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Ein Knochenbrecher soll er sein: der Bartgeier.

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (69): Der Bartgeier

Der Volksmund hat ihnen keinen guten Ruf beschert. Diese Geier sollen angeblich vom Himmel stürzen, um kleine Kinder zu greifen.

Zu den deutschen Wörtern, die es wie Kindergarten und Rucksack ins Englische geschafft haben, gehört „Lämmergeier“ (Beziehungsweise „Lammergeier“ – der Engländer oder Amerikaner hat’s ja nichts so mit den Umlauten.) Wie ungerecht, dass diese Ehre ausgerechnet einem Namen zuteil wurde, der auf einem verhängnisvollen Missverständnis beruht.

Lämmergeier und Bartgeier – das sind zwei Begriffe für denselben Greifvogel. Der letztgenannte geht auf die borstenartigen schwarzen Federn zurück, die der Geier am Schnabel trägt. Sie erinnern an einen langen, schmalen Kinnbart, wie man ihn zum Beispiel im Gesicht von Fernsehkoch Ralf Zacherl sehen kann.

Das Wort Lämmergeier wiederum ist Folge einer Legende. Bartgeier leben hoch oben im Gebirge, in den Alpen, den Pyrenäen, dem Atlasgebirge, dem Kaukasus, dem Himalaya, bis hin in die Mongolei; eine Unterart existiert in Arabien und Ostafrika.

Der Mythos besagt nun, dass sich die imposanten Vögel – ihre Flügelspannweite kann fast drei Meter betragen –, sobald sie Hunger haben, hinabstürzen, um junge Schafe zu reißen oder sogar kleine Kinder zu holen. Dieses Schauermärchen war einer der Gründe, warum der Geier erbarmungslos gejagt wurde, so dass er in den Alpen Anfang des 20. Jahrhunderts ausgerottet war.

Und noch einen anderen, ebenfalls wenig schmeichelhaften Namen gibt es für die Tiere: „Knochenbrecher“. Der aber ist gerechtfertigt.

Tatsächlich ernähren sich Bartgeier fast ausschließlich von Aas, etwa toten Vögeln, Steinböcken, Ziegen. Indem sie Kadaver beseitigen, spielen sie die Rolle einer Gesundheitspolizei. So wie andere Geier auch.

Einzigartig am Bartgeier ist sein Appetit auf Knochen. Junge Tiere brauchen noch Muskelfleisch, älteren Exemplaren reicht beinahe die Ernährung mit Knochen allein, aggressive Magensäfte machen es möglich.

Wenn die Knochen zu groß sind (heißt: länger als 18 Zentimeter und dicker als drei), schnappt sie sich der Geier, steigt hoch empor, lässt sie auf einen Felsen fallen und zerschellen – so lange, bis die zerkleinerten Stücke in seinen Schlund passen.

Der Bartgeier ist kein Bewegungsfanatiker: Wenn er nicht fliegen muss, macht er’s auch nicht, der schwere Vogel ist sowieso auf warme Aufwinde angewiesen.

Das namenlose Pärchen im Zoo verbringt seine Tage auf dem Sitzbaum, wenn es sich nicht gerade in seine Höhle zurückzieht. Täglich, meist am Nachmittag, gibt es für die zwei etwa 600 Gramm Fleisch und Knochen, einmal in der Woche ist Fastentag.

Vor vier Jahren hat das Paar ein Junges aufgezogen. Es stammte aus dem Berliner Tierpark, dort sind ebenfalls Bartgeier zu Hause. Mit drei Monaten brachten Tierpfleger Klaus-Dieter Grahl und Kurator Ragnar Kühne den Geier-Nachwuchs nach Österreich, wo er in den Alpen mit einem anderen Jungtier ausgewildert wurde – Teil eines sehr erfolgreichen Wiederansiedlungsprogramms.

Unbedingt beachten beim Blick in die Voliere: die Mulde aus Beton. Dort können die Geier baden, in einer Eisenoxidlösung. Rost sucht der Bartgeier auch in der Natur und färbt sich damit ein. Warum, das ist noch nicht klar. Das Rot steht ihm jedenfalls gut.

BARTGEIER IM ZOO

Lebenserwartung:  30 bis 40 Jahre

Fütterungszeiten:  Sechs Tage die Woche, meist am Nachmittag

Interessanter Nachbar: Weißbartpekari

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