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Klettern in Osttirol: Haken für Haken

Bloß nicht in den Abgrund schauen: In den Lienzer Dolomiten dürfen auch Kletteranfänger hoch hinauf.

Da stehe ich nun. Auf rund 2000 Metern Höhe, auf dem Kopf einen unvorteilhaften hellblauen Helm, ein Klettergeschirr um die Hüfte geschnürt. Rundherum ragen die grauen Felsnadeln der Dolomiten, direkt über mir der Gipfel, die Große Gamswiesenspitze. Da soll ich gleich hinauf. „Schön festziehen“, sagt Kletterführer Helmut Mühlmann, der „Heli“, wie sie ihn hier nennen. Er grinst, während mir noch der Schweiß des Aufstiegs übers Gesicht rinnt. 1100 Höhenmeter, in zweieinhalb Stunden stramm durchmarschiert. Eine ordentliche Leistung für eine Großstädterin. Ich bin völlig am Ende, dabei war das erst der „Zustieg“, eine Art Aufwärmen vor der eigentlichen Bergbesteigung mit Kletterausrüstung.

Rund drei Stunden auf dem Madonnenklettersteig, benannt nach einer Felsnadel kurz vor dem ersten Gipfel, die einer Madonna ähneln soll, müssen noch bewältigt werden. Und dann muss ich ja auch noch wieder runter.

Nie zuvor war ich auf einem Klettersteig. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, was das genau ist. Aber es sollte eben gleich die Profitour sein. Ich hätte mich wie andere im Team vorbereiten können, im Hochseilgarten vom Osttiroler Ort Lienz etwa. Und dann üben in der Galitzenklamm, wo der Klettersteig bedeutend einfacher ist. Ach was. Wer sportlich ist, packt das auch so. Dachte ich.

Bei der Anmeldung habe ich magere, lang zurückliegende Klettererfahrungen (an einer Kletterwand in einer niedersächsischen Turnhalle) ausgeschmückt und jahrelange Wandererfahrungen mit den Eltern einfließen lassen. Lissi Steurer, die die Bergschule Bergstatt in Lienz leitet, ließ sich damit überzeugen und gewährte einen Platz in der Profitour. Nur die Schuhe … „Ist das alles, was du dabei hast?“, fragte Lissi Steurer ungläubig, als sie meine alten Laufschuhe, Baujahr 1992, sah. „Damit kommst du den Klettersteig nicht hoch“, sagte sie. „Du brauchst eine feste Sohle, sonst rutschst du ab.“ Die übrigen Kletterer in der Runde trugen robuste Wanderstiefel, Wanderhosen, atmungsaktive T-Shirts und Multifunktionstücher. Im örtlichen Sportgeschäft gab es Bergschuhe zum herabgesetzten Preis. Mit denen stiefelte ich dann gemeinsam mit den anderen los.

Nun, drei Stunden und gefühlte drei Liter Schweiß später, ist der Elan dahin. Meine Wasserreserven sind beinahe aufgebraucht, bevor das Klettern überhaupt begonnen hat. Ich bedauere, weiter unten am klaren Gebirgsbach nicht noch einmal meine Flasche aufgefüllt zu haben und verfluche das Ausschmücken der Turnhallengeschichte. Doch bevor ich den Gedanken ans Aufgeben ausspinnen kann, hat mir Helmut Mühlmann bereits die Klettersicherung umgelegt. Mehrere Seile baumeln nun von meinen Hüften, zwei kann ich mit großen Stahlkarabinerhaken an einer Seite lösen. Damit soll ich mich gleich am Berg absichern, der bedrohlich über mir aufragt. Wie karg es hier oben ist. Während der ersten Wanderstunden sah man noch Enzian, Alpenrosen und Anemonen. Nun bildet der brüchige Kalkstein beängstigende Zacken um mich herum.

Langsam verstehe ich, wie das mit dem Klettern funktionieren soll. Der Madonnenklettersteig besteht aus 650 Metern Stahlseil, die direkt am Berg befestigt sind. Daran kann ich mich einhaken. Glücklicherweise erklärt Helmut Mühlmann auch den Profis noch einmal, wie das geht: „Immer mit beiden Karabinern absichern, damit ihr beim Umhängen nicht ungesichert seid.“ Eigentlich ganz leicht: Einen Karabiner einhaken, dann den zweiten, bis zur nächsten Befestigung des Stahlseils am Berg, dann einen Karabiner aushängen, wieder einhängen, den zweiten aushängen, wieder einhängen und weiter geht‘s. Es hat etwas Meditatives. Und es macht Spaß.

Immer steiler wird der Fels. Ich hänge in der Wand, tief unter mir der Abgrund. Die Füße suchen den richtigen Halt, die Hände hängen die Karabiner um, immer einen nach dem anderen. Wieder ein Stück höher geschafft. Konzentration ist gefordert. Helmut Mühlmann warnt vor Steinschlag: „Vorsicht, der Fels ist brüchig“, sagt er. „Wenn etwas runterfällt sofort die anderen warnen.“ Und dann bloß nicht reflexartig nach oben schauen. Ich will gar nicht erst darüber nachdenken. Einfach weiter: einhaken, aushaken …

Dann ist die „Hängebrücke“ erreicht. Das ist eine vielleicht fünfzehn Zentimeter schmale, freischwebende Stahlkonstruktion, die rund zehn Meter über eine Schlucht führt. Ich schlucke, zögere. Dann hänge ich mich in das Stahlseil ein und setze langsam einen Fuß vor den anderen. Bloß nicht hinunterschauen. Hunderte Meter tief lauert der Abgrund. „Hände loslassen“, ruft Mühlmann lachend von hinten. Ich wage es, ganz kurz lasse ich los, strecke beide Arme in die Höhe, wie ein Tennisspieler nach dem Matchgewinn. Es wackelt. Schnell nach dem Stahlseil greifen. Aufatmen, als der inzwischen vertraute, brüchige Kalkstein wieder unter den Füßen ist.

Da wartet sie, die Madonna. Gleich sind wir oben. Doch erst wird es richtig anspruchsvoll, die letzte Passage, so hatte Mühlmann gesagt, hat die Schwierigkeitsstufe C. „Gleich geschafft“, dieser Satz schießt mir durch den Kopf. Das gibt Kraft. Und dann der Lohn für alle Schinderei: Ringsherum tut sich eine grandiose Aussicht auf. Es ist atemberaubend. Unten liegen Laserzkessel und Kerschbaumertörl, im Norden ist der Großglockner zu sehen. Man kann sich nicht sattsehen an dem grandiosen Panorama. Wenn es nur nicht so frisch wäre hier oben auf 2488 Metern.

Helmut Mühlmann schaut beunruhigt in die dunklen Wolken. Lissi Steurer hatte gewarnt: „Wenn’s gewittert, dann sitzt man da oben wie auf einem Blitzableiter.“ Der Kletterführer bleibt ruhig. Zwar gebe es nachmittags oft Gewitter in den Dolomiten, andererseits ändere sich das Wetter im Fünfminutentakt. Wir haben Glück. Die Wolken ziehen vorbei. Trotzdem mahnt Helmut Mühlmann, uns mit dem Besteigen der Kleinen Gamswiesenspitze zu beeilen. Man könnte auch vorher abbiegen, zurück ins Tal, doch ich will mehr. Einhaken, aushaken … Diesmal gibt es Passagen, die fast senkrecht hinaufgehen. Aber schließlich stehe ich auf einem Tableau von nicht mehr als drei Metern Durchmesser. Eine neues, riesengroßes Gefühl macht sich breit. Es suggeriert: Von nun an schaffe ich alles.

Darauf trink ich – nach dem Abstieg – einen Schnaps auf der gemütlichen Kerschbaumeralm. Hundemüde. Kein Wunder, schließlich stecken mir fast neun kraftraubende Stunden in den Knochen. Egal. Zwei Gipfel am ersten Tag. Das muss mir erst mal jemand nachmachen.

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