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Die Anwälte des beklagten Vaters des Amokläufers von Winnenden, Hubert Gorka (l-r), Hans Steffan und Elisabeth Unger-Schnell stehen am in einem Gerichtssaal des Landgerichts in Stuttgart (Baden-Württemberg) vor der Urteilsverkündung im zweiten Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen an einer Bank.

© dpa

Winnenden-Urteil: Vater des Winnenden-Amokläufers trägt Mitschuld

Der Vater des Amokläufers von Winnenden ist zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden – wegen Mitschuld. Die Angehörigen der Opfer sind zufrieden. Es ging ihnen nicht um Rache, sondern um Verantwortung.

Draußen vor dem Gerichtsgebäude steht Birgit Schweitzer. Sie sieht erschöpft aus. Wie es ihr geht, wird sie gefragt. „Ich bin erleichtert, dass es um ist“, sagt sie. „Jetzt können wir endlich anfangen zu trauern.“ Ihre Tochter Selina war 15 Jahre alt, als Tim K. sie erschoss.

Eineinhalb Stunden vorher haben sich im großen Saal des Stuttgarter Landgerichts alle von ihren Plätzen erhoben. Die Richter, die Staatsanwälte und die vielen Opferanwälte in ihren schwarzen Roben, die Eltern der toten Kinder, ihre Freunde, auch Polizisten. Jetzt erst wird Jörg K. hereingeführt, eskortiert von zwei Polizisten. Zu seiner Sicherheit. Der kleine untersetzte Mann mit dem lichten Haar und dem grauen Vollbart ist der Vater von Tim K., dem Amokläufer von Winnenden. Der Weg zur Anklagebank wird dem 54-Jährigen in diesem Moment wie der Gang zum Schafott vorgekommen sein. Doch es geht hier im Saal wohl niemandem um Rache. Es geht um die Anerkennung von Schuld, die die Angehörigen bei ihm so schmerzlich vermissen.

Jörg K. trägt nach Ansicht der 7. großen Strafkammer eindeutig Mitschuld an der Tat seines Sohnes. Am 11. März 2009 wurde Tim K. mit der Waffe seines Vaters zum Massenmörder. Einige weinen stumm, als der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski noch einmal all das Grauen vor Augen führt, das Tim in seiner früheren Schule, der Albertville-Realschule anrichtete. 15 Menschen tötete, 14 weitere verletzte er. Am Ende richtete er sich selbst.

„Die Kammer ist davon überzeugt, dass es nicht zum Amoklauf gekommen wäre, wenn Sie die Waffe und die Munition ordnungsgemäß verschlossen hätten. Punkt. Aus“, sagt der Richter zu Jörg K. Das Landgericht Stuttgart hat den 54-Jährigen am Freitag deshalb nicht nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, sondern auch wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Jörg K. hatte die Waffe, eine Beretta, unter seinen Pullovern im Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Ein Magazin lag im Nachtisch. Die Waffe wurde zum Mordwerkzeug seines Sohnes. Jörg K. hätte damit rechnen müssen, dass Tim sie benutzen wird. Wer eine Waffe unsicher lagere, trage Schuld, wenn andere sie entwendeten und mit ihr mordeten, stellt der Richter fest. Ob die Eltern wirklich etwas von Tims „Hass auf die Welt“ und seinen Tötungsfantasien wussten, die er gegenüber einer Therapeutin geäußert haben soll, konnte das Gericht nicht klären. Für die Schuld des Vaters habe dies keine Rolle gespielt.

„Ihr Sohn war psychisch krank“, sagt der Richter zu Jörg K. Fünfmal sind die Eltern mit ihm zu Gesprächen in eine Jugendpsychiatrie gefahren. Jörg K. wusste um Tims Labilität. Doch er ignorierte den Rat der Klinik, seinen Sohn weiter behandeln zu lassen. Statt auf Alarmsignale zu achten oder zumindest dafür zu sorgen, dass die Schusswaffen sicher verwahrt waren, ließ der Vater seinen Sohn auch noch im Schützenverein trainieren. Richter Polachowski sagt aber auch: „Niemand hätte sich noch eine Stunde vor dem Amoklauf vorstellen können, dass dieser freundliche, höfliche junge Mann, diese Tat begeht. Sie nicht, ich nicht, kein Arzt dieser Welt.“ Doch Tim K. hatte Zugang zu Schusswaffen, ohne die er nicht zum Amokläufer geworden wäre.

In Jörg K. wurde erstmals jemand wegen eines Amoklaufs verurteilt, den er nicht begangen hat. Es ist das zweite Urteil in dieser Sache. Beim ersten Urteil fiel das Strafmaß drei Monate höher aus.

Gisela Mayer ist „sehr, sehr zufrieden“ mit der Entscheidung des Gerichts, sagt sie. Sie hat ihre 24 Jahre alte Tochter Nina verloren. „Es kommt uns nicht auf die Strafe an, es kommt darauf an, dass die Schuld ausgesprochen ist. Es kommt darauf an, dass der Vater für die Folgen seines Handelns in allen Konsequenzen verantwortlich ist.“

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