eben Wünsche, und die könnten sie den Nats erzählen. Und hoffen, dass sie erfüllt würden. „Wir hatten drei Nats zu Hause“, erzählt Khin. Der Vater, ein strenggläubiger Buddhist, wollte sie nicht, aber die Mutter habe sich durchgesetzt. Eines Tages, als die Familie nicht zu Hause war, brannte es im Haus. „Da wollte auch meine Mutter keine Nats mehr, denn sie haben das Haus ja nicht geschützt“, erzählt Khin. Allerdings dürfe man die Geister nicht einfach wegwerfen, denn „dann könnten sie sich rächen“. Die Mutter habe sie, wie es in solchen Fällen Brauch ist, in einen Baum gehängt.

Die Menschen sind überaus abergläubisch in Birma. Auch die Regierenden. Nach den Wahlen bescherten sie dem Land neue Landesflaggen. Statt 14 weißen Sternen, stellvertretend für die verschiedenen Regionen, prangt nun ein einziger großer Stern darauf. „Vielleicht soll der Stern die Einheit unseres Landes symbolisieren“, rätselt Khin. Erklärt wurde die Änderung nicht. Was man allerdings wisse: Nur an einem Freitag Geborene durften die neuen Fahnen hissen. Das bringe Glück.

Auch am riesigen Inle See, wo die Menschen Obst und Gemüse auf „schwimmenden Gärten“ anbauen, weht die neue Flagge neben der Pagode der „Königlichen Barke“. Einmal im Jahr werden die Buddhas des Klosters in das Schiff verfrachtet und in festlicher Prozession über den See geschippert. Bis 1975 waren fünf Figuren mit von der Partie. Damals aber ließ ein Unwetter die Barke kentern, und die Buddhas versanken im Wasser. Nur vier habe man geborgen. Doch als man sie ins Kloster zurückbrachte, habe der fünfte dort bereits an seinem angestammten Platz gesessen. „Die Menschen dachten, er wollte eben nicht verreisen“, erklärt Khin – und lassen ihn seither in Ruhe.

Welcher Ort in Birma auch besucht wird, immer sind Pagoden da. Aber mit so vielen wie in Bagan, im Herzen des Landes, hatte keiner der Reisenden rechnen können. Tausende dieser Bauwerke verteilen sich auf einer weiten Ebene. Kleine, große, zerfallene und frisch vergoldete. Die Unesco wollte Bagan zum Weltkulturerbe machen, mit strengen Restaurierungsregeln. „Aber die Leute leben doch mit den Pagoden“, sagt Khin. „ Sie wollen sie auf ihre Weise verändern, reparieren, vergolden oder sogar neue bauen.“ Von einem 60 Meter hohen, modernen Turm aus kann man über die unglaublichen Schätze blicken. Auch ein luxuriöses Ferienresort ist zu sehen – mit Golfplatz. Das hätte die Unesco natürlich nie erlaubt.

Auch in Bagan, dem vielleicht schönsten Ort in Birma, sind nur wenige Touristen. Die Menschen hätten gern mehr Besucher. In einem Dorf am Inle-See fragte ein Fischer, wie es einem gefalle im Land. Und strahlte, als wir sagten: „Es ist wunderbar.“ „Dann erzählen Sie Ihren Freunden und Verwandten davon“, bat er. Dann kämen sie vielleicht auch.

In Bagan speisen wir „im Restaurant am Baum“. Rund um die kleine Garküche auf freiem Feld stehen Schemel und wacklige Tische. Ein Familienbetrieb. Die einfachen Gerichte schmecken köstlich. Preiswert ist das Essen – und die Bezahlung macht ein gutes Gewissen. „Wer nach Birma fährt, unterstützt eine Militärdiktatur“, hatte ein Freund vor der Reise streng gesagt. Aber, fließt unser Geld jetzt nicht in die richtigen Taschen?

Birma wirft viele Fragen auf – und ist faszinierend. Auch Rudyard Kipling hatte das so empfunden. Ende des 19. Jahrhunderts war der Schriftsteller in die damals noch englische Kolonie gereist. „Es ist völlig anders, als jedes Land, dass du je gesehen hast“, sagte er einem Freund. Daran hat sich nichts geändert.

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