zum Hauptinhalt
Bereit zum Ablegen. Die nostalgisch anmutende "Sea Clod II" wartet im Hafen auf die Reisenden.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 2: Einschiffung wird kommen

"Leinen los!" hieß es gestern Abend im Hafen von Las Palmas. Noch an Land wurden erste Bekanntschaften geschlossen.

„Cheers“ und „Happy Crossing“ – die „Sea Cloud II“ hat nach dem Abendessen um 21Uhr 30 im Hafen von Las Palmas losgemacht und rollt bei einem Seegang von Stärke 4 und einem Wind der Stärke 6 auf den Atlantik hinaus. Die stählernen Rollen der Gangway klingen im Hin und Her der Schiffsbewegung zum Abschied wie ein gestopftes Saxophone von Ornette Coleman: Freejazz. Ja, wir sind so frei, verlassen den Hafen und dessen Schutz. „Der Wind bläst die Lasten weg“, sagt eine Mitreisende aus Österreich, die sich mit der Reise auf der „Sea Cloud II“ in die Karibik einen Kindheitstraum erfüllt. So wie auch ich.

Die Lichter von Las Palmas werden immer schwächer, der dunkle Horizont zieht uns an wie ein Magnet. Wir laufen unter Maschine in die Nacht. Nächtliches Segelsetzen ist mit Risiken verbunden, und das muss ja nicht sein. Das hat Zeit bis morgen.

Für viele ist dies die erste große Segelreise. Doris, unsere Kellnerin, die eben die leeren Tapas-Teller abräumt, ist Schweizerin. „Ich komme ja aus einer großen Seefahrernation“, lacht sie. Die junge Frau war für Sea Cloud Cruises schon auf dem Flussschiff „River Cloud“ unterwegs. Jetzt will sie es wissen. Wie das so ist mit der See, den Gestirnen und den Stürmen. Woher kam der Impuls? „Ich war auf der Hanse Sail in Bremerhaven und habe dort Großsegler gesehen, da hat es mich gepackt.“

Ähnlich geht es Ursula aus Sachsen. Sie ist Orchestermusikerin und möchte in den nächsten zwei Wochen den Klang der Stille in sich aufnehmen. Ihre Freundin Bärbel hatte ihr von einer Reise mit einem der beiden „Sea Cloud“-Schiffe erzählt. „Natur pur erleben zu dürfen, das ist ein Geschenk“, sagt sie, „nicht immer mit dieser Masse Mensch konfrontiert zu sein – das wünsche ich mir.“ Auch Ursels Freundin Bärbel stimmt ein. „Starke Freiheitserlebnisse entstehen hier an Bord durch starke Naturerlebnisse“, sagt die Ärztin.

Ich bin erst einmal froh, dass der Anreisetag ohne Schockerlebnisse endet. Es war ganz schön anstrengend. Drei Stunden Schlaf sind eindeutig zu wenig. In der Air-Berlin-Maschine fiel ich gleich in einen Erschöpfungsschlaf – erst als der Flieger auf Höhe der Küste Algeriens war, öffneten sich die Augen wieder.

Am Flughafen in Las Palmas gab es keine Probleme. Mein Koffer lief dieses Mal ohne Beschädigungen vom Band. Der Fahrer, der ein Ehepaar und mich zum Schiff bringen sollte, wartete schon. Im Kleinbus kam er auch gleich zur Sache: vorwärts in die Vergangenheit! Aus den Boxen dudelten Schnulzen der 60er und 70er, darunter das tröstende „You got a friend“ von Jim Croce, einer meiner Lieblingstitel. Es folgten „Quando, quando“, „Que sera“, ein Gassenhauer nach dem anderen.

Früher war wirklich nicht alles schlecht. Vor allem nicht die Musik. Ich sage nur „Spanish Eyes“. Bald war das Meer zu sehen. „Wirkt gar nicht so schlecht, vier oder fünf Windstärken“, kommentierte mein Mitreisender aus Hamburg mit Kennerblick. Seine Frau hatte nach dem Entern des Kleinbusses ihren Daumen gereckt und ihren Mann an die Hand genommen: Siehste, mein Lieber, wir haben es geschafft, sollte das wohl heißen.

"Eine Hand für Dich, eine für das Schiff"

Ab auf das Schiff. Jeder Passagier bekommt eine Bordkarte (aber ohne Foto).
Ab auf das Schiff. Jeder Passagier bekommt eine Bordkarte (aber ohne Foto).

© Reinhart Bünger

Ab 16 Uhr, zwei Stunden nach der Landung, würden wir an Bord können. Zeit, um noch kurz die Füße zu vertreten und einen Blick in den Hafen zu werfen. Hoppla, was ist denn das da hinten? Die „May“ liegt mit schwerer Schlagseite an Pier. Ist Spanien finanziell so fertig, dass hier schon die Schiffe im Hafen absaufen, weil die kein Geld mehr für die Lenzpumpen haben?, schießt es mir durch den Kopf. Kann ja wohl nicht sein.

Ist auch nicht so, das Problemschiff kommt aus Kingstown. In dem Zustand fährt es mit Sicherheit nicht zurück. Jetzt wollen wir mal sehen, wo die „Sea Cloud II“ liegt. Ah, da sind ja die drei Masten, gleich hinter der Stahlbox, die sie auf den Namen „Aida Sol“ getauft haben. Was für ein Größenunterschied, was für ein Klassenunterschied – nichts für mich. Eine Pier weiter liegt noch so eine schwimmende Ladenstraße mit Schweröl-Antrieb: die „Oceana“ von P + O Cruises.

Um 16 Uhr geht es dann schließlich auf den Großsegler: Noch an Land fallen sich die ersten Reisenden in die Arme: „Glad to see you“, sagt da einer bei der Registrierung. „Ach, hallo!“, erwidert der Angesprochene. „Repeater“ unter sich, eine ganz besondere Spezies unter den Reisenden – Wiederholungsfahrer. Man kennt sich. Das zeigt sich auch bei der Sicherheitsübung. Die dritte Offizierin, Ioana Eremia, wird beklatscht. Sie ist für die Sicherheit an Bord zuständig und damit auch für die Rettungsübung, die immer vor dem Auslaufen stattfinden muss.

„Seien Sie vorsichtig an Bord und treten Sie nicht ins Laufende Gut, wenn die Segel gesetzt werden“, sagt sie. „Sie hängen dort oben schneller im Mast, als Sie es sich als Fahne vorstellen können.“ Das Laufende Gut – das sind die Taue und Leinen, mit denen die Segel hochgezogen werden. Dann kommt Ioana Eremia zur Sache. Nehmen wir einmal an, wir müssen das Schiff verlassen, aber nicht zum Landgang, sondern zum Seegang. „Also“, sagt die Dritte, „wir haben in den Rettungsbooten Frischwasser, Nahrungsmittel, Angeln, Medizin – Sie können unbesorgt sein: Weitere Hilfe brauchen wir dann eigentlich nicht.“ Na ja, das kann man sicher alles im Notfall noch einmal diskutieren. Zeit hätte man dann ja.

Und was ist, wenn einer über Bord geht? Man sollte ihm nichts Schlechtes nachwerfen, ist bei mir hängen geblieben. Irgendetwas, das schwimmt, wäre gut. Meine Kollegen in Berlin hatten mich zu diesem spannenden Punkt noch mit umfangreichem Recherchematerial eingedeckt: Statistisch verbürgt sind 195 Fälle von Passagieren und Crew-Mitgliedern, die im Zeitraum 1995 bis 2012 aus den unterschiedlichsten Gründen über Bord gingen.

Der unbeabsichtigte Satz über die Reling lässt aber vermeiden, wenn ein einfacher Gedanke beherzigt wird, sagt die dritte Offizierin: „Ein Fuß muss immer auf den Schiffsplanken sein.“ Das gilt an Deck; in den Masten gilt: „Eine Hand für Dich, eine für das Schiff.“ Für mich gilt nach dem langen Anreisetag: Eine Schlafmaske für die Nacht und einen Wecker zum Sonnenaufgang um 7 Uhr 30.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false