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Dunkel ist das neue Schick.

© Promo, Getty

Modetrend Health Goth: Black Power

Man trägt jetzt „Health Goth“ – schwarz, sportlich und futuristisch. Diese Mode zeigt, wie fix Jugendkultur im Internet entsteht und sich durchsetzt.

Es gab Zeiten, da war von Teenagern noch ziemlicher Einsatz gefragt, um Teil einer Jugendkultur zu werden. Mitte der 1970er Jahren rebellierten Punks gegen das eigene Elternhaus, das Establishment und den Idealismus der Hippie-Bewegung, indem sie sich einen Irokesen-Haarschnitt rasierten, das eigene Gesicht mit Sicherheitsnadeln zerstachen und mindestens zwei Haarfarben auf dem Kopf trugen. Man tanzte Pogo zu den Sex Pistols, pöbelte, soff und frönte der Anarchie auch mit voller Härte gegen sich selbst.

Heute braucht ein Jugendlicher nur das Internet. Er muss nicht auf der Straße auffallen, sich nicht mit den Eltern fetzen oder mit gegnerischen Jugendgangs prügeln (Punks vs. Skinheads). Will er zu einer Strömung aufschließen, klickt er auf Webseiten, wo die Jugend, die kritische Masse für eine solche Bewegung, sich aufhält oder miteinander kommuniziert. Nicht mehr in der Disco, nicht mehr auf dem Friedhof, sondern auf Plattformen und in Netzwerken wie Tumblr, Instagram, Youtube, Twitter, Facebook oder Snapchat. Im Internet kommt es zu einem Culture-Clash aus Musik, Kunst und Mode, wie ihn die Straße seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Es findet ein permanenter Austausch statt, gemeinsame Sichtweisen entstehen, zwischen Los Angeles und Brandenburg ergeben sich Synergien, die bestenfalls in Trends gipfeln – wie „Health Goth“.

Die Gesundheits- Grufties (grobe Übersetzung) propagieren einen schwarzen, futuristischen und körperbetonten Look. Im Gegensatz zu jüngeren modischen Bewegungen wie dem Hipstertum wird im Health Goth nicht die Vergangenheit neu interpretiert, sondern ein Aussehen für den Übermenschen der Zukunft erschaffen. Es geht um Perfektion: stärker, schneller, besser zu sein. Health Goth ist der stilistische Ausdruck des aus den USA stammenden „Quantified Self“ – in dem man durch die tägliche Vermessung des Körpers (Schlafdauer, Kalorienzahl, Fettanteil) die bestmögliche Selbstoptimierung erreichen will. Das Smartphone registriert inzwischen Pulsfrequenz und Herzschlag, dieser Technik ordnet sich das Outfit unter: körperbetonte Funktionsbekleidung aus dem Leistungssport von Marken wie X-Bionic oder Under Armour zu Sicherheitswesten aus dem Military-Shop und Hightech-Sneakern aus Neopren – alles in Schwarz selbstverständlich.

Die Idee ist nicht grundsätzlich neu, sondern eine Weiterentwicklung der nach wie vor beliebten Herangehensweise, sportliche Komponenten zu verwenden. Seit den Olympischen Spielen von London 2012 ließen sich Modeschöpfer für ihre Entwürfe von Laufsport, Basketball oder Taekwondo inspirieren. Selbst eine traditionsverliebte Luxusmarke wie Chanel zeigte auf dem Laufsteg Turnschuhe zu opulenten Kleidern.

Neben jungen Marken wie Cottweiler und Whatever21 ist es vor allem Kleidung von Sportartikelherstellern wie Nike, Puma, Adidas oder deren von Yohji Yamamoto betreuter Linie Y-3, die für den Zukunftstechno von Health Goth stehen. Die „New York Times“ betitelte daher ihren Trendbericht über Health Goth im Dezember mit „When Darkness and Gym Rats Meet.“ Wo Düsternis und Fitness-Freaks aufeinandertreffen.

Den übergeordneten Begriff ausgedacht haben sich drei Männer aus Portland. Mike Grabarek und Jeremy Scott, zwei Musiker der R-&-B-Band „Magic Fades“, sowie der Video-Künstler Chris Cantino. Zusammen erstellten sie im April 2013 eine Facebook-Seite, auf der sie Bilder und Videos veröffentlichten, die ihrer Vorstellung nach eine düster-dystopische Welt vorhersagten: futuristische Beinprothesen, luftdurchlässiges Textilgewebe wie Mesh, Synthetikoberflächen, von denen Wasser abperlt, ein durchtrainierter Mann im transparenten Netzoberteil, eine Jacke, die in der Dunkelheit Licht reflektiert, oder Handschuhe, mit denen sich dank rutschhemmendem Silikon das Touchscreen des Smartphones auch an kalten Tagen bedienen lässt.

Die Bilderwelten, die auf der Facebook-Seite von Health Goth erschienen, waren nicht selbst produziert. Das Trio nutzte bereits vorhandenes Material aus Werbung oder Internetkunst, das es unter Eingabe von Suchkriterien wie „ Body Enhancement Tech“, „gerenderte Umgebung und Objekte“ oder „feuchtigkeitsabweisende Stoffe“ fand. Die Eigenleistung bestand nicht mehr in der Kreation eines Originals, sondern in der Suche nach bestimmten Merkmalen und deren Auswahl. Die Erfinder des Health Goth waren wie Kuratoren, ihr Museum war das Facebook-Profil.

Und plötzlich war der Trend bei H&M im Regal

Hinzu kam ihr kultureller Vorsprung. Die Männer verstanden es, die noch undefinierten aktuellen Entwicklungen mit historischen Linien zu verknüpfen. Wann beschäftigte sich das letzte Mal eine Jugendkultur dermaßen obsessiv mit allem, was dunkel, düster, tiefschwarz war? Vor mehr als 30 Jahren, als die Gothic-Jünger zu Bands wie The Cure oder Siouxsie & The Banshees tanzten, das Gesicht bleich puderten, die Augen schwarz schminkten, in zerrissenen Strumpfhosen auftraten, Patschuli auftrugen und mit Leidensgenossen über die eigene Existenz philosophierten.

Doch während es in den 80er Jahren um Tod und Vergänglichkeit ging, spielt heute der Glaube an die Zukunft eine entscheidende Rolle. Anhänger des Health Goth tun etwas, wovor sich Cure-Fans drückten wie der Teufel vor dem Weihwasser: vor dem Cross-Fit-Kurs im Fitnessstudio. Der leistungsschwache Körper war in den 80er Jahren noch Rebellion, gestählte Muskeln stehen heute für die Teilhabe am Leben.

Noch etwas hat sich verändert. In einem der wenigen Interviews, das die Gründer der Health-Goth-Seite im Frühjahr 2013 dem britischen „Complex Magazine“ gaben, wiesen sie daraufhin, dass Musik nicht mehr zwingend notwendig sei, um eine Jugendkultur zu definieren: „Als früher Subkulturen aufkamen, fehlten Plattformen wie Tumblr, die es ermöglichten, Bilder zu teilen. Es drehte sich sehr darum, Musikdateien herunterzuladen und zu brennen. Nun ist es möglich, die Saat einer Jugendkultur quasi über Nacht zu streuen, rein auf der Basis einer visueller Ästhetik. Musik ist nicht mehr notwendig für ihre Definition.“

Und mitmachen kann im Prinzip jeder, der weiß, wie man ein Foto hochlädt. Die Eintrittsbarrieren, um Teil der Community zu werden, sind vergleichsweise niedrig. Das Anfangsinvestment ist ein Telefonvertrag mit Breitband-Internet. Um dabei zu bleiben, reicht es aus, auf einer Facebook-Seite aktiv zu sein. Davon bekommen die Eltern im Zweifel nicht mal etwas mit.

Das Internet dient außerdem als Multiplikator, als extremer Beschleuniger von Trends. Früher dauerte es Jahre, bis die Ästhetik einer Subkultur im Mainstream landete. Die Lieblingsfrisur der Punks – der Irokesenschnitt – wurde mit Fußballer David Beckham in abgeschwächter Form (die Seite gestutzt, nicht nassrasiert) Anfang der nuller Jahre massentauglich. Bei heutigen Strömungen, die im Internet entstehen, ist der Weg des ersten Aufkommens einer Bewegung bis hin zur Kommerzialisierung vergleichsweise kurz. Und damit steigt die Gefahr: Health Goth könnte sich genauso schnell in der Masse auflösen, wie er gekommen ist.

In Städten wie London oder Tokio griffen bereits 2013 junge Menschen den Health- Goth-Look auf. Die breite Masse erreichte er nur ein knappes Jahr später, als im November 2014 der amerikanische Designer Alexander Wang seine Gast-Kollektion für den schwedischen Mode-Discounter H & M vorstellte. Er entwarf Boxer-Pullover aus Neoprenstoff und Tanktops aus schwarzem Netzstoff . Die Fotos für das Lookbook ließ Wang im Sportstudio aufnehmen. Die Fitnessgeräte, an denen die Models ihre Kleidung ausprobierten, waren selbstverständlich pechschwarz. Neben großflächigen Plakatflächen wurde die Kollektion größtenteils im Netz beworben: auf Blogs, bei Instagram und Facebook.

Aus dem Erfolgsmodell Health Goth ist inzwischen ein Marketinginstrument geworden. Das ist nicht den Gründern geschuldet, denen die Deutungshoheit über ihren erfundenen Trend langsam entgleitet, sondern den Epigonen, die daraus Kapital schlagen. Wenige Monate nachdem die Künstler aus Portland ihr Facebook-Profil eingerichtet hatten, erwarb ein gewisser Johnny Love aus Chicago den Namen für die bis dato nicht benutzte Domain healthgoth.com. Dort verkauft er seit einiger Zeit günstig produzierte T-Shirts mit verdrehten oder duplizierten Markenlogos von Adidas oder Nike. Beide Firmen sind in der Zielgruppe aufgrund ihres funktionalen Looks sehr beliebt.

Die Bewegung nahm eine Eigendynamik, die über eine Fanseite aus Portland nicht mehr zu steuern ist. Vor allem nicht, seit sie ihr Stammmedium Facebook verlassen hat. Johnny Love, der findige DJ aus Chicago, veröffentlichte vor kurzem ein Health-Goth-Fitness-Buch, in dem er Ratschläge zur richtigen Ernährung und dem perfekten Work-out erteilt. Auch wenn die ursprüngliche Philosophie den Sport als Element mitdachte, wurde er nie als reine Trendbeschreibung aufgefasst. Mit einem Mal kann man sich den Körper zur Jugendkultur formen. Er wird – nicht mehr die Mode – zur Voraussetzung.

Unter dem Hashtag #healthgoth findet man heute auf dem Bilderaustauschdienst Instagram nicht mehr nur modische Interpretationen. Weltweit posten Menschen auch Fotos von Eiweiß- Power-Riegeln, Hantelbänken, von ihren Laptops oder Handys, ihren Sixpacks neben düsteren Illustrationen und Tätowierungen.

Die ursprüngliche Health-Goth-Facebook-Seite distanziert sich von diesen Nachahmern. Man möchte mit den Geistern, die man rief, dann doch nicht so viel zu tun haben. Am liebsten wäre es den Gründern des Trends, Health Goth würde aufhören, als Begriff zu existieren. Aber so einfach ist das mit der Erinnerung im Internet nun mal leider nicht.

Die Autoren sind Gründer des Lifestyle-Blogs Dandydiary.com

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