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Schifffahrt: Duell maritim

Ein Hauch America’s Cup in der Kieler Förde: Zwei Jachten zeigen, was eine Königsklasse ist. Der Skipper weist die Männer an. Allesamt Laien.

Der Maat tröstet: „Macht euch nichts draus, dass ihr nur kurbelt“, sagt er. „Wir brauchen euch.“ Acht Männer, die normalerweise an Schreibtischen sitzen, drücken sich nun etwas unbeholfen auf einer 25 Meter langen Segeljacht herum. Sie blicken irritiert auf vier Geräte, die an die Pedale eines Fahrrads erinnern. Jeweils zwei kräftige Personen werden gebraucht, um die „Grinder“ (Englisch: to grind = mahlen) genannten Pedaldinger zu bedienen. Sie sind der „Motor“ des Schiffes. Je schneller sie an den auch Kaffeemühlen genannten Grindern drehen, desto fixer werden die Segel richtig in den Wind gesetzt. Muskelkraft also verwandelt den Wind, der für alle gleich ist, auf der Regattabahn in einen wundersamen Vorteil. Aber es ist eine stumpfsinnige, schweißtreibende Arbeit. Die Muskeln brennen, und im Ohr klingt die Stimme des Skippers nach. Der hatte seine Mannschaft knapp mit den Worten begrüßt: „Willkommen in Steves ,Haus der Schmerzen‘.“ Das fanden wir noch lustig.

Steve Harrison steht am Steuerrad der „España 5“. Er habe schon tausende Rennen gesegelt, sagt der Amerikaner. Gleich wird wieder eins dazukommen. Eins, das er gewinnen will. Und er hat auch das passende Schiff dafür. Das ist reichlich spartanisch. Es gibt keine Sitzgelegenheiten an Bord, der Karbonrumpf ist eine nackte Hülle, geschaffen nur für einen Zweck: 17 durchtrainierte Profisegler als Erste ins Ziel zu bringen. Die spanische Jacht wurde für den America’s Cup 1995 in San Diego gebaut, für einen Zweikampf auf See, der seit mehr als 150 Jahren ausgefochten wird und über den es heißt, es gebe „keinen Zweiten“ in diesem Wettbewerb – sondern nur Verlierer oder Gewinner.

Jedenfalls wird das den Frauen und Männern erzählt, die nun an Bord der „España 5“ in der Kieler Förde zu einem sogenannten Match Race antreten. Auf dem Wasser lauert bereits die „New Zealand 39“, auch sie mit Segellaien besetzt. Die beiden ausrangierten Exemplare dieser Königsklasse sind die neue Attraktion der Stadt. Der deutsche Unternehmer Jan Nielsen hat die majestätischen America’s-Cup-Jachten erstanden, Neupreis damals: je 16 Millionen Euro. Sein Konzept: Was Profis können, schaffen Landratten auch. So mühen sich zehn Laien an den Winschen, Kurbeln und Tauen ab und versuchen, die komplexe Mechanik der Rennmaschine zu ergründen. Mit ihrem 33 Meter hohen Mast verhält sie sich zu anderen Segelbooten auf der Förde wie ein kühner Büroturm zu bescheidenen Einfamilienhäusern.

Anleitung durch die Stammbesetzung

Dass die wild zusammengewürfelte Crew schon nach einer Stunde die Grundregeln der Manöver beherrscht, verdankt sie der fachkundigen Anleitung durch eine vierköpfige Stammbesatzung – und dem hohen Spezialisierungsgrad an Bord. Jeder muss sich nur auf eine Sache konzentrieren. Verstehen muss er sie nicht. Die Grinder grinden, die Schotleute führen die Leinen und einer steuert. Kommandos werden gebrüllt. Angeschnauzt wird man allerdings nicht. Das Gefährt, dessen Großsegel die Dimensionen einer Jumbojet- Tragfläche hat, schießt knatternd durch den Wind. Der Mast ächzt und der dünnwandige Karbonrumpf knarzt. Eine Böe drückt das 24 Tonnen schwere Ungetüm auf die Seite.

Es ist herrlich, auf einem schnellen Schiff zu sein. Aber furchtbar, auf einem schnellen Schiff zu verlieren.

Über Funk wird das Startsignal gegeben. Die Sekunden laufen rückwärts. „Three – two – one – go!“ Seit 1882 erstmals Hamburger Kaufleute, Werftbesitzer und die europäische Aristokratie – darunter Kaiser Wilhelm II. – auf modernen Jachten hier gegeneinander antraten, kennen die Gewässer das Ritual. Die Kieler Woche ist aus dem elitären Kräftemessen hervorgegangen und zum munteren Volksfest geworden. Jedes Jahr lockt das Spektakel mehr Besucher in die Landeshauptstadt; jüngst waren es mehr als drei Millionen.

Danach ist der Zauber der „Sailing City“ schnell verpufft. Dass die Förde bis in die Innenstadt reicht, Kreuzfahrt- und große Fährschiffe nach Norwegen und Schweden mitten im Zentrum liegen, verleiht der Stadt ihren maritimen Charme. Doch entwickelt sich der alte Marinehafen nur allmählich und mühsam zur urbanen Fläche. Am Ostufer ragen Industrieanlagen auf. Blickfang sind die gewaltigen Kräne der Krupp-Thyssen-Werft (vormals HDW), unter denen noch unfertige U-Boote liegen.

Spielerisch ans nasse Element herangeführt

Davor hüpfen die weißen Quadrate des bei Kindern beliebten sogenannten Optimisten-Boots übers Wasser. Binnenländer reiben sich die Augen: Sportunterricht findet hier auf dem Wasser statt. Vielleicht sitzen in den schaukelnden Kisten die Match-Race-Asse von morgen. Denn die Stadt versucht ihr Image als randständiges, industrielles Subventionsgrab durch ein breitenwirksames Engagement im Segelsport aufzupolieren. Im von den Stadtwerken gesponserten Segelcamp „24/sieben“ an der Kiellinie werden die begeisterten Kleinen spielerisch ans nasse Element herangeführt. Auch die Firma Supersail hat als Eigner der AC-Jachten hier ihre Zelte aufgeschlagen.

Die Kieler Förde eignet sich ausgezeichnet für das Schauspiel des maritimen Duells. Der Wellengang ist nicht hoch, und die steife Brise wird von der ufernahen Bewaldung gezähmt. Ein wenig stören die 43 000 Handelsschiffe, die jedes Jahr die Schleusen von Holtenau Richtung Nord-Ostsee-Kanal passieren – dazwischen in verbissenem Wettstreit „ESP 5“ und „NZL 39“. Ein Hauch des America’s Cup wird da spürbar, wenn die Skipper angespannte Mienen kriegen, ihre schwimmenden Gefährte metergenau aneinander vorbei manövrieren und über taktische Winkelzüge grübeln. Während der richtige Cup derzeit sein traurig-bizarres Schauspiel in New Yorker Gerichtssälen aufführt und auf Jahre hinaus zur Farce degradiert ist, lebt sein Geist hier für jedermann fort.

Die Profis des America’s Cup, der 2009 mit Mehrrumpfbooten ausgetragen wird, passen sich derweil den Umständen an. Und auch das geht nicht an Kiel vorbei. Beim „iShares-Cup“ Ende August probt das Team von Titelverteidiger „Alinghi“ schon mal, wie es ist, auf einem zwölf Meter langen Katamaran mit beinahe fünfzig Stundenkilometern übers Wasser zu fegen – in unmittelbarer Nähe der Zuschauer. Die ihm leicht verdutzt und voller Bewunderung zusehen. Gegenüber diesen extrem leichten, radikalen Spaßbooten wirken die beiden AC-Jachten denn doch antiquiert und etwas schwerfällig. Da können wir uns so behände anstellen und so schnell kurbeln, wie wir wollen.

Tja, und auch der Spaß ist begrenzt: „New Zealand 39“ gewinnt 2:1. Steves letzter Rat an seine Mannschaft lautet: „If you can’t win the race, win the party!“

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