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Reise: Wer kommt, guckt in die Röhre

Autostadt, Phaeno, DOW: Lange hatte Wolfsburg ein Imageproblem. Nun trumpft die Stadt mit immer neuen Attraktionen auf

Weißer Sand unter den Sohlen, das Wasser glitzert blau, die Sonne scheint warm. Dies ist nicht die Karibik, dies ist der Allersee in Wolfsburg. Selbst das Restaurant am Ufer des künstlichen Sees kommt exotisch daher. Es befindet sich im Kolumbianischen Pavillon, den die Stadt nach Ende der Expo 2000 in Hannover abbauen und hier wiedererrichten ließ.

Der beeindruckende Freizeitpark mit der „einzigen Sechs-Mast-Wasserskianlage Europas“ passt zu einer Stadt, die ihr langweiliges Image vom Industriestandort auf dem platten Land auf verblüffende Weise abgeschüttelt hat. Und seit der Eröffnung der „Autostadt“ vor acht Jahren, dieses Erlebniszentrums rund um Karossen, vier Räder und Motoren, einen Trumpf nach dem anderen ausspielt.

Noch immer zieht die „Autostadt“ nicht nur jene an, die ihren nagelneuen Golf oder Passat stolz aus einem der beiden gläsernen Türme holen lassen. Im sogenannten Zeithaus wird die Geschichte der Automobile aufgeblättert, nicht nur die von Volkswagen. Kultfahrzeuge wie etwa die „Ente“ oder der „Fiat 500“ stehen da neben blank gewienerten Oldtimern. Ein „Ford T“ aus dem Jahre 1910 ist zu bewundern, der sich gegen damals noch übliche Pferdewagen durchsetzen musste. Unter den „14 Punkten, warum man einen Ford kaufen sollte“, pries die Originalwerbung den Vorzug: „Never runs away. Horses often do.“

Während die Rennschlitten im Lamborghini-Pavillon mit brüllenden Motorengeräuschen vom Band inszeniert werden, kann man im „Zeithaus“ die gefährliche Seite der vielen PS erleben. In einer Simulationskapsel doppelt und dreifach angeschnallt, wird man hin- und hergeschaukelt und steht sogar mal kopf. „So ist es, wenn Ihr Auto auf dem Dach landet“, sagt die Mitarbeiterin lächelnd.

Wem Autos schnuppe sind, aber wer dennoch Außergewöhnliches erleben möchte, der geht in Wolfsburg ins Phaeno. Vor drei Jahren landete diese von Kegelfüßen getragene Experimentierlandschaft direkt neben dem denkmalgeschützten Bahnhof. Das raumgreifende Beton-Ufo der Londoner Architektin Zaha Hadid ist verblüffend, schön ist es nicht. „Alles nackt und grau“, maulen die Wolfsburger und wünschen sich, „dass man es wenigstens anmalen sollte.“

Innen aber steckt es voller Möglichkeiten. Mit rund 300 Experimenten können Besucher naturwissenschaftlichen Phänomenen auf die Spur kommen. „Es gilt das Hands-on-Prinzip“, sagt Mitarbeiterin Myriam Menzel. Und so beugen sich Kinder wie Erwachsene über Mikroskope, lassen Kugeln durch Röhren gleiten, greifen in verspiegelte Wasserbecken, drehen an Rädern oder lassen Dampfwolken zur Decke schweben. Auf Texttafeln wird erklärt, warum dieser Ball anders rollt als jener oder wieso der jeweils zur vollen Stunde entfachte „Feuervulkan“ zur Decke züngelt.

Das Phaeno passt schon deshalb gut zu Wolfsburg, weil die ganze Stadt schließlich als ein Experiment auf dem Reißbrett begann. 1938 hatten die Nazis den Ort unter dem Namen „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ geplant. Zweigeschossige Häuser für die Arbeiter der „Kraft- durch-Freude-Autos“ wurden gebaut, 1940 entstand die gartenstadtähnliche Siedlung „Steimker Berg“, für Führungskräfte des Werks. Gerade noch rechtzeitig vor größeren Umbauten wurden die Häuser unlängst unter Denkmalschutz gestellt. In der Schillerstraße 30 ist sogar noch eine original eingerichtete „Musterwohnung“ von 1942 zu besichtigen. Im Zweiten Weltkrieg wurden dann an der Aller statt Autos Rüstungsgüter produziert.

Am 25. Mai 1945 wurde die Stadt in Wolfsburg umbenannt, nach der gleichnamigen Burg im Ort. Seit Beginn des 14. Jahrhunderts im Besitz der Familie von Bartensleben, wurde die ursprüngliche Wasserburg zum Schloss ausgebaut. 1962 übernahm die Stadt die imposante, vierflügelige Anlage, die heute unter anderem das Stadtmuseum beherbergt.

Hinter dem Schloss erstreckt sich ein englischer Landschaftspark. „Unsere idyllische Ecke“, sagt Stadtführerin Lisl Wirths und fügt stolz hinzu: „Wir haben aber auch noch einen wunderschönen Barockgarten.“ Die Menschen ahnten nicht, was Wolfsburg alles zu bieten habe, sagt Wirths bedauernd. 145 Kilometer Spazierwege durch den Wald sowie zwölf Brunnen und Quellen zählt sie auf.

Und dann gibt es zum Beispiel noch die „Piazza“ unweit der Fußgängerzone, mit Eiscafés, Bistros, Feinschmeckerläden und dem italienischen Kulturinstitut. Zehntausende Italiener waren, vor allem zu Beginn der sechziger Jahre, als Arbeiter nach Wolfsburg gekommen. Mit der Anlage der Piazza habe man ihnen ein wenig Heimat vermitteln wollen, sagt die Stadtführerin. Etwa 7000 Italiener leben noch in Wolfsburg – und sie wollen bleiben. „Wir sind doch alle Wolfsburger“, sagt ein junger Deutscher. Und wundert sich noch immer darüber, dass es bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zwei Public-Viewing-Zelte gab. „In einem saßen die Italiener und in dem anderen die Deutschen“, sagt er. „Beim Fußball haben sich die Leute wieder auf ihre Nation besonnen“, aber nun sei zum Glück alles wieder wie vorher.

Die einst vierspurig angelegte Porschestraße, die das Zentrum von Süd nach Nord durchschneidet, wurde 1980 zur Fußgängerzone. Die meisten der flankierenden Bauten sind langweilige Zweckhüllen für Banken, Läden oder Restaurants, die man in die zwei Rubriken einteilen könnte: „scheußlich“ und „weniger scheußlich“. Dennoch: Kaum sonst in Deutschland wird man eine Fußgängerzone finden, in der Zeitgeschichte so unverfälscht ausgestellt ist. Wer das alles noch original sehen will, muss sich sputen. Denn Wolfsburg bessert nach. Schon sind hier und da Natursteinplatten verlegt und junge Platanen gepflanzt, ein „Beachcafé“ entsteht, „Lichtinszenierungen“ werden versprochen.

Am Ende des Zeittunnels Porschestraße landet man inmitten einer Grünanlage am Kunstmuseum. Da kann man auf Fotos des genialen Heinrich Heidersberger sehen, wie sich die Stadt von 1949 bis 1973 entwickelt hat. 1962 hat er das „VW-Bad“ fotografiert: drei große Schwimmbecken, einen respektablen Sprungturm, eine Rutsche. „Das gibt es immer noch“, sagt eine Museumsangestellte zufrieden. Nur die Rutsche sei bei der jüngsten Renovierung verschwunden. Zum Planschen gehen die Wolfsburger ins „Badeland“, das angeblich das größte Wellenbad Deutschlands ist.

Es ist die Stadt der Superlative. 2007 haben sie sich gleich neben dem Phaeno einen riesigen Glaskomplex gestellt. Dort ist das DOW, „das größte Designer Outlet Center Norddeutschlands“ eingezogen, das großspurig trommelt: „40 Topmarken, 40 Trendshops, 30 bis 70 Prozent auf alles. Immer“.

Während die einen Zeit fürs Shoppen opfern, gehen die anderen in eine feine Bibliothek. Sie befindet sich im Alvar- Aalto-Kulturhaus, das der finnische Architekt 1958 zu einem Gesamtkunstwerk gestaltete. Und abends vielleicht in das von Hans Scharoun von 1965 bis 1973 gebaute Theater. „Berlin ist nah“, sagt eine Wolfsburgerin, „aber warum soll ich dahin fahren? Ich habe ja hier schon mehr Kulturangebote, als ich schaffen kann.“

Es gibt schönere Städte als Wolfsburg. Aber wenige, die überraschender sind.

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