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Verführerisch. In "Chocolat" weckt eine Zuckerbäckerin (Juliette Binoche) mit ihren Pralinen die Sehnsüchte der Kundschaft.

© imago/United Archives

Kolumne: Angie Pohlers sucht die Liebe: Das Herz verkrampft, der Magen knurrt

Mit der Liebe ist es ähnlich wie mit dem Essen: Guter Geschmack muss sich erst entwickeln.

Es gibt da diese Geschichte über eine Frau und einen Mann und dass sie sich mochten. Also meistens. Denn der Mann hat selbst in der tollsten Eisdiele ausschließlich Vanille bestellt. Sonntagmorgens schaufelte er sich trotz großer Auswahl am Brunchbuffet nur Zwieback und zwei hartgekochte Eier auf den Teller. Sie flehte ihn an: Probier doch mal was aus! Feigenhonig, dazu diesen Käse mit der abgefahrenen Farbe. Gingen sie zusammen essen, bestellte er am liebsten, was er schon kannte. Der Mann wollte einfach kein Wagnis eingehen. Wenn er abends in der Küche stehend an einem trockenen Brotkanten nagte, fragte sich die Frau, ob das mit ihnen so eine gute Idee war.

Solche Zweifel sind legitim. Als ich vielleicht 15 war, hatte ich einen Freund, der manchmal für uns Essen machte. Sein Rezept: Ein halbes Kilo Spirellinudeln kochen, in einer riesigen Haushaltsschüssel aus Plastik anrichten. Zwei Gabeln rein, Streukäse und Aromapulver drüber, „Friends“ anschalten, Klappe halten. Bon appétit. Ungefähr so liebevoll endete auch unsere Beziehung. Mein erster Freund und ich, das war wie Junkfood. Schon irgendwie essbar, aber danach war einem lange schlecht.

Guter Geschmack muss sich ja erst entwickeln. Dennoch: Esse ich heute etwas, das viele Geschmacksverstärker enthält, kann ich nicht anders als kurz an ihn zu denken. Bei Marcel Proust war es die in Tee getunkte Madeleine, bei mir ist es eben Glutamat.

Suppenjunge, das mit uns wird nie was

Die Parallelen zwischen Gefühlsleben und Kulinarik wurden in unzähligen Romanen, Kochbüchern und Filmen thematisiert. Man denke nur an den Film „Chocolat“, in dem Juliette Binoche als vagabundierende Chocolatière ihren Charme in kleine Pralinen packte. Erst verfiel ihr Johnny Depp, schließlich das ganze spröde Dorfvolk. Man kann den Film finden, wie man will, aber sein Erfolg spricht für sich: Liebe und Essen gehören zusammen.

Das zeigt sich besonders deutlich, wenn es nicht funktioniert. Diese Enttäuschung, wenn das Date, das man eben noch ganz anziehend fand, verkündet, Sushi und dünne Brühen seien das Allergrößte, während man selbst das eigene Leben für eine gelungene Parmigiana verkaufen würde. Ach, Suppenjunge! Das mit uns wird nie was.

„Du wirst es lieben“

Die Frau aus der kleinen Geschichte gab den Mann übrigens nicht gleich auf – dabei wäre selbst Juliette Binoche an ihm verzweifelt. Hatte die Frau Hunger, war sein Kühlschrank meistens leer. Manchmal bot er ihr fettreduzierten Naturjoghurt an, an besseren Tagen Nudeln und Kichererbsen aus der Dose. Er wartete selten mit dem Essen auf sie. „Warum? Ich hatte Hunger“, sagte er und schaute ausdruckslos. Ihr Herz verkrampfte, ihr Magen knurrte: Für eine Single-Pizza fährt ja kaum ein Lieferdienst dieser Welt los.

Irgendwann wetteten sie um den Ausgang eines Films, sie tippte richtig und wünschte sich, er würde einmal etwas Tolles für sie kochen. Bier aufmachen und hinstellen galt nicht. Zwei Monate und viele vergeigte Mahlzeiten vergingen. Sie hatte die Wettschulden längst vergessen, vielleicht nie ernst gemeint.

Dann kam ein lauer Sonntagabend, die Restaurants waren voller Menschen, die augenscheinlich gerne miteinander aßen. Das konnten die zwei nicht von sich behaupten. Wie machen wir das heute mit dem Essen, fragte sie und ahnte, es könnte jetzt wieder schwierig werden. „Ich habe eine Quicheform gekauft, ein paar Mal herumprobiert“, sagte er, als ob nichts dabei wäre. „Du wirst es lieben.“ Und das tat sie.

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