zum Hauptinhalt
Der Vulkan Popocatépetl ist derzeit sehr aktiv.

© AFP

Vulkan Popocatépetl: Das Grollen des Don Goyo

Der Vulkan Popocatépetl in Mexiko ist zurzeit äußerst aktiv. Die Evakuierung Tausender ist vorbereitet. Warum es trotzdem faszinierend ist, an seinem Fuße zu leben – eine Liebeserklärung.

Wenn nur die Asche nicht wäre. Seit fast fünf Jahren lebe ich am Fuße eines aktiven Vulkans – und ich mag ihn. Meistens jedenfalls. Den majestätischen Anblick, wenn die aufgehende Sonne den schneebedeckten Kegel des Popocatépetl rosa färbt. Oder wenn er eine kilometerhohe Rauchfahne ausspuckt und mein Sohn mich fragt, ob der Popocatépetl die Wolken macht. Und ab und zu – so wie in diesen Tagen – erinnert uns der 5452 Meter hohe Koloss im zentralmexikanischen Puebla an seine Macht. Seit einigen Tagen spuckt er Rauch, Asche und Gestein.

Er grummelt, und in der Nacht kann man manchmal etwas Lava im Krater leuchten sehen. Morgens sieht es aus, als habe es geschneit: Das ist die Asche. Dann müssen alle mit Mundschutz auf die Straße, in der Schule fällt der Sportunterricht im Freien aus, und man verbringt Stunden damit, den feinen Staub zusammenzufegen, was eigentlich sinnlos ist. Denn er kriecht durch jede Ritze , legt sich auf alles, das Fensterbrett genauso wie das Bücherbord und den Computer. Wenn es morgens beim Gang ins Bad unter den Fußsohlen knirscht, dann wünsche ich mich nach Europa zurück.

Zurzeit ist der Vulkan wieder sehr aktiv, Experten haben eine Lavakruste diagnostiziert, die die Kondukte verstopft und sich demnächst in einer Explosion entladen wird. Am Montag wurde die Alarmstufe „Gelb drei“ verhängt und die Behörden bereiten sich auf eine Evakuierung vor. Als Innenminister Osorio Chong die Entscheidung twitterte und wenige Zeit später ein Heer von Journalisten und Militärs in dem Indigenadorf San Nicolás de los Ranchos aufmarschierte, war die Aufregung groß. „11000 Menschen leben in einem Radius von zwölf Kilometern rund um den Krater. Die Behörden haben bereits Turnhallen als Notunterkünfte hergerichtet.

In den vergangenen 24 Stunden haben die Wissenschaftler 25 kleinere Eruptionen registriert“, berichtete ein Radioreporter atemlos – vermutlich wegen der Höhe. Die Notunterkünfte sind alle im zweiten Radius von 20 Kilometern um den Vulkankegel. Ein dramatischer Ausbruch dürfte also nicht bevorstehen, kalkulierte ich. Ich wohne 35 Kilometer vom Krater entfernt, also im dritten Evakuierungsradius. Ich solle zu Hause genügend Trinkwasser, Decken, Konserven und Kerzen oder Taschenlampen bereithalten und mich über die Evakuierungswege informieren, hieß es. Das ist nicht allzu schwierig – die Ringautobahn liegt in unmittelbarer Nähe.

Doch ob die dem Ansturm von hunderttausenden Autos gewachsen wäre? Die Bewohner von San Nicolás hingegen, die als Erste ihre Lehmhütten verlassen müssten, machen sich überhaupt keine Sorgen. Sie ertrugen den Rummel am Montag mit stoischer Ruhe und boten den Neuankömmlingen einen Schnaps und warme Tortillas an. „Wir leben seit Jahrhunderten mit dem Vulkan und kennen ihn genau. Für uns ist er Don Goyo, und er ist heilig. Besorgt sind wir nicht“, sagte Bürgermeister Víctor Menéndez. Und von Evakuieren halten die Indigenas natürlich gar nichts. Warum, erläuterte Doña Vicenta, eine alte Heilerin: „Der Vulkan ist krank, und wir müssen ihm dringend Medizin und Opfergaben bringen. Aber die Behörden haben uns verboten, die Zeremonienstätte unterhalb des Kraters zu besuchen.“

An manchen Tag sieht es aus, als hätte es geschneit.
An manchen Tag sieht es aus, als hätte es geschneit.

© AFP

Don Goyo, so erzählt es eine alte Indigenalegende, war eigentlich ein mutiger Krieger und liebte die Prinzessin Ixtaccihuátl. Bevor er in den Krieg zog, bat er den König um die Hand seiner Tochter. Dieser willigte ein – wenn Popocatépetl siegreich aus dem Krieg gegen die Azteken zurückkomme. Davon erfuhr ein Widersacher Popocatépetls und einige Wochen später streute er das Gerücht, Popocatépetl sei im Gefecht gefallen. Darüber ergrämte sich Ixtaccihuátl derart, dass sie starb. Als Popocatépetl wenige Zeit später siegreich und glücklich aus dem Krieg zurückkehrte und von der Tragödie erfuhr, beerdigte er sie unter einem Steinhügel, der die Form einer schlafenden Frau annahm, und wacht seither mit einer Fackel über ihren ewigen Schlaf. Immer, wenn sich sein Herz der Geliebten erinnere, so die Legende, entzünde sich das Feuer der Leidenschaft in ihm, und schicke eine Rauchfahne in den Himmel.

So weit die mexikanische Version von „Romeo und Julia“. Ich finde sie wunderbar und habe große Hoffnung, dass Doña Vicenta und die anderen „Vulkanschamanen“ des Dorfes es doch noch schaffen werden, Don Goyo zu heilen. Dann wird er bald wieder in altem Glanze erstrahlen, der leidige Ascheregen ein Ende haben – und meine Bewunderung für ihn erneut grenzenlos sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false