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Panorama: Kartoffeln anbauen für Palästina

Leserin Sonia Gidal besuchte die zionistische Theodor-Herzl-Schule

Von 1936 bis 1938 ging ich in die „TheodorHerzl-Schule“. Sie lag am Kaiserdamm in der Nähe des heutigen Theodor-Heuss-Platzes. Damals hieß der Platz Adolf-Hitler-Platz. Die Theodor-Herzl-Schule war eine zionistische Schule. Wir Schüler und die Lehrer wollten Palästina aufbauen. Zuvor hatte ich das Goethe-Oberlyzeum, eine Mädchenschule, in Grunewald besucht. Mit 13 Jahren wechselte ich auf die Theodor-Herzl-Schule, weil ich aus einer christlich-jüdischen Familie stamme. Außerdem war ich in einer zionistischen Jugendbewegung aktiv.

Auf der Herzl-Schule war es großartig. Ich wollte wie meine Mitschüler keinen Tag dort versäumen. Wir hatten so tolle Lehrer. Der Mann der berühmten Dichterin Mascha Kaléko zum Beispiel unterrichtete uns in Hebräisch. Der Vater von Inge Deutschkron brachte uns Französisch bei. Im Geschichtsunterricht durften wir Modelle bauen, um uns vorzustellen, wie es in Rom in der Antike ausgesehen hat. Bei einem Schulausflug besuchten wir Gerhart Hauptmann im schlesischen Agnetendorf. „Wenn ihr nach Palästina geht, vergesst die deutsche Sprache nicht“, sagte er beim Abschied.

Die Stadt Berlin hatte uns ein Stück Land neben der Schule zur Verfügung gestellt. Hier pflanzten wir Schnittlauch, Kartoffeln und Gemüse an. Wir sollten uns in landwirtschaftlichen Dingen üben, schließlich hatten wir ja das Ziel, nach Palästina auszuwandern und ein neues Land aufzubauen.

Die Nationalsozialisten kümmerten sich nicht um unsere Schule, keine Schulaufsicht kam vorbei, niemand behelligte uns, wir konnten machen, was wir wollten. Adolf Hitler fuhr oft an unserer Schule vorbei. Dann rannten wir raus, um ihn zu sehen. Mit einem Schulfreund erfand ich eine Geheimsprache, die niemand verstehen sollte, die aber gut klang – eine Mischung aus Englisch und Französisch. Einmal, als Hitler wieder vorbeifuhr, standen wir in der Menschenmenge vor der Schule. Die Berliner um uns herum hatten die Hände zum Hitlergruß erhoben, wir hatten unsere unten und radebrechten in unserer Geheimsprache. „Diese Ausländerkinder brauchen unseren Führer nicht zu grüßen, eine Schande“, sagte eine Frau neben uns zu einer anderen.Wir lachten und rannten ins Schulgebäude.

Am 13. März 1938 bestieg ich am Anhalter Bahnhof den Zug nach München. Von dort ging es weiter nach Triest und mit dem Schiff nach Palästina. Dort ging ich in eine landwirtschaftliche Kibbuz-Schule. Meine Familie blieb in Berlin.

Aufgezeichnet von Claudia Keller.

Sonia Gidal ist 83 Jahre alt und lebt wieder in Berlin. Sie hat viele Jahre lang in Jerusalem als Pressefotografin gearbeitet und später mit ihrem Mann Tim, der auch Fotograf war, in München, in den USA und in England gelebt. Sie hat Jugendbücher über 25 Länder in Deutsch und Englisch geschrieben.

Am Kaiserdamm 77, am Neubau des Sender Freies Berlin, hängt heute eine Gedenktafel, die an die Theodor-Herzl-Schule erinnert und an die Schulleiterin Paula Fürst. Sie wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

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