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© Nina C. Zimmermann

Reise: Holz für die Welt

Im erzgebirgischen Seiffen können Besucher in der Vorweihnachtszeit den Spielzeugmachern über die Schulter schauen

„Markt und Straßen stehn verlassen, still erleuchtet jedes Haus ...“ Diese Eichendorff-Zeilen kommen einem bei einer Fahrt durch die Dörfer des mittleren Erzgebirges in den Sinn. Draußen ist es kalt und dämmerig, beinahe jedes Fenster mit reich geschnitzten Schwibbögen oder kerzentragenden Engeln und Bergmännern festlich geschmückt. Besonders stimmungsvoll wird dieser Anblick, wenn dick Schnee liegt. Es hat schon seinen Grund, warum die Region rund um das sächsische Dorf Seiffen auch als „Weihnachtsland“ bezeichnet wird.

Generationen sind hier als Holzspielzeugmacher tätig gewesen – eine Tradition, die sich bis heute gehalten hat. Auch Hendrik Neubert steht in dieser Reihe: Seine Vorfahren haben um 1900 eine Holzwarenfabrik in Seiffen gegründet, in der er heute eine Schauwerkstatt betreibt.

Der Spielzeugmacher hat einen langen, spitz zulaufenden Stift aus Lindenholz in seine Drechselbank eingespannt. Vorsichtig bearbeitet er den rotierenden Stift. Späne fliegen umher, als er dünne Holzschichten zur Spitze hin schiebt. Ring um Ring entsteht aus dem Holz ein kleiner Tannenbaum. „Fertig ist das Ringelbäumchen“, sagt Neubert und hält sein Werk empor. „1000 Stück muss man schon üben, bis die Bäumchen auch vorzeigbar sind.“    

Ein paar Schritte weiter stehen Dutzende winzige Kühe und Schafe auf einem Tisch – sogenannte Reifentiere. Sie erfordern noch mehr Fingerspitzengefühl als die Ringelbäume: Eine ganze Baumscheibe wird so gedrechselt, dass am Ende scheibchenweise 40 bis 60 Tiere wie Tortenstücke geschnitten werden können. „Erst wenn der Ring aufgespalten ist, sehe ich, ob das Tier gelungen ist“, erklärt Neubert. Ist das der Fall, werden bei jedem einzelnen die Beine auseinandergesägt, die Kanten geglättet, Ohren, Hörner und Schwänze angeklebt. Dann folgt die Bemalung.

Spielzeug- und Weihnachtsschmuck aus dem Erzgebirge: Die Herstellung ist kleinteilige Handarbeit, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat, erläutert Konrad Auerbach, der Direktor des Spielzeugmuseums Seiffen. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts suchten die Menschen in der Region rund um die Dörfer Seiffen und Olbernhau bis hinüber ins böhmische Erzgebirge nach neuen Erwerbszweigen – weil der Bergbau nicht mehr genug abwarf. Waren es zunächst hölzerne Gebrauchsgüter wie Teller und Knöpfe, begannen sie Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Holzspielzeugproduktion. „Weil Seiffen sehr abgelegen ist, war es logistisch am einfachsten, Kleinspielzeug herzustellen“, erzählt Auerbach.

Denn dieser Kleinkram ließ sich gut in Kartons verpackt transportieren – als „Schachtelware“. Ganze Bauernhöfe aus Reifentieren konnten so bis in ferne Länder verschickt werden. Doch gerade beim Weihnachtsschmuck werden diese fernen Länder manchmal zum Problem, sagt Sabine Bernhardt. Sie sitzt in der ungeheizten achteckigen Kirche von Seiffen und strickt. Die Kirche ist ein Sinnbild des weihnachtlichen Erzgebirges: Mit ihrer unverkennbaren Form ziert sie unzählige Schwibbögen oder ist Hintergrund für die Kurrendesänger genannten Figurengrüppchen, die in fast jedem Laden in Seiffen als Dekoration zu haben sind.

Der genaue Blick lohnt – denn nicht alles, was als „echt erzgebirgisch“ angeboten wird, stammt aus Seiffen und Umgebung. Zur Illustration bückt sich Sabine Bernhardt und holt zwei Schwibbögen hinter dem Altar hervor. Der eine hat eine achteckige, der andere – eine asiatische Fälschung – eine sechseckige Kirche als Dekoration. „Die Unterschiede zeigen sich auch an den gedrechselten Bäumen: Die echten sind viel feiner gearbeitet“, sagt Bernhardt. Die gelernte Holzspielwarenmacherin spürt die Konkurrenz aus Fernost am eigenen Leib: Früher hat sie von Mai bis Dezember Arbeit gehabt, inzwischen ist sie erst ab September oder Oktober in einer Schauwerkstatt tätig.

Im Ort konkurrieren 300 bis 400 Handwerker miteinander. Und doch ist jedes Stück etwas ganz Besonderes – für den einen Kunden ist es eine nostalgische Erinnerung an die Kindheit, andere haben einfach Freude an schönen Dingen.

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