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Fast ganz für sich hat die überschaubare Zahl von Touristen die Sehenswürdigkeiten entlang des Nils. Hier der Tempel der Königin Haptschetsut nahe Luxor.

© Schulte Döinghaus

Im Tal der Könige: Wendepunkte am Strom

Auf dem Nil pendeln die Kreuzfahrtschiffe weiter von Luxor nach Assuan. Doch keins ist ausgebucht. Allerdings: Die Ägypter sind voll Hoffnung.

Der Fremde wacht auf, öffnet die Augen, schaut. Für einen verwirrten Moment glaubt er, vor einer Fototapete zu liegen. Der Nil scheint sogar dort still zu stehen, wo sich sein Wasser kräuselt. Mittagshitze drückt auf das Sonnendeck, selbst das Schauen macht Pause. Bis auch die Stadt Assuan wieder in Fahrt kommt, wird es eine Weile dauern. Jetzt ist die Tageszeit, in der das Leben am Fluss dahinschlurft, wenn es den Rindviechern schwer fällt, mehr als den nötigsten Halm zu kauen, und dem Armeesoldaten drüben vor der koptischen Kathedrale der Schwung fehlt, sich eine Zigarette anzustecken. Täuscht die Ruhe? Wir wollen wissen, wie sich in diesen Tagen eine Kreuzfahrt auf dem Nil gestaltet, dem Fluss, dem im vergangenen Jahr die Touristen ausgegangen sind.

Auf Militär und Polizei trifft der Besucher allenthalben; an den Nilufern, wo seit mehr als 100 Jahren die Touristen für Geschäft und Einkommen sorgen, wird heute angesichts der politischen Wirren ostentativ „öffentliche Sicherheit“ signalisiert. Auf vielen Kreuzfahrtschiffen reisen Sicherheitskräfte in Zivil mit. Der Assuan- Staudamm ist deutlich bewacht, ebenso öffentliche Gebäude wie das Gericht. Diskreter abgeschirmt wirkt die Einfahrt zum legendären Old Cataract Hotel, wo Agatha Christie einst „Death on the Nile“ schrieb, den Krimiklassiker zur Nilreise.

Assuan ist der Wendepunkt einer siebentägigen Nilkreuzfahrt, die 220 Kilometer nördlich in Luxor beginnt und dort auch wieder endet. Zwischendurch bugsieren die vierstöckigen Kreuzfahrtschiffe ihre Passagiere in die Nähe von Monumenten, Tempeln und Grabstätten aus den 31 Dynastien des ägyptischen Altertums, das von 3100 vor Christus bis 332 Jahre vor der Zeitenwende dauerte. Regelmäßig wird die ägyptische Pracht entlang der Flussufer angesteuert: das Tal der Könige, der Tempel der Königin Hatschepsut, die Tempelanlage von Edfu. der Tempel auf der Insel Philae, schließlich die Tempel von Kom Ombo, Karnak und Luxor. Vielleicht gibt es nirgendwo sonst auf der Welt die Möglichkeit, in kurzer Zeit durch die komplette Kulturgeschichte einer Zivilisation zu reisen – erholsame Zwischenaufenthalte an Bord eines schwimmenden Hotels inklusive.

Aber der Reiseklassiker „Nilkreuzfahrt“ tut sich auch in diesem Jahr schwer. Auf den Oberdecks so manchen Schiffes sehen wir nur eine Handvoll Gäste. Vielen Kreuzern, die in Dreier- oder Viererpäckchen ankern, sieht man an, dass sie lange nicht mehr in Bewegung waren. Die Sehnsuchtstouristen bleiben aus. Schuld daran sind nicht zuletzt fremdenfeindliche Umtriebe in Kairo, Port Said und Alexandria, Angriffe auf westlich gekleidete Frauen, Übergriffe gegen koptische Christen, Hassbotschaften von Muslimbrüdern gegen Ungläubige sowie gegen westliche Trink- und Bekleidungsgewohnheiten. Die Folge: Im vergangenen Jahr halbierten sich die Touristenzahlen gegenüber dem Vorjahr 2011; im aktuellen Reisejahr 2013 bahne sich eine leichte Besserung an, heißt es.

Weil diese Hoffnung besteht, bleiben in den Innenstädten die Geschäfte geöffnet. Allerdings gehen die Souvenirverkäufer im Wettbewerb um die Kunden noch hartnäckiger und aufdringlicher zu Werke als gewohnt. Doch die soziale Kontrolle funktioniert. Als ein junger Händler sich vor dem Luxortempel – in welcher Absicht auch immer – an einer europäischen Frau zu schaffen machen will, schlägt ihm umgehend der Furor von Gleichaltrigen und Kollegen entgegen. Er schleicht sich davon.

Damit das Hoffen wieder in Euro, Pfund, Dollar, Rubel und Yen umschlägt, rudert die Obrigkeit eilfertig zurück. Fast botmäßig reiste der ägyptische Präsident Mohammed Mursi unlängst in die Touristenhochburg Luxor, um ausländische Gäste willkommen zu heißen, ihnen körperliche Unversehrtheit zu versprechen sowie das Recht auf Alkohol und Bikinis in Hotels sowie auf Kreuzfahrtschiffen. 300 davon kreuzen auf dem Nil. Normalerweise. Jahrzehntelang waren sie Garanten für Umsatz durch Touristen aus aller Welt und gerne aus Großbritannien, Japan, Australien und Deutschland.

In den Marktgassen jenseits der Bahn versorgen sich die Einheimischen

Bitte recht freundlich am Tempel von Edfu.
Bitte recht freundlich am Tempel von Edfu.

© Schulte Döinghaus

Die meisten Kreuzfahrer sind im Pensionsalter, doch es gibt auch Familien, deren Mitglieder auf der ganzen Welt verstreut sind und die sich zum Familientreffen auf dem Nil verabreden. Etwa eine Berliner Sippe. Tochter und belgischer Schwiegersohn betreiben zwei kleine Hotels irgendwo im Nildelta; die Mutter arbeitet als Buchhalterin in einer Berliner Firma, er als abgeordneter Polizeiberater in Afghanistan. Gemeinsamer Treffpunkt in diesem Jahr: die „Sunray“ auf dem Nil. Sie bewohnen darin Kabinen, die nichts anderes sind als geräumige Fünf-Sterne-Hotelzimmer mit Dusche, Bad, WC, Klimaanlage und beinahe ausladendem Doppelbett, von dem aus man entweder das langweilige Fernsehprogramm oder das quirlige Leben auf und am Fluss verfolgen kann – und zwar aus einem ganz normalen Hotelfenster.

Die „Sunray“, sie gehört zur schweizerischen Mövenpick-Unternehmensgruppe, ankert heute am Ostufer, zwischen der Nilinsel Elephantine einerseits und in unmittelbarer Nachbarschaft der Uferstraße. Zerschnitten wird die Stadt durch den Bahnstrang der Eisenbahnlinie, die von Kairo über Luxor bis hierher fährt. Westlich davon sind die Vorzeigequartiere mit den Märkten, auf denen für den gehobenen und für den touristischen Bedarf feilgeboten wird.

In den Marktgassen jenseits der Bahn versorgen sich die Einheimischen; Rinderhälften baumeln vor dem Metzgerladen, eine Interessentin in der Burka prüft und füllt eine Plastikkiste. Über die aufgestapelten Fische nebenan beugen sich Männer, teils westlich, teils orientalisch gekleidet, einige barhäuptig, andere mit Fes. Gezänk hinter den Obst- und Gemüseständen, von den Gewürzauslagen duftet der Orient aus allen Ritzen; ein Händler räuchert seine Uhren mit Weihrauch ein, als wolle er sie segnend vom Qualitätstatus „zweifelhaft“ zur Note „echt“ befördern. Labyrinthisch verzweigen sich die Wege unter den Planen, der eine oder andere heftige Ruf scheint dem Fremden zu gelten, dessen Neugier alle Sicherheitsbedenken zunichte macht, die heute sowieso nicht angebracht sind. Leben am Nil.

Drüben auf Elephantine liegt eine Ausgrabungsstätte, die einem Nubierdorf aus Lehmziegeln benachbart ist. Im Alten Ägypten war die Insel Lagerplatz für Elefanten, heute ist sie Schauplatz internationaler Grabungskampagnen. Beteiligt ist auch das Deutsche Archäologische Institut. Vielleicht war es eine frühe Grabkammer, deren Wände ein Archäologenduo ausmisst, während Jitse H.F. Dijkstra ein paar Granitblöcke weiter auf altmodischen Papierpausen zeichnet und die Studentin Sabrina Fotos und Formulare ordnet. Forschungsgegenstand des Archäologieprofessors aus dem kanadischen Ottawa sind Graffiti aus der Zeit der Römer, Griechen und Araber und das, was sie uns über das religiöse Leben aus jener Zeit erzählen. Irgendwelche Probleme, Herr Professor? „Überhaupt keine“, sagt der gebürtige Holländer. Im zuständigen „Inspektorat Assuan“ des Staatsministeriums für Altertumsangelegenheiten herrsche neuerdings zwar eine gewisse Unübersichtlichkeit, das sei aber alles, sagt er freundlich und paust weiter in einer krummbuckligen Haltung, die nach der Berufsgenossenschaft schreit.

Breit genug ist der Nil, damit sich die Kreuzfahrtkapitäne ein paar Überholmanöver leisten können, um bei Laune zu bleiben. Und schmal genug ist der Fluss hier zwischen Ober- und Unterlauf, dass die Passagiere ein bisschen das Leben am Fluss beobachten können. Snobs tun das in der Schiffsbar oder von Korbstühlen aus. Die unglaublich aufmerksamen Servicemitarbeiter halten mit dem Durst ihrer doch wenigen Gäste mühelos Schritt. Dafür fällt das Bordprogramm – mit abnehmender Gästezahl – meist routiniert aus. Verkleidungspartys und Bauchtanzvorführungen sind ohnehin nicht jedermanns Sache. Doch wer’s mag. Die anderen begnügen sich mit einem abwechslungsreichen und gesunden Büfettangebot bei Frühstück, Lunch und Dinner. Getränke kommen allerdings extra.

Der Sage nach fand Isis hier das Herz ihres Mannes

Kein Flachmann. Die „Sunray“
Kein Flachmann. Die „Sunray“

© promo

An Deck schützt ein ausladendes Sonnensegel, unter dem sich das Bordleben tagsüber abspielt, wenn es nicht allzu heiß ist. Wer will, kann sich in einem Pool abkühlen, der 1,50 Meter tief und geräumig wie ein Berliner Altbauwohnzimmer ist. Ein paar Stufen abwärts – und wir können dem „Rais“ bei der Arbeit zuschauen, dem Kapitän. Das hüfthohe Steuerrad ist zwar funktionsfähig, doch der „Rais“ bevorzugt eine Art Joystick, den er mit dem Mittelfinger bewegt, um das Schiff auf Kurs zu halten. Der Schnauzbärtige im Männergewand trägt die Taqiyah, eine schlichte und weiße Kopfbedeckung. Er strahlt große Ruhe und Freundlichkeit aus – vielleicht hat das auch etwas mit dem zerlesenen Koran zu tun, den er links griffbereit abgelegt hat.

Wir sehen Halbwüchsige, die Netze auslegen, mit Paddeln auf den Fluss eindreschen und dabei Krach schlagen, um die Nilbarsche in die Reusen zu treiben. Bauern am Ufer schneiden Viehfutter, andere bringen auf knatternden Mopeds Bündel mit Zuckerrohr in die nächste Fabrik. Nirgendwo sonst, so ist zu lesen, werde mehr Zucker pro Kopf konsumiert als in Ägypten. Kinder kraulen derweil durch den Nil und winken.

Zwischenhalt vor Agilkia, einer etwas höher gelegenen Insel, auf die die Tempelanlagen von Philae gebracht wurden, um sie vor Überschwemmungen durch den Assuan-Stausee zu bewahren. Vor Agilkia dümpeln Dutzende Fährboote, unbemannt und ohne Gäste. Auf der Insel selbst geht es zu wie auch einige Meilen weiter in Karnak oder in der Tempelanlage von Luxor: Die Besucher haben Platz. Touristenscharen, die sich beim Staunen gegenseitig behindern, sind in diesen Märztagen nicht unterwegs – ein durchaus vorteilhafter Effekt. Wir haben Zeit und Muße, die Anlagen zu durchstreifen und all die Zeichen und Hieroglyphen zu bewundern, die auf den Säulen angebracht sind.

Der Sage nach fand Isis hier das Herz ihres Mannes Osiris, aber die Geschichte endete in einem ziemlichen Gemetzel zwischen allerlei Göttern. Das wünschen wir dem jungen einheimischen Paar nicht, das sich abseits in den Schatten zurückgezogen hat – er in westlicher Kleidung, sie in Burka mit Sehschlitz.

Die Schleuse vor Luxor ist der Arbeitsplatz von Händlern, die den Touristen Tücher und Galabijas – helle Männergewänder – verkaufen. Je nach Schleusung werfen sie ihre Ware zur Ansicht in spektakulär hohem Bogen aufs Sonnendeck oder offerieren sie ihren Kunden in Augenhöhe – ein großartiges Spektakel! Die Händler seien einfallsreicher und aggressiver geworden, sagt unser kundiger Guide, ein erklärter Oppositioneller, studierter Ägyptologe und konzessionierter Fremdenführer. Die Wirren der Nachrevolution hätten die Händler und ihre Familien oft um die Einnahmen gebracht, aber man sei wieder hoffnungsvoll, sagt er und muss seine Sätze gegen die Kakophonie stemmen, die im abendlichen Leben am Nil anschwillt.

Wer kann, der hupt. Ambulanzfahrzeuge sind drüben auf der Ausfallstraße im Einsatz, die Glocken der orthodoxen Koptenkirche läuten zur Vesperandacht, aus den Lautsprechern der zahlreichen Moscheen, kommen – sehr unsynchron – Koranverse. Vor uns formiert sich kreischend ein Schwarm Seidenreiher, der im Licht der untergehenden Abendsonne verschwindet.

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