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Vor der Krise geflohen. Antigoni Avgeropoulou verlor in Athen ihren Job als Journalistin. Spontan beschloss sie, nach Berlin zu gehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Griechen in Berlin: Die Spree-Athener

In ihrer Heimat haben sie keine Perspektive. Deshalb ziehen viele Griechen nach Berlin. Dauerhaft bleiben wollen sie aber nicht.

Die Worte des Vermieters trafen ihn hart. Sotiris Mitralexis ist heute noch entsetzt, wenn er an die Wohnungsbesichtigung in Mitte vor einigen Monaten denkt. Man wolle hier keine Griechen haben, bekam der 24-jährige Athener zu hören. Ein Satz wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Es war nicht die erste spitze Bemerkung, die Sotiris seiner Herkunft wegen einstecken musste. „Es ist in diesen Zeiten nicht gerade schön, in Deutschland ein Grieche zu sein“, sagt Sotiris.

Das war einmal anders. In den 50er und 60er Jahren kamen viele Griechen nach Deutschland, sie halfen erst beim Ankurbeln des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders und richteten sich später hier dauerhaft ein. Wer sich mit Einwanderern der ersten Generation unterhält, bekommt schöne Erlebnisse zu hören, Schwärmereien über die deutsch-griechische Freundschaft. Heute ist die Situation eine andere. Junge Hellenen sehen in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Ob zum Studium oder auf Arbeitssuche – alles scheint im Ausland eher möglich als im krisengebeutelten Griechenland. Zu Tausenden verlassen sie ihre Heimat, viele zieht es nach Deutschland.

So auch Sotiris Mitralexis. Vor drei Jahren kam er als Erasmusstudent nach Berlin und war sofort fasziniert von der Stadt, von ihrem turbulenten Leben. Nun ist er zurückgekehrt, um am Philosophischen Institut der FU zu promovieren. Warum? Weil in Griechenland in den letzten Jahren viele Fördermittel im Bildungsbereich gestrichen worden seien, erzählt Sotiris. „Und außerdem ist die Infrastruktur an den Unis hier viel besser – allein die Bibliotheken sind super sortiert.“ In Mitte fühlt er sich inzwischen zu Hause, nach dem ernüchternden Erlebnis mit dem von Vorurteilen geprägten Vermieter hat er dort doch noch eine Wohnung gefunden. „Wenn ich dann doch mal Heimweh bekomme, hilft immer ein gutes griechisches Restaurant und ein bisschen Rembetiko-Musik.“

Nach seiner Promotion wird Sotiris zurück nach Griechenland gehen. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Von den Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes wird vielmehr erwartet, dass sie zurückkehren, um den „Wandel durch Austausch“ zu fördern. Doch daran mag Sotiris vorerst nicht denken. Er engagiert sich lieber in der griechischen Gemeinde, deren Zentrum in Steglitz für viele Auswanderer ein erster Anlaufpunkt ist. Mit Deutschkursen, Veranstaltungen und Diskussionsabenden soll die Integration der Neuankömmlinge gefördert werden. „Leider ist der Bedarf mittlerweile unglaublich hoch und wir haben Schwierigkeiten, allen zu helfen“, sagt Sotiris. Das Problem sei, dass einige Griechen Berlin nur „aus der Werbung“ kennen und glauben, hier ganz schnell Arbeit und eine Wohnung zu finden – auch ohne Deutschkenntnisse.

Im ersten Halbjahr 2011 verzeichnete das Statistische Bundesamt 84 Prozent mehr Einwanderer aus Griechenland als im Vorjahr. Die Tendenz für das Jahr 2012 ist nach Auskunft der Statistiker deutlich steigend. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Arbeitssuche in Griechenland wurde im letzten Jahr nochmals härter. Mittlerweile gibt es nicht einmal mehr Jobs als Kellner. Deshalb ist für viele – darunter auch gut ausgebildete Griechen – Berlin ein bevorzugtes Ziel.

Fast wie im Süden. Alina Kirgiannaki mag das bunte Treiben in Berlin.
Fast wie im Süden. Alina Kirgiannaki mag das bunte Treiben in Berlin.

© Paul Zinken

„Berlin ist halt nicht wie der Rest des Landes“, sagt Alina Kirgiannaki. Sie kam vor eineinhalb Jahren in die Stadt. „Hier ist es manchmal fast ein bisschen wie im Süden mit den Straßencafés und dem bunten Treiben.“ Die Atmosphäre sei lockerer als in anderen deutschen Städten, findet Alina und lächelt. Die 24-Jährige wohnt in Kreuzberg und liebt den Bezirk. „Trotzdem fehlt mir Griechenland. Der Duft vom Meer, die heiße Sonne. Und vor allem die Gerichte meiner Mutter.“ Wenn es zu schlimm wird, rettet sich Alina mit griechischer Musik und griechischen Büchern über das Heimweh hinweg. Fast täglich telefoniert sie mit ihrer Familie in Thessaloniki oder skypt mit Freunden.

Die Krise hat Alina nicht aus Griechenland vertrieben, sie macht ihr eine Rückkehr in die Heimat unmöglich. In London studierte Alina Filmwissenschaften, danach wollte sie wieder nach Hause. „Aber ich hätte dort keine Perspektive.“ Im Gespräch redet sie sich regelrecht in Rage. Die Krise habe eine Mauer um ihr Land gelegt, die sie nicht überwinden könne. Im quirligen Berlin fühlt sich Alina meist wohl und jobbt sich durchs Leben. Dennoch: Selbst in ihrer WG bekommt sie manchmal ironische Sprüche zu hören, Sätze wie „Ich zahl das schon für dich“. Lustig findet sie das nicht. „Das nervt schon.“

Antigoni Avgeropoulou glaubte, nach ihrem Studium alles erreicht zu haben. Ein gesichertes Leben, einen guten Job. Dreieinhalb Jahre arbeitete sie als Journalistin für die Athener Tageszeitung „Eleftheros“. Bis das Blatt im August 2011 pleiteging. Wie sie davon erfuhr, hat Antigoni noch genau vor Augen. Es war spät und sie saß mit einer Freundin bei einer Flasche Wein zusammen, als ein Anruf kam. Ein Kollege teilte ihr mit, dass am nächsten Tag die letzte Ausgabe erscheinen würde. „Ich glaubte zuerst an einen schlechten Scherz“, sagt Antigoni. Doch der Kollege meinte es ernst. Vom einen auf den anderen Tag stand sie ohne Job da. Wie ihr ergeht es vielen Griechen. Kurzfristige Entlassungen stehen auf der Tagesordnung. Damit die Angestellten bis zum Schluss motiviert bleiben.

Weil die Aussichten, in Griechenland Arbeit zu finden, gleich null waren, verließ Antigoni kurzerhand ihre Heimat. Ein Freund von ihr war bereits zwei Jahre zuvor nach Berlin gezogen. „Er war für mich eine gute Anlaufstelle.“ Dass sie in der Fremde ganz von vorn anfangen würde, war ihr klar. Als Journalistin kann sie hier aufgrund der Sprache nicht arbeiten. „Das fehlt mir schon sehr“, sagt Antigoni. Ihr Leben hat sich in den vergangenen Monaten stark verändert: „Alle meine Zukunftspläne waren mit der Kündigung vom Tisch.“ Nun kellnert sie gelegentlich in einem griechischen Restaurant – für fünf Euro die Stunde. Doch seit kurzem gibt es einen Hoffnungsschimmer. Antigoni hat einen Platz in einem internationalen Programm für Journalisten bekommen, der Kurs findet auf Englisch statt. Die zwölf Teilnehmer lernen, wie sie sich auf dem Medienmarkt behaupten können. Parallel dazu nimmt die Griechin zweimal die Woche Deutschunterricht. „Es tut gut, wieder Perspektiven zu haben“, sagt Antigoni. Trotzdem vermisst sie ihre Heimat, ihre Familie. „Ich möchte wieder nach Hause zurückkehren, wenn es irgendwann möglich ist.“

Diese Einstellung teilt Antigoni mit vielen Landsleuten, die vor der Krise nach Berlin geflüchtet sind. Für die meisten ist eine Zukunft in Deutschland undenkbar. Fast alle möchten eines Tages zurückkehren in ihre Heimat. In ein Land, das ihnen dann wieder Arbeit, Perspektive und ein geregeltes Leben bietet.

Theodora Mavropoulos

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