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Einkommensentwicklung: Abgehängt ohne Tarif

Nur gut die Hälfte der Beschäftigten hat seit dem Jahr 2000 die Kaufkraft steigern können. In diesem Jahr gibt es im Schnitt 3,1 Prozent mehr Geld.

Die Löhne und Gehälter steigen in diesem Jahr erheblich, doch nimmt man die Periode seit dem Jahr 2000 in den Blick, dann sieht die Einkommensbilanz bescheiden aus: Die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem sind heute real, also abzüglich der Preissteigerung, nicht höher als zur Jahrtausendwende. Deutlich besser ergangen ist es den Arbeitnehmern, die nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, sie bekommen heute real gut zehn Prozent höhere Gehälter als vor vierzehn Jahren. Immerhin 60 Prozent der Beschäftigten in den alten Bundesländern werden nach einem Tarif bezahlt, im Osten sind es nur 47 Prozent. „Angesichts der rückläufigen Tarifbindung, des wachsenden Niedriglohnsektors und der zunehmenden Teilzeit- und Minijobs schlug die Tarifentwicklung nicht auf die tatsächlich gezahlten Verdienste aller Beschäftigten durch“, resümiert Reinhard Bispinck vom Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.

Dieser Umstand relativiert die zuletzt geäußerten Einschätzung von Volkswirten der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bundesbank, die den deutschen Tarifpartnern vor dem Hintergrund der niedrigen Inflation hohe Abschlüsse nahelegen. Denn wichtiger ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015. Nach Schätzungen von Ökonomen könnte der Mindestlohn, von dem mehr als drei Millionen Menschen profitieren, die gesamtwirtschaftliche Bruttolohn- und Gehaltssumme um ein Prozent erhöhen. Entsprechend steigt die Nachfrage.

In diesem Jahr gibt es keine großen Tarifabschlüsse mehr

Tarifpolitisch ist das Pulver zumindest für dieses Jahr fast verschossen, es stehen in den kommenden Wochen nur noch Verhandlungen an bei der Bahn und in der Textilindustrie. Interessant wird es wieder Anfang 2015, wenn sowohl für die 3,7 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie als auch für die rund zwei Millionen im öffentlichen Dienst (inklusive angeschlossener Beamter) um Prozente verhandelt wird. In beiden Bereichen, das zeichnet sich jetzt schon ab, wird es wohl Abschlüsse über der Drei-Prozent-Marke geben – sofern die Konjunktur nicht einbricht.

Die jüngsten Empfehlungen der Notenbanker sind auch deshalb erstaunlich, weil es im ersten Halbjahr ordentliche Tarifabschlüsse gab. Im Schnitt holten die Gewerkschaften 3,1 Prozent raus, was bei einer Inflationsrate von rund einem Prozent in diesem Jahr also einen realen Einkommenszuwachs um gut zwei Prozent bringt. Im vergangenen Jahr stiegen die durchschnittlichen Tarifeinkommen um 2,7 Prozent; bei einer Preissteigerung von 1,5 Prozent hatten die Beschäftigten einen Kaufkraftgewinn von 1,2 Prozent. Diesen Trend beobachten Ökonomen seit der Finanzkrise 2008/09. In den Jahren zuvor, beginnend Ende der 90er, hat sich der lohnpolitische Kurs geändert.

Der Niedriglohnsektor wurde immer größer

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht von einer „lang anhaltenden Phase angemessener Lohnabschlüsse“. In der Folge, so dass IW, ging die Arbeitslosigkeit deutlich zurück. Das wiederum hängt aber auch zusammen mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes und den Hartz-Reformen: „Diese arbeitsmarktpolitischen Erfolge gingen zeitweise einher mit einem Anstieg des Niedriglohnsektors“, räumt das IW ein. Inzwischen dreht sich der Trend wieder, nicht nur wegen des Mindestlohns, sondern auch wegen höherer Tarifabschlüsse: Die Arbeitslosigkeit ist erheblich gesunken, die Konjunktur läuft gut und der Fachkräftemangel trägt auch dazu bei, dass sich die Durchsetzungs- chancen gewerkschaftlicher Forderungen verbessert haben.

Da ist es nachvollziehbar, wenn der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der sich mit der IG Metall rumschlagen muss, von „gefährlichen Ratschlägen“ der Frankfurter Notenbanker spricht. Und den Ball zurückspielt: Mit ihren geldpolitischen Instrumenten sei die EZB an ihre Grenzen gekommen, weshalb jetzt die Tarifpolitik einspringen solle. Dabei hätten die EZBler viel zu sehr die Inflationsrate und viel zu wenig die Wettbewerbsfähigkeit im Blick, zumal die Lohnstückkosten hierzulande zuletzt wieder deutlich gestiegen seien. Und die IG Metall? Sie beschließt ihre Lohnforderung im November. Und wird sich garantiert nicht von Bankerwünschen leiten lassen.

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