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Panorama: Vorsicht, Wähler

Der US-Wahlkampf ist schmutzig, aber am meisten haben die Politiker Angst vor dem Händeschütteln

Politik ist ein schmutziges Geschäft, darin sind sich die US-Bürger und die meisten ihrer gewählten Repräsentanten eine Woche vor der Kongresswahl einig. Bei der Beschreibung des Hygieneproblems gehen die Meinungen allerdings auseinander. Korruption nennen die Wähler als eine Hauptsorge. Und das Vertuschen von Skandalen in den eigenen Reihen, wie die SexE-Mails, die der Republikaner Mark Foley an minderjährige Praktikanten schickte; seine Neigung war, wie sich herausstellte, ein offenes Geheimnis in Washington. Schmutzig wirken auch „negative ads“: Wahlwerbung im Fernsehen, die nicht etwa die eigenen Ziele herausstellt, sondern den Gegner verunglimpft, um dessen potenzielle Anhänger zu verunsichern und vom Wählen abzuhalten. Die Strategie folgt der Logik, jede verhinderte Stimme für die Konkurrenz sei beim Auszählen genauso viel wert wie eine gewonnene Stimme für den eigenen Kandidaten. In drastischer Sprache verleumden Republikaner die demokratische Konkurrenz als Befürworter von Kindersex, als Schwulenfreunde, Ehegegner, Terroristenversteher. Demokraten umgekehrt die Republikaner als unsozial, Frauenfeinde, waffengeile Machos.

Politiker orten die Schmutzgefahr in diesen Tagen umgekehrt im Wahlvolk. Sie gehen auf Tuchfühlung, schütteln tausende Hände – und sammeln dabei Millionen Bakterien, Viren, Krankheitserreger ein. Die meisten Wahlkämpfer haben deshalb stets ein Fläschchen des Desinfektionsgels „Purell“ dabei, das laut Produktwerbung „99,99 Prozent der gängigen Erreger vernichtet“. Auch George W. Bush benutzt so ein Mittel, schildert Barack Obama, Umfrageliebling und schwarze Nachwuchshoffnung der Demokraten, auf Seite 46 seines neuen Buchs „The Audacity of Hope“. „Tolles Zeug. Verhindert, dass man sich mit einer Erkältung ansteckt“, habe Bush gesagt und ihm das Gel angeboten. „Ich nahm davon, denn ich wollte nicht unhygienisch erscheinen“, schreibt Obama.

„Das Großartige an der Politik ist der ständige Kontakt mit der Menschheit“, sagt der Demokrat Bill Richardson, Gouverneur von New Mexiko. „Dabei sammelt man Bakterien ein. So ist das Leben.“ Er hält den politischen Guiness- Buch-Rekord: 13 392 Hände in acht Stunden bei der New-Mexiko-Messe 2002, schreibt die „New York Times“; das Blatt hat jetzt Politiker befragt, wie sie sich vor dieser Art Wahlkampfschmutz schützen. Richardson sagt, er lehne es ab, Desinfektionsmittel nach dem Kontakt mit den Bürgern zu benutzen. „Das wäre erniedrigend für die Wähler.“

Den potenziellen Imageschaden befürchten viele Politiker. Vizepräsident Dick Cheney habe darauf geachtet, dass er außer Sichtweite des Volkes war, als er nach einem Auftritt zum Einwerben von Parteispenden in Topeka zu Purell griff. „Man hat halt nicht immer gleich ein Waschbecken in der Nähe“, sagt Anne Ryun, Ehefrau des Republikaners Jim Ryun aus Kansas.

Bill Clinton, ein Meister des Körperkontakts mit der Basis, wurde von seinem Arzt zum Gebrauch von Desinfektionsmittel verdonnert. Im Wahlkampf 1992 hatte er unzählige Hände in einer Taverne in Boston geschüttelt und eine Pastete mit auf den Weg bekommen. Hungrig wie er war, packte er es noch auf dem Weg zum Auto aus – mit ungewaschenen Fingern.

Sein Vizepräsident Al Gore machte, als er 2000 selbst kandidierte, seinen Vize Joe Lieberman zu einem Purell-Jünger. Harry Reid, demokratischer Minderheitsführer im Senat, schloss sich an, als er nach Hurrikan „Katrina“ mehrfach das von Schmutzwasser verseuchte New Orleans besuchte. Senator John McCain, mutmaßlicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2008, hat das Gel stets bei sich. Bob Dole war das Vorbild in seinem Wahlkampf ums Weiße Haus 1996.

Die studierten Mediziner unter den Politikern stehen offenbar weniger unter Desinfektionszwang. Oklahomas republikanischer Senator Tom Coburn wäscht, sooft er kann, die Hände, benutzt aber kein Purell. Wer häufig in Menschenmengen sei, setze sich eben dem Risiko aus, aber als lange praktizierender Arzt sei er schon zuvor ständig mit Erregern aller Art in Kontakt gekommen und habe überdurchschnittliche Immunität erworben. Howard Dean, linker Ex-Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, ebenfalls Mediziner und zweifacher Vater, sagt, auch er benutze kein extra Gel. „Wer Kinder hat, hat besondere Abwehrkräfte.“

Unterdessen erreichen die politischen Schmutzkampagnen krasse Formen, zum Beispiel in der Schlussphase des Senatswahlkampfs in Virginia, der womöglich darüber entscheidet, ob die Republikaner die Senatsmehrheit halten. Amtsinhaber George Allen zitiert aus Kriegsromanen seines demokratischen Gegners Jim Webb, der dort Soldaten in Bordellen derbe Sprüche in den Mund legt. Er tut so, als seien es Webbs persönliche Ansichten, um ihn als Frauenfeind zu porträtieren. Der schlägt zurück mit einem Zitat von Allens Schwester, die in einem autobiografischen Buch beschrieben hatte, wie ihr Bruder sie in Jugendzeiten an den Haaren die Treppe hinaufzog.

Bill Richardson, der Rekordler im politischen Händeschütteln, verspricht, selbst wenn er zur Präsidentenwahl 2008 antrete, werde er kein Desinfektionsgel benutzen. Und begründet das doppeldeutig: „Ich habe keine Angst davor, mir die Hände schmutzig zu machen.“

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