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Wirtschaft: 3,6 Prozent mehr Geld

Die Arbeiter an den Hochöfen gehen voran: Auch in anderen Branchen sind nun höhere Löhne drin, sagen Experten

Berlin - Nach der Einigung auf ein deutliches Lohnplus für die Stahlarbeiter im Nordwesten können auch Beschäftigte in anderen Branchen auf mehr Geld hoffen. Ökonomen zufolge ist der Spielraum für eine höhere Bezahlung angesichts des Aufschwungs vorhanden. Auch die Gewerkschaften sehen sich nach der Wirtschaftskrise im Aufwind. „Krise war gestern“, sagte Oliver Burkhard, IG-Metall-Chef in Nordrhein-Westfalen.

„Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Dynamik und der langen Lohnzurückhaltung halte ich ein gesamtwirtschaftliches Plus von bis zu 3,5 Prozent für vertretbar“, sagte Uwe Angenendt, Chefvolkswirt der BHF-Bank, dieser Zeitung. Zumal sich die Wirtschaftsaussichten für das kommende Jahr angesichts der jüngsten Konjunkturdaten weiter aufgehellt hätten. „2010 wird die Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent wachsen, 2011 um 3,0 Prozent“, sagte er. Zudem werde es auch in der Binnenwirtschaft aufwärts gehen, nicht mehr nur in den exportstarken Branchen. „Der Aufschwung gewinnt an Breite.“ Der Stahl-Abschluss habe daher „eine Signalwirkung“, sagte Angenendt.

Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, sagte, dies sei der erste wichtige Abschluss nach der tiefen Krise. „Das ist ein Signal auch für andere Bereiche der Wirtschaft.“ Ein gesamtwirtschaftlicher Lohnanstieg von drei bis dreieinhalb Prozent wäre seiner Ansicht nach möglich, ohne dass Arbeitsplätze in Gefahr gerieten. „Die Unternehmensgewinne steigen nun nach der Krise ja auch.“ Im vergangenen Jahr waren sie angesichts der Rezession um 12,6 Prozent gesunken, dieses Jahr werden sie um 16,8 Prozent steigen, nimmt Horn an.

In der Nacht zum Donnerstag hatten sich die IG Metall und die Stahl-Arbeitgeber in Düsseldorf auf eine Lohnsteigerung um 3,6 Prozent geeinigt. Zudem erhalten die 85 000 Beschäftigten in NRW, Bremen und Niedersachsen eine Einmalzahlung von 150 Euro für den September. Das Abkommen, das für die Belegschaften von Firmen wie Thyssen-Krupp, Salzgitter oder Arcelor-Mittal gilt, läuft 14 Monate. Insgesamt liegt das Volumen bei rund vier Prozent. Gefordert hatte die IG Metall sechs Prozent. Erstmals einigten sich die Verhandlungsparteien darauf, Leiharbeiter und Festangestellte gleich zu bezahlen (siehe unten). Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber nannte den Abschluss „fair und gerecht“. Der Chef der Arbeitgebervereinigung Stahl, Helmut Koch, kritisierte die „erhebliche“ Belastung. Für die 8000 Beschäftigten im Osten ist der Konflikt noch nicht ausgestanden. Hier soll der West-Abschluss Vorbild sein. Die IG Metall strebt eine Verständigung darüber in der kommenden Woche an.

In der Krise hatte die IG Metall noch den Schwerpunkt auf die Beschäftigungssicherung gelegt. 2009 begnügte sie sich mit einer Einmalzahlung und akzeptierte für 2010 ein Lohnplus von zwei Prozent. Die Stahlindustrie ist gleichwohl ein Sonderfall. Zum einen sind neun von zehn Beschäftigten Gewerkschaftsmitglied, zum anderen arbeiten die Betriebe angesichts des Aufschwungs fast wieder an der Kapazitätsgrenze.

In anderen Branchen hatten sich die Tarifpartner im ersten Halbjahr zumeist auf Einmalzahlungen geeinigt. Diese heben das Einkommen aber nicht dauerhaft an. Im vergangenen Jahrzehnt waren die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland nur um 21,8 Prozent gestiegen, im Euro-Raum lag der Anstieg dagegen mit 29,5 Prozent deutlich höher.

Als nächster großer Tarifvertrag läuft Ende Dezember das Abkommen für die mehr als 640 000 Beschäftigtem im öffentlichen Dienst der Länder aus. Berlin ist davon nicht betroffen. Im Frühjahr 2011 sind dann die Chemieindustrie, der Bau und der Einzelhandel dran. Unmittelbar vor einem Streik stehen die privaten Eisenbahnbetreiber. Nachdem die Verhandlungen über einen Branchentarifvertrag faktisch gescheitert sind, wollen die Gewerkschaften Transnet und GDBA in den kommenden Tagen über ihr weiteres Vorgehen befinden. Sie hatten mit einem Arbeitskampf gedroht, sollten die Unternehmen Keolis, Arriva, Abellio, Veolia und Benex nicht auf ihre Forderungen eingehen.

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