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Lächeln bei ruhiger See. Die Schiffsärzte Angelika Aßmann und Heiko Bienengräber auf dem über der Brücke gelegenen Sonnendeck der „Sea Cloud“.

© Reinhart Bünger

"Sea Cloud": Flaute im Wartezimmer

Auf der „Sea Cloud“ fahren zwei Ärzte mit. Viel zu tun hatten sie beim letzten Törn zum Glück nicht.

„Das gibt's ja in keiner Praxis – das ist das schönste Wartezimmer der Welt: mit Meerblick...“ Der Weißhaarige, der eben auf dem Hauptdeck des Fünf-Sterne-Windjammers „Sea Cloud“ an den Schiffsärzten Angelika Aßmann und Heiko Bienengräber vorbeischlendert, ist begeistert. Dem Seeklima sei Dank, erfreut er sich bester Gesundheit. Wie soll man sich auch fühlen, wenn es in die Karibik – in diesem Fall St. John’s/Antigua – geht? Sehr gut, natürlich. Folglich sind die Sprechstunden der Schiffsärzte sehr schlecht besucht. Doch das könnte sich von einer Sekunde auf die andere ändern.

„Es kann ein Besatzungsmitglied mit dem Messer stolpern, es kann ein Passagier auf der Treppe fallen, es kann sich jemand von der Crew beim Flexen verletzen, es kann ein Passagier mit seinem Champagnerglas bei Seegang zu Boden gehen“, sagt Angelika Aßmann. Die blonde 35-Jährige ist Oberärztin in Ulm – für Kardioanästhesie. Sie beschäftigt sich mit schweren Fällen. Zu ihr kommen Patienten zur „Herznarkose“, wie sie sagt. Auf die „Sea Cloud“ kam die Lörracherin wie eine Flaschenpost in die Badewanne. Angelika Aßmann arbeitete nebenberuflich als Notfallmedizinerin für ein Unternehmen, das sich auf Rückholflüge spezialisiert hatte. „Der Klassiker ist der Mopedunfall auf den Kanaren“, sagt Aßmann. Verletzt im fremden Land, und was dann? „Viele Menschen wollen nicht in einer fremden Klinik bleiben. Vor allem dann nicht, wenn Rehamaßnahmen oder OPs anstehen.“ Und dann zahlten sie den Rückflug im Notfall selbst.

Beides ist auf der „Sea Cloud“, die derzeit im kanarischen Becken mitten im Atlantik schwimmt, keine Option. Rückführungen sind hier technisch nicht machbar. Bei Schiffsreisen sind oft keine Küste oder Insel in Sicht. Daran musste sich Aßmann erst einmal gewöhnen, als sie vor sieben Jahren kurzfristig für einen erkrankten Kollegen auf der „Sea Cloud“ einsprang. Die Behandlungs- und Untersuchungsmöglichkeiten sind begrenzt. Manches, was auf großen Kreuzfahrtschiffen an Bord ist, passt nicht auf das knapp 110 Meter lange Segelschiff. Dialyse- und Ultraschallgeräte zum Beispiel.Ein EKG-Gerät ist allerdings an Bord, und zwei Defibrillatoren gibt es auch.

„Im Prinzip sind wir Hausärzte für die Crew und die Passagiere – und natürlich in kritischen Fällen Notfallmediziner“, sagt Aßmann. An Bord könne alles gemacht werden, was auch in einem Rettungshelikopter oder Rettungswagen zur Verfügung stehe. Das Schlimmste, was Schiffsärzte bisher auf der „Sea Cloud“ behandeln mussten, war der ausgekugelte Arm eines Crewmitgliedes. Der Arm war bei Arbeiten an einem Segel hoch über Deck aus dem Schultergelenk gesprungen, und der Mann stand noch auf einer der Rahen. Zuerst wurde der Arm an den Körper angebunden, Mannschaftskameraden bildeten dann eine Art Rettungskorb um den Verletzten und geleiteten ihn langsam nach unten. Dort wurde der Arm – nach Verabreichung schmerzstillender Medikamente – wieder gerichtet. Im Notfall können auch die Offiziere eines Schiffes erste Hilfe leisten. Sie werden dafür ausgebildet.

Einmal im Jahr nehmen die Ärzte, die auf „Sea Cloud“-Schiffen als Schiffsärzte fahren, an einer Fortbildung teil. Hier geht es dann zum Beispiel um Hautausschläge in den Tropen oder um Bakterien im Wasser, die Erkrankungen hervorrufen können. Eine große Rolle spielten zuletzt kulturelle Unterschiede. Asiaten etwa würden Ärzten nie direkt sagen, wenn eine Medizin nicht anschlage. Hier helfe nur das richtige Nachfragen, sagt Aßmann. Außerdem finden an Bord in schöner Regelmäßigkeit Rettungsübungen zum Bergen von Patienten statt.

Was ist das Schlimmste, was Schiffsärzten passieren kann? „Alles, was infektiös ist“, sagt Aßmanns Komediziner und Partner Heiko Bienengräber. Er ist in Flensburg aufgewachsen und lernte zunächst Segelmacher. Seine Stelle als Oberarzt in Göppingen hat der 47-Jährige vor vier Jahren gekündigt und arbeitet jetzt als selbstständiger Honorararzt, der von Kliniken als Vertretung angeheuert werden kann.

Ansteckungen an Bord sind den Ärzten ein Gräuel – wie auch den Patienten. Die wollen ihre Schiffsreise gesund erleben. Dafür haben sie schließlich bezahlt. Zur Behandlung von Virusarten mit schweren Krankheitsverläufen gibt es Notfallpläne mit Quarantänevorschriften. In den anderen Fällen versuchen die Schiffsärzte, die Passagiere mit Antibiotika schnell wieder fit zu machen.

Gegen Seekrankheit sind ja, Gott sei Dank, inzwischen Kräuter gewachsen. Bei mancher Wettervorhersage würden die beiden Schiffsärzte ihren Reisenden am liebsten schon einmal prophylaktisch etwas in die Suppe tun. Aber das haben sie sich bisher noch nicht getraut.

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