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Panorama: Triumph des Bauens

In Moskau wird viel und rücksichtslos abgerissen. Das hat auch einen Vorteil. Es wird viel neu gebaut

Eine riesige Plane verhüllt die Fassade des Hotels „Moskwa“ – oder besser das, was von ihm noch übrig ist. Stein für Stein wird das mächtige Gebäude schräg gegenüber dem Kreml abgetragen. Immer stärker war der 1935 errichtete Bau mit seiner nach zwei verschiedenen – der Legende nach gleichermaßen von Stalin gutgeheißenen – Entwürfen komponierten Fassade am Manegeplatz vernachlässigt worden. Vor zwei Jahren dann verkündete Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow den Abriss. Ein neues Hotel soll entstehen, samt dringend benötigter Tiefgarage. Immerhin versprach Luschkow, das äußere Erscheinungsbild des im Stalin-Klassizismus errichteten Hotels zu wahren.

Brandstiftung?

Nicht immer bleibt Zeit, die Pläne des selbstherrlich regierenden Stadtoberhauptes abzuwägen. In der Nacht der Präsidentenwahl Mitte März brannte die Manege, ein nun tatsächlich klassizistischer Bau aus dem Jahre 1817, unweit des „Moskwa“ ab – Folge eines Kurzschlusses, wie Luschkow bereits am nächsten Tag wusste. Skeptische Moskowiter munkeln stattdessen von Brandstiftung; und in der Tat verblüffte die Eile, mit der nur Tage nach dem Brand die Bautrupps zur Trümmerbeseitigung anrückten. Auch hier ist die Wiederkehr des äußeren Erscheinungsbildes versprochen. Wenigstens blieben ja die Umfassungsmauern des als Reithalle errichteten, zuletzt für Ausstellungen genutzten Bauwerks erhalten.

Moskau befindet sich im Umbruch – wieder einmal. Nach den gewaltigen Veränderungen der Stalinzeit durch Abriss von Kirchen und Türmen und Durchbruch überbreiter „Magistralen“ hatte die russische Hauptstadt in den fünfziger Jahren das Aussehen gefunden, das sie bis über den Zusammenbruch des Sowjetsystems bewahren konnte. Dann aber begann der Einzug der „Biznizmen“ in die Führungsetagen. Nach der Wirtschaftskrise Ende der neunziger Jahre boomt der Immobilienmarkt mehr denn je.

Um den Schutz erhaltenswerter Bauten steht es nicht zum Besten. Zwar sind rund 2500 Bauwerke auf der Denkmalschutzliste verzeichnet, doch im Falle „abbruchreifer“ Bauten verfällt dieser Schutz. Und was wäre einfacher, als ein Objekt der Begierde „abbruchreif“ zu machen? Andererseits rühmt sich Luschkow der Wiederherstellung insbesondere sakraler Bauten, die den gigantomanischen Projekten der Stalinzeit zum Opfer gefallen waren. Spektakulär war der Neubau der 1930 gesprengten, ebenso großen wie kalten Christerlöser-Kathedrale an der Moskwa. Für das Stadtbild als wertvoller erwies sich der Wiederaufbau der den Militärparaden auf dem Roten Platz geopferten Eingangsbauten, des Woskresenskije-Tores und der gedrungenen Kathedrale der Muttergottes von Kasan.

Wohnbauten sind in Moskau immer noch Mangelware. Die Wohnungsknappheit des Staatssozialismus ist legendär. Kaum jemand, der nicht das entbehrungsreiche Leben entweder in einer „Komunalka“, einer mit mehreren Familien zwangsbelegten Gemeinschaftswohnung, oder aber das karge Glück in einer der gesichtslosen Plattenbauten am Rande der Zehn-Millionen-Stadt durchgemacht hätte. Größter Wunsch aller Moskowiter ist es, endlich in einer großzügig geschnittenen und nach eigenem Geschmack eingerichteten Wohnung zu leben.

So sehen die neuen Appartement-Häuser denn vielfach auch aus. Moskau setzte sich vom westeuropäisch ausgerichteten St. Petersburg seit dem späten 19. Jahrhundert durch bewusst „nationale“, altrussische Elemente ab. In der Stalinzeit wuchsen die aus Stilzitaten komponierten Gebäude ins Fantastische. Beides wissen die vermögenden Investoren und vor allem die Käufer der Eigentumswohnungen zu schätzen.

Gewaltigstes Bauvorhaben ist zurzeit der am nordwestlichen Stadtrand in die Höhe wachsende „Triumph-Palast“, stolz als „größtes Wohnhaus Europas“ angepriesen. Architekt ist Andrej Jurjewitsch Trofimow, der auch für andere Großprojekte verantwortlich zeichnet. Über vierzig Stockwerke erheben sich in einem zentralen Turm, der über einer mächtigen Zweiflügelanlage thront. Das Vorbild lässt sich unschwer in der Lomonossow-Universität auf den Leninbergen ausmachen, dem in Stalins Todesjahr 1953 fertig gestellten letzten der acht Hochhauskomplexe, die Moskaus Skyline bis heute bestimmen. Auch die dreiteilige Bürohaus-Anlage am Paweletzker Bahnhof von Sergej Tkachenko, einem der erfolgreichsten Architekten des neuen Moskau, bedient sich ungeniert bei stalinistischen Vorbildern.

Andere spektakuläre Neubauprojekte suchen eher eine Synthese zwischen Dekorationslust und den Erfordernissen des Stahlbetonbaus. Am Ufer der Moskwa weisen drei Wohntürme auf mehrfach geschwungenen Grundrissen in den Himmel. Diese „Purpur-Segel“ sind, wie so viele der stadtauswärts gelegenen Komplexe, von Zäunen und Sicherheitspersonal hermetisch abgeschirmt. Der Wunsch nach Schutz vor Verbrechen in der unsicher gewordenen Stadt, aber auch vor dem Herandringen der sozialen Probleme einer zu erheblichen Teilen verarmten Bevölkerung bestimmt die Nachfrage nach den teuren Wohnungen. Das gilt auch für Siedlungen, die entgegen dem verbreiteten Hochhausbau auf Einfamilienhäuser und Stadtvillen setzen, wie die weitläufige, einheitlich im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ gehaltene Anlage mit dem bezeichnenden Namen „Fantasieinsel“, gleichfalls am Fluss gelegen. Vorzeigeobjekt des neuen Moskau aber ist das Wohnhaus „Patriarch“ in bester Innenstadtlage – eine Capriccio aus Formen der italienischen Renaissance. Sergej Tkachenko hat ihm ein Modell von Tatlins „Denkmal für die III. Internationale“ aufgesetzt – dem berühmten, nie verwirklichten Entwurf der Revolutionszeit von 1918. Die Sowjetrevolution ist Geschichte, jetzt regiert das Kapital – und baut sich ein neues Moskau.

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