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Nicht olympiareif. Die Gewässer von Mecklenburg bieten ideale Reviere für Hobby-Kanuten. Ein eigenes Boot braucht man nicht, es gibt genügend Verleihstationen.

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Deutschland: Der fröhliche Fluss

Die Warnow mäandert gemächlich durch Mecklenburg. Wasserwanderern drohen keine Klippen, doch manch kleines Abenteuer.

Bei der Kladower Brücke werden die Kanadier und Wanderkajaks zu Wasser gelassen. Die Warnow ist hier gerade so breit, dass der Zweisitzer gut quer durchfahren könnte. „Die Richtung geht immer mit dem Wasser“, ruft Sven-Erik Muskulus den Anfängern zu und lacht. Der gebürtige Berliner ist Soziologe und organisiert seit zwölf Jahren Kanutouren auf der Warnow von Barnin nach Rostock, eine Strecke, für die man gut fünf Tage braucht. Erst weist Sven ein, verteilt Schwimmwesten, eine Gewässerkarte, Paddel und eine Packtonne. Nach ein paar Metern hat jeder den Dreh raus, wie das Kanu zu steuern ist.

Das Ufer ist durch hohes Schilf gerahmt. Die Welt dahinter ist bald vergessen. Gelbe Schwertlilien und blaue Natternköpfe blühen. Auf der Wasseroberfläche ziehen sich Teppiche aus gelben Teichrosen, auch Mummel genannt. Prachtlibellen huschen darüber hinweg, und wenn sie die Flügel aufklappen, leuchten sie im Sonnenschein in betörendem Stahlblau. Die Kanuten lehnen sich zurück und lassen sich treiben. Das Plätschern vom Eintauchen des Paddels und das Konzert von Wasseramsel, Mehlschwalben und Waldwasserläufer sind die einzigen Geräusche. Seliges Seelenbaumeln mit dem sanft dahingleitenden Kanu bis zum Wasserrastplatz Gut Vorbeck. Wer ihn für die Tagesetappe ansteuert, kann sein Zelt aufschlagen, in rustikalen Holzhütten Quartier nehmen oder ins nagelneue, schicke Bed & Breakfast einziehen.

Am nächsten Tag plätschert die Warnow wieder über die Flusskiesel. Das Wasser ist so klar, dass man bis auf den Grund sehen kann. „Der Wasserstand ist extrem niedrig“, erklärt Sven. Sinkt er unter 30 Zentimeter, herrscht in sensiblen Abschnitten wie den drei Durchbruchstälern sogar Paddelverbot. Die Warnow durchfließt mehrere Naturschutzgebiete, in denen die gefährdete Bachmuschel, die Meerforelle, das Bachneunauge und der Biber zu Hause sind. Vor einem Jahr schlossen Kanuanbieter deshalb eine freiwillige Vereinbarung, bei Niedrigwasser auf das Befahren betroffener Abschnitte zu verzichten. Sie bieten Transfers an und empfehlen Alternativstrecken.

Das Kanufahren habe sich zum Trendsport entwickelt, sagt Sven. Aktuell gebe es 15 Kanuverleiher, fast jedes Jahr komme einer dazu. Seit diesem Sommer wird der Schutz noch intensiviert. „Die Bachmuschel ist von europaweiter Bedeutung und ein Indiz für besonders saubere Fließgewässer“, sagt Jan Lippke vom Naturpark Sternberger Seeland. Einst war die Süßwassermuschel fast ausgestorben, bis sich der Bestand in Mecklenburg-Vorpommern und in der Warnow stabilisierte. Die größte Gefährdung erfolge heute durch aufsitzende Kanus und das Eindringen der Stechpaddel. Lippke setzt auf Vernunft. Wenn gefährdete Strecken trotz der Verbots- und Hinweisschilder befahren würden, müssten Abschnitte gesperrt werden. Falschpaddler riskieren ein Bußgeld von 35 bis 5000 Euro.

Die Warnow ist kein Wildwasserfluss. Die Herausforderung liegt in Wehren, Baumhindernissen, Stromschnellen und Findlingen, die die Eiszeit in der Endmoränenlandschaft hinterlassen hat. Hinter Langenbrütz kündigt sich das Durchbruchstal von Karnin an, vor gut 18 000 Jahren vom Eis geformt – hügelig, verwunschen, dramatisch. Der Fluss mäandert fröhlich, die Vegetation wird immer urwüchsiger. Der Auwald beschirmt den Flusslauf durch hohe, dicke Erlen, Holunder und Eschen. Die einzelnen Baumhindernisse in der Kanukarte waren zur Förderung des Wassertourismus bereits beseitigt worden. Doch nun liegen da zwei ausgewachsene Exemplare quer über dem Fluss. Eine interessante Variante, aber was nun? Die Ersten klettern auf den Stamm, um das Boot drüberzuheben. Die vom zweiten Boot treideln und ziehen das Kanu unter dem Hindernis her. Im dritten legen sich die Paddler flach und stemmen sich unter dem Baum hindurch. Ein Kraftakt, doch hinterher freuen sich alle über das kleine Abenteuer.

Mit dem Gesang der Nachtigall wieder ins Boot

Achtung Seerosen. Auf der Warnow können Kanuten neben üppigen Pflanzen mit etwas Glück auch einen Biber entdecken.
Achtung Seerosen. Auf der Warnow können Kanuten neben üppigen Pflanzen mit etwas Glück auch einen Biber entdecken.

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Am Flussufer von Alt Necheln liegt die Naturschutzstation Haus Biber & Co. Der Naturschützer Peter Lindemann richtete Infozentrum und Dauerausstellung im Jahr 2000 ein, in dem alles über den Nager zu erfahren ist. Der letzte Vertreter in Mecklenburg war vor gut 200 Jahren erlegt worden. Vor gut 20 Jahren wurden einige Exemplare wieder angesiedelt und der Bestand im Naturpark Sternberger Seenland ist auf 400 Tiere gewachsen. Entlang der Warnow gibt er sich durch Nagespuren an Bäumen, Staudämmen und Biberburgen zu erkennen. Der große Nager selbst zeigt sich nicht so schnell, weil er gut hört, auch unter Wasser. Stattdessen gluckst und blubbert die Warnow, Fische formen Wasserringe. Plattbauchlibellen tänzeln, und ein Eisvogel jagt vorbei. Doch das Erscheinungsbild ändert sich mehr und mehr. Die Warnow wird breiter, fließt schneller und die gelben Teichrosen verschwinden zugunsten weißer Seerosen. Zum Pausieren kann man am Naturdorf Eickhof festmachen, einer Herberge mit einfachen Zimmern und Heuhotel.

Frühmorgens geht es mit dem Gesang der Nachtigall wieder ins Boot. „Seid mal still!“, ruft Sven den munter plappernden Paddlern zu. Und dann sind auch die Rohrammer, der Bluthänfling, die Lerche und Spechte zu hören. Nach langer Schilffahrt ist Kloster Rühn eine willkommene Abwechslung. Die Boote lagern am Warnow- Rastplatz, zum Gotteshaus der Zisterzienserinnen sind es nur 200 Meter zu Fuß. In schlichter Schönheit überragt die göttliche Bodenstation das kleine Dorf, ein typisches Beispiel der norddeutschen Backsteingotik von 1232. Um den Bau zu retten, organisiert ein aktiver Klosterverein Feste, serviert die Klosterschenke deftige Gerichte und verkauft die Biomanufaktur eigene Öle und Kräutersenfe.

Überhaupt ist auf dieser Etappe Kultur angesagt. Gut 15 Kilometer weiter liegt Schwaan. In dem Ackerbürgerstädtchen war um 1900 eine Künstlerkolonie ansässig, die aber nie den Ruhm eines Worpswedes oder Ahrenshoops erreichte. Glanzpunkte im Kunstmuseum sind die Gemälde von Rudolf Bartels, bekanntester Schwaaner Künstler und einer der bedeutendsten im Ostseeland. „Mit seinen expressiven abstrakten Werken gehört er zur Moderne“, erklärt Museumsleiter Heiko Brunner am Beispiel von Bartels’ „Laternenkinder“. Doch Brunner will noch anders punkten: „Wir sind auch per Kanu zu erreichen.“ Der neue Kanuanleger sei schon im Bau.

Die Warnow wird immer breiter und schon türmen sich auch die stolzen Zeugen der Hansestadt Rostock auf, erst die Backsteinkirche St. Petri, dann St. Nikolai. Neben Boots- und Ferienhäusern liegen auch die Stege der Kanuvermieter, wo sie die vermieteten Boote wieder in Empfang nehmen. Denn an der Mühlendamm-Schleuse endet das Kanu-Vergnügen. Hinter dem Wehr beginnt die Unterwarnow und der Mündungsbereich. Ab hier verkehren Motorboote, bald auch die ganz großen Kähne und Pötte.

Der Kanute ist jetzt ohne Boot. Er wählt ein Ausflugsschiff, um zur Mündung zu kommen. An der Uferpromenade stehen hanseatische Giebelhäuser, Jachten und Containerschiffe ziehen vorbei. Im Überseehafen inszenieren sich Kräne, Werften, Fähranleger und Passagierterminals. Bis 1901 war der Alte Strom bei Warnemünde der einzige Zugang zur Ostsee. Er wurde abgeriegelt und ein breiter Seekanal gebaut, als der Schiffsverkehr zunahm. Und dann doch noch ein Hauch vom Duft der großen, weiten Welt – am Leuchtturm fährt ein Kreuzfahrtschiff aufs Meer hinaus.

Beate Schümann

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