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„Jungfrauen für den Drachen.“ Italiens Premier Silvio Berlusconi.

© Reuters

Silvio Berlusconi: Zwischen Sex und Steuerhinterziehung

Ein Sex-Skandal jagt den nächsten. Damit lenkt Silvio Berlusconi erfolgreich ab von der existenziellen Krise der Demokratie in Italien.

Seit Jahren nichts als Skandale, Patzer und Prozesse und jetzt auch noch Ruby. Und Nadia. Ganz zu schweigen von Noemi, das war letztes Jahr und ist schon halb vergessen. Eine kunstblonde Neapolitanerin, die den Regierungschef „Papi” nannte, und wenn sie ihn in Rom besuchte, dann musste die Politik eben mal warten. „Papi” kam zu Noemis 18. Geburtstag, was einen riesigen Skandal auslöste mit allen dazugehörenden Spekulationen und einer echten Ehescheidung. Berlusconis zweite Ehefrau Veronica Lario verkündete das Ende ihrer Beziehung zu dem mächtigsten Mann Italiens, nicht ohne zu lamentieren, dass es leider immer wieder „Jungfrauen für den Drachen“ gebe.

Jungfrauen, ach was. Während sich die Noch-Eheleute Berlusconi vor dem Scheidungsrichter um dreistellige Millionenbeträge streiten, gehen die Partys in den Drachenresidenzen weiter. Statt der Jungfrauen kommen Professionelle. Im römischen Palazzo Grazioli, wo Berlusconi nur zur Miete wohnt, nahm die Prostituierte Patrizia D’Addario das Liebesgeflüster des Hausherrn auf ein mitgebrachtes Tonband auf. Die Nacht in Putins Bett – der Russe hatte es Freund Berlusconi einst geschenkt – machte D’Addario berühmt. Auf dem Filmfestival von Venedig trat sie auf wie eine Filmdiva. Ihre Memoiren wurden ein Bestseller, zurzeit kann man sie als Moderatorin und „Stargast“ mieten. Noemi Letizia hingegen macht in Mode, sie hat jetzt auch ein neues Gesicht. Mit 19.

Nadia wollte zum Fernsehen, genauer gesagt ins Programm des italienischen „Big Brother”, das im Berlusconi-Fernsehen läuft. Sie wurde in die riesige Residenz nach Sardinien eingeladen und in das sehr viel kleinere Anwesen nach Arcore bei Mailand, wo Berlusconi schon eine Grabpyramide im Park anlegen ließ, unter einem Pharao macht er es nicht. Nadia bekam keinen Job beim Fernsehen aber 10 000 Euro, weil sie den alten Mann zweimal heranließ. Schweigegeld sei das gewesen, berichtete sie später der Polizei. Bei den Partys seien sehr junge Mädchen gewesen, „17-, 18-Jährige, die aus seinem Schlafzimmer kamen“. Nadia ist 27, sie arbeitet als Prostituierte und als ihre Mutter am Telefon war, reichte sie ihr den Premier. „Wir sind alle Hungerleider und Sie tun nichts dagegen”, sagte die Frau dem 74-Jährigen, an den sich ihre Tochter verkaufte.

Ruby heißt eigentlich nicht Ruby, aber als Ruby kennt sie jetzt die halbe Welt. Ruby Rubacuori, Herzensbrecherin, das ist ihr Deckname. Sie kommt aus Marokko, mit 17 war sie eingeladen zu einer der Berlusconi-Partys, es passierte aber „nichts“, wie sie später erklärte. Nichts? Ruby steht im Zentrum von Ermittlungen, bei denen es um die Förderung der Prostitution geht und um Drogenhandel. Personen aus dem Umkreis des Premiers werden verdächtigt. Ruby erfuhr Berlusconi als Wohltäter. Als sie beim Diebstahl erwischt wurde, rief der Regierungschef den Polizeichef von Mailand an. Persönlich. Und behauptete, Ruby sei eine Verwandte des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Es sei deshalb nicht opportun, das Mädchen in eines der üblichen Auslieferungslager für straffällig gewordene Ausländer zu bringen.

Diese Auslieferungslager sind ein Skandal, immer wieder beklagen das Menschenrechtsorganisationen. Aber die Welt redet über Ruby und über Berlusconis Kommentar: „Besser, sich für schöne Mädchen interessieren, als schwul sein.”

Für viele Menschen ist es unfassbar, dass dieser Mann Italien regiert. Berlusconi müsste zurücktreten, lauteten die Kommentare der Auslandspresse – und natürlich auch der Opposition. Deren letzter Skandal um den fatalen Hang der italienischen Politik zur Prostitution übrigens gut ein Jahr zurückliegt. Damals musste der Ministerpräsident der Hauptstadtregion Latium zurücktreten, weil er regelmäßig im Dienstwagen zu Treffen mit einer transsexuellen Prostituierten gefahren war. Der Politiker arbeitet wieder bei seinem alten Arbeitgeber, dem Staatsfernsehen RAI. Die Transsexuelle verbrannte kurz nach dem Skandal in ihrem Appartement. Und Latium wird nicht mehr von der linken Mitte regiert, sondern von einer rechten Koalition.

Ja, es ist unfassbar, dass Berlusconi Italien regiert. Und ja, es ist den Italienern peinlich, von Berlusconi regiert zu werden. Jedenfalls den meisten Italienern. Denjenigen, die nicht oder nicht mehr vom Berlusconismus profitieren können, weil sie zum Beispiel nicht als Selbstständige arbeiten, sondern als Angestellte Steuern zahlen müssen. Oder denjenigen, die katholisch sind, auch in Italien eine immer kleiner werdende Minderheit. „Italien ist heute krank wie zur Zeit der großen Pest”, hat Dionigi Tettamanzi gesagt, der Kardinal von Mailand. „Die Amoralität verbreitet sich in allen Schichten unserer Gesellschaft. Das größte Problem haben jene Eltern, die ihren Kindern erklären müssen, was da geschieht. Und die vielleicht Töchter im Alter der jungen Frauen haben, deren Fotos man in allen Zeitungen sieht.” Töchter im Alter der Gespielinnen des Regierungschefs. Was Tettamanzi nicht sagt: Auch Noemi, Nadia und Ruby haben Mütter. Genau wie die jungen Frauen, die in den Miss-Wettbewerben und bei den Castings für die freizügigen Fernsehshows auftreten, Mütter haben. Mütter, die glauben, dass es für ihre Töchter keine besseren Zukunftsaussichten gibt als die, den Mächtigen zu gefallen. Politikern, Fernsehbossen, Fußballspielern. Vielleicht bringen sie es ja so weit wie Mara Carfagna. Die war erst Showgirl und Nacktmodell für einen dieser Kalender, die in Italiens Kfz-Werkstätten hängen. Und dann hat Berlusconi sie zu seiner Ministerin für Gleichberechtigung gemacht. Der Gipfel des Zynismus’ für ein Land, dessen feministische Bewegung einst die Speerspitze Europas war. Italien hat Mara Carfagna geschluckt. Man gewöhnt sich an alles unter Berlusconi. Auch daran, dass das Land in diesem Jahr fünf Monate ohne Wirtschaftsminister war, weil der vorherige Amtsinhaber wegen eines Korruptionsskandals zurücktreten musste. Berlusconi besetzte den Posten einfach nicht. Wozu braucht Italien einen Wirtschaftsminister? Man hat schließlich Mara Carfagna, die den libyschen Macho Gaddafi betreut, wenn der nach Rom kommt und 200 gutaussehende italienische Hostessen zu seiner Koranstunde zitiert. Gegen Bezahlung, versteht sich.

Italien ist ein altes Land mit einer uralten Skandalgeschichte. Schon die Kaisergattin Messalina feierte ihre Orgien und als ihr dieser Nervenkitzel nicht ausreichte, schlich sie nachts aus ihrem Palast, um sich in einer Spelunke in Rom als Hure zu verdingen. Nie war Italien ein Land für Puritaner, dafür haben schon die Päpste der Renaissance mit ihren Großfamilien gesorgt. Alexander VI. übergab die Regierungsgeschäfte gern seiner Tochter Lucrezia und Paul III. soll einen schwulen Sohn gehabt haben. Über das römische Babylon empörte sich der brave deutsche Mönch Martin Luther, die Römer empörten sich schon sehr viel weniger. Dass die Macht nicht von Moralaposteln besetzt wird, weiß man in Italien wirklich schon etwas länger.

Jetzt aber löst ein Skandal den anderen ab. Wie in einem Groschenroman wird das Volk täglich mit einer neuen Folge um Ruby und Nadia versorgt und es konsumiert diese Geschichten wie den letzten Fortsetzungsroman vor einem Monat. Damals ging es nicht um Berlusconi, sondern um ein junges Mädchen aus Apulien, das von seinen Verwandten verschleppt und ermordet wurde. Immer wieder neue makabre Details wurden da von den Medien ausgebreitet, die Nachricht vom Fund der Leiche überbrachte die RAI der verzweifelten Mutter in einer Livesendung. Live übertragen wurde im ersten RAI-Programm auch die Trauerfeier für das arme Mädchen aus dem Stadion ihres Heimatortes. Und als dort ein zynischer Tourismus zu den Stätten des finsteren Familiendramas anhub, berichtete die RAI wieder darüber, diesmal natürlich konsterniert.

Die Monster, die sie beklagen, schaffen sich Italiens Medien selber. Und zwar alle, ohne Ausnahme. Sogar der katholische „Avvenire”, die Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz, hat inzwischen einen Sportteil, denn ohne kann man nicht bestehen in der Unterhaltungsdemokratie Italien. Dass der Regierungschef sich allen voran zu Tode amüsieren will, ist nur logisch, aber leider nicht der eigentliche Skandal. Sich Frauen zu kaufen ist kein Straftatbestand, wie die Staatsanwaltschaft in Mailand richtig bemerkte: „Wir kümmern uns um Delikte, nicht um private Angelegenheiten.” Das Problem ist, dass nicht nur die Italiener, sondern auch das Ausland längst die privaten Angelegenheiten Berlusconis interessanter finden als jene mutmaßlichen Delikte im Zusammenhang mit Berlusconi, die tatsächlich die Gerichte beschäftigen. Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, Bestechung.

Das klingt nicht sexy, betrifft aber die Allgemeinheit. Ein Premier, der sich über dem Gesetz wähnt und der die Verfassung ändern will, um genau das zu zementieren, ist sehr viel gefährlicher für sein Land, als ein fünffacher Großvater, dessen Lustobjekte immer jünger werden. Das diabolische Genie Berlusconis besteht darin, die voyeuristische Öffentlichkeit abzulenken von der existenziellen Krise ihrer Demokratie. Stattdessen bietet er Italien und der Welt eine permanente Reality Show, im Fernsehen wie in seinem eigenen Leben. Und schon redet keiner mehr über den Bürgerkrieg um die Müllentsorgung in Neapel. Oder über die Staatsverschuldung, die Jugendarbeitslosigkeit, die Neofaschisten in den Fußballkurven und die Separatisten im Norden. Alles das ist nur noch Kulisse für Berlusconis Show. Es ist naiv zu glauben, wir müssten nur nach der Fernbedienung greifen, um ihn endlich loszuwerden.

Birgit Schönau

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