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Panorama: Zwischen den Zeiten

Bill Clinton wird 60 und bleibt aktiv: als politischer Akteur mit wirksamer PR – und bald als „First Husband“?

Er ist das Symbol einer besseren Zeit: Als der islamische Terrorismus noch keine alltägliche Gefahr war, als die Wirtschaft boomte, als der Ostblock zusammengebrochen war. „Alles ist möglich, Berlin ist frei“, sagte der damalige US-Präsident Bill Clinton bei seinem Besuch in Deutschland mit seiner heiser-rauchigen Stimme, in der so viel Genussfreude und Lebenserfahrung mitschwang. Es klang wie die Verheißung einer langen Friedensära. Und abends holte er auf der Europatour sein Saxofon heraus und spielte in einer Bar in Prag …

Die Realitäten haben ihn und uns noch während seiner Amtszeit im Weißen Haus eingeholt. Auch unter Clinton führten die USA Kriege: auf dem Balkan, in Somalia. Er ließ Irak mehrfach bombardieren und Al-Qaida-Lager in Afghanistan. Und schon er scheiterte wie jetzt Nachfolger George W. Bush an der überfälligen Reform des US-Gesundheitssystems. Auch unter ihm lehnten die USA die Klimaschutzpolitik von Kyoto ab. Gegen Ende seiner Amtszeit brach die Börse ein. Und dann waren da mehrere leidige Affären und Skandale: Monica Lewinsky, Jennifer Flowers, die Verwicklung in die Whitewater-Immobilien-Spekulation in Arkansas.

Bill Clintons Beliebtheit hat das alles keinen Abbruch getan, nicht in den USA – abgesehen vom harten Kern Konservativer, die in ihm ein Symbol des moralischen Verfalls sehen. Und schon gar nicht weltweit: Noch immer fliegen ihm die Herzen zu. Noch immer beflügelt er die Fantasien vieler Mitmenschen, auch die der Medien.

Am Sonnabend wird Bill Clinton 60 Jahre alt. Schon jetzt ranken sich um seinen runden Geburtstag Legenden: Die Rolling Stones würden ihm aufspielen und zum Start in eine zweite Jugend verhelfen, kann man lesen. Andere wollen wissen, dass Bill jetzt vor allem drei Träume habe: erstens, als „first husband“ einer Präsidentin Hillary Clinton wieder ins Weiße Haus einzuziehen, er rede angeblich ganz offen darüber; zweitens, UN-Generalsekretär zu werden; drittens, wegen seines Einsatzes gegen Aids sowie für die Hurrikan- und Tsunamihilfe den Friedensnobelpreis zu erhalten.

Die Wirklichkeit ist etwas nüchterner. Hillary hat noch nicht einmal erklärt, dass sie 2008 antritt, und Bill hat öffentlich abgestritten, dass er über seine Rolle dabei auch nur nachdenke. Nach einer unausgesprochenen Regel kommen Amerikaner als UN-Generalsekretär nicht infrage. Und das Rolling-Stones-Konzert steigt erst am 29. Oktober in New York, drei Tage nach dem 59. Geburtstag Hillarys, die wenige Tage darauf als Senatorin wiedergewählt werden will. Offiziell geht es weniger um Bills Geburtstag als um mehrere „Fundraisings“ – Benefizveranstaltungen für humanitäre Stiftungen, für die Bill arbeitet. Geschickte Öffentlichkeitsarbeit war schon immer eine Stärke der Clintons. Warum nicht den Geburtstag als zusätzlichen Anreiz einsetzen?

Selbst Tony Snow, neuer Sprecher des amtierenden Präsidenten George W. Bush, fiel auf diese Inszenierung herein. Als Bush, der andere prominente Babyboomer des Jahrgangs 1946, vor einem Monat seinen 60. feierte, wollte Snow Bushs Bescheidenheit im Vergleich zu Clinton herausstreichen: „Er macht keine Gala im Madison Square Garden.“ Doch auch die Gala an New Yorks feinster Adresse, auf die Snow anspielte, ist keine Geburtstagsfete zu Bills 60., sondern ein weiteres Fundraising im Oktober.

George W. Bush und Bill Clinton: Die Abfolge der beiden runden Geburtstage so kurz hintereinander führt Amerika zwei Politikstile vor, zwei sehr unterschiedliche Charaktere. Bush, der Millionärssohn, der in der Jugend auch über die Stränge schlug, dem Whisky kräftig zusprach, bis er gerettet und zum Asketen wurde. Nach der weltlichen Version hat seine Frau Laura ihn eines Tags vor die Wahl gestellt: „It’s me or Johnny Walker.“ Nach der religiösen Variante läuterte Gott den Sünder und machte ihn zum „wiedergeborenen Christen“.

Clinton, aus armen Verhältnissen in Arkansas, konnte dank der sozialen Durchlässigkeit des amerikanischen Bildungssystems und der Stipendien für Begabte an Eliteuniversitäten studieren. Aus seiner Genusssucht hat er nie einen Hehl gemacht. Wo sie mit Amerikas engen Moralvorstellungen kollidierte, behalf er sich mit kreativen Schwindeleien. Ob er Marihuana geraucht habe? „Ich habe nicht inhaliert.“ Sex mit Monica Lewinsky hat er zunächst abgestritten. Seine nachgereichte Definition, um nicht der Lüge überführt zu werden: Sie hätten nur oralen Verkehr gehabt, das sei kein richtiger Sex.

So verschieden die beiden sind – öffentlich äußern sie Respekt voreinander. Es ist keine Frontalkritik Clintons an Bush zu hören, auch nicht an seiner Irakpolitik.

Zum 60. bewegen sie ganz ähnliche Gedanken: „Früher dachte ich, 60 ist ganz schön alt“, sagt Bush. Heute sehe er das anders. Natürlich, ein bisschen grauer sei er geworden, und manchmal ein bisschen müde, eben dem Alter entsprechend. Clinton sagt, in seinem Berufsleben habe er meist zu den Jüngsten gehört. Präsident wurde er mit 46 Jahren. „Eines Tages merkte ich, dass ich der Älteste im Raum bin.“ Und nun 60? „Ich hasse die Vorstellung. Aber so ist es.“

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