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Bald muss der Bosporus in Istanbul nicht mehr überquert werden - man kann ihn zukünftig in einem Eisenbahn-Tunnel unterqueren.

© dpa

Tunnel-Projekt in Istanbul: Historischer Durchbruch am Bosporus

Ein spektakuläres Tunnel-Projekt in Istanbul ist kurz vor der Fertigstellung - nach 150 Jahren Verspätung. Auf dem Meeresgrund des Bosporus soll eine Eisenbahn-Tunnel die beiden Kontinente Europa und Asien miteinander verbinden. 

In wenigen Wochen rücken Europa und Asien enger aneinander heran. Ein Eisenbahn-Tunnel unter dem Bosporus in Istanbul wird die europäische und asiatische Seiten der türkischen Metropole miteinander verbinden. Nur noch 700 Meter trennen die beiden Teilstücke – bald werden Menschen erstmals unter dem Bosporus hindurch von einem Erdteil in den anderen gelangen können. Durch den drei Milliarden Dollar teuren Tunnel sollen in zwei Jahren bis zu 75.000 Reisende pro Stunde in einer Fahrtzeit von wenigen Minuten von einer Seite Istanbuls auf die andere gelangen könenn. Die Macher sprechen von einem Jahrhundertprojekt und einer "neuen Seidenstraße" bis nach China, doch Kritiker sehen eine gigantische Fehlinvestition.

Rund 50 Meter unter der Erde wühlen sich die riesigen Bohrmaschinen durch die Erde, die Ingenieure rechnen im Januar mit dem großen Moment des Durchbruchs. Schon die osmanischen Sultane hätten von einer solchen Verbindung zwischen den Kontinenten geträumt und in damaligen Entwürfen in etwa dieselbe Route ins Auge gefasst, die jetzt Wirklichkeit werde, sagte der stellvertretende Projektleiter Hüseyin Belkaya der Presse: "Wir haben zwar 150 Jahre Verspätung, aber wir folgen den Spuren unserer Vorväter."

Der "Marmaray"-Tunnel besteht aus den gebohrten unterirdischen Teilstücken sowie aus elf riesigen Tunnelsegmenten aus Stahl und Beton, die von Spezialschiffen auf den Meeresboden abgelassen und dort miteinander verbunden werden. Bei dem Projekt sei sehr genau auf die Erdbebensicherheit geachtet worden, betonen die Planer von der staatlichen Bahn- und Flughafenbaubehörde DLH; nur 20 Kilometer vom Tunnel entfernt läuft eine aktive tektonische Verwerfungslinie durchs Meer.

Die Dimensionen von "Marmaray" stellen alle anderen Verkehrsprojekte in der Metropole Istanbul mit ihren zwölf Millionen Menschen in den Schatten. Insgesamt 1,4 Kilometer messen die im Meer versenkten stählernen Tunnelröhren, weitere 12,2 Kilometer an Tunnelstrecke werden unter dem Meeresgrund und unter den beiden Ufern gegraben. Auf der europäischen Seite Istanbuls bedeutet das eine Untertunnelung der historischen Halbinsel der Stadt mit Hagia Sophia, Blauer Moschee und Topkapi Palast. Rund 63 Kilometer an oberirdischen Anschlussstrecken werden neu gelegt oder modernisiert.

Reibungslos laufen die Arbeiten aber keineswegs. Das Projekt ist mehrere Jahre im Verzug, vor allem wegen der Entdeckung eines antiken Hafens an einer Tunnelbaustelle am europäischen Ufer Istanbuls: Die Baustelle legte mehrere Dutzend uralte Schiffe frei – und ermöglichte es den Archäologen, den Beginn der Istanbuler Siedlungsgeschichte weit in die Vergangenheit zurück zu datieren. Demnach ist die Stadt nicht etwa dreitausend Jahre alt, wie bisher angenommen, sondern mehr als achttausend Jahre. Die Forscher mögen sich freuen, doch die Ingenieure warten ungeduldig auf den Abschluss der Ausgrabungen.

Trotz der Verzögerungen betrachtet die türkische Regierung den "Marmaray"-Tunnel als verkehrspolitischen Segen, und zwar nicht nur für die Istanbuler. Mit Hilfe der neuen Verbindung will Ankara auch vom steigenden Gütervekehr zwischen Asien und Europa profitieren. Außerdem sollen Zugreisende dank "Marmaray" die Möglichkeit erhalten, ohne die bisherige Unterbrechung am Bosporus von Berlin oder Paris über die Türkei, den Iran und Indien bis nach China fahren zu können.

Manche sehen allerdings eher einen großen Flop statt einen großen Erfolg voraus. So kritisierte der Oppositionspolitiker Isa Gök, die von Südwesten nach Südosten Istanbuls ausgerichtete Streckenführung des Projekts gehe vollkommen an der Tatsache vorbei, dass die Stadt vor allem Richtung Norden wachse.

Solche Einwände können Verkehrsminister Binali Yildirim nicht schrecken. Noch während die Tunnelbohrer das Gestein für den "Marmaray"-Tunnel durchstoßen, denkt der Minister bereits über das nächste Großprojekt nach: Südlich des Eisenbahntunnels will er einen zweiten Tunnel für Autos und Lastwagen bauen lassen.

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