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Wurstmacher, Autohändler, Blumenläden. Für die Berechnung des Wirtschaftswachstums bewerten Experten die Geschäfte verschiedenster Branchen. Foto: dpa/ZB

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Wirtschaft: Alles hat ein Ende

Die Wirtschaft wächst im Frühjahr so stark wie lange nicht – ob nun der Aufschwung kommt, ist umstritten.

Berlin - Dafür, dass am Ende nur eine mickrige Zahl stand, war der Aufwand ungeheuerlich. Gut 50 Leute haben zwei lange Wochen in einem dreizehnstöckigen Betonklotz die Geschäfte von Autohändlern, Kaufhäusern oder Wurstmachern geprüft, die Preise von Blumenhändlern, Bäckern und Supermärkten, auch die Steuereinnahmen der Finanzämter haben sie unter die Lupe genommen. Als sie ihr Puzzle schließlich zusammengesetzt hatten, leuchtete auf dem Bildschirm von Norbert Räth, 62, der entscheidende Wert auf: 0,7. Die Zahl ist nicht so übel, doch Räth hält sie für nebensächlich. „Ob ein Plus- oder ein Minuszeichen davor steht, finde ich nicht so entscheidend“, sagt der Mann mit dem weißen Schopf und dem Schnäuzer. „Wichtig ist, dass wir uns später nicht korrigieren müssen.“

Räth ist Beamter im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, er leitet die Gruppe D1 – Inlandsprodukt, Input-Out-Rechnung. Am Mittwochmorgen hat er seine Zahl, 0,7 Prozent, per Pressemitteilung überall in der Republik verbreitet. Um diesen Wert ist die deutsche Wirtschaft zwischen April und Ende Juni gewachsen – verglichen mit dem Vorquartal. Das ist so viel wie seit einem Jahr nicht mehr. Anders ausgedrückt: Für fast 685 Milliarden Euro haben die deutschen Firmen im zweiten Quartal Produkte und Dienstleistungen verkauft. Räth könnte jetzt stolz sein auf das Bruttoinlandsprodukt, das BIP, das er und seine Kollegen zusammengetragen haben. Doch er winkt ab. „Ich sehe das nicht so emotional.“

Der BIP-Wert ist vorerst nur eine Schätzung – aber er ist eine der wichtigsten Wirtschaftszahlen des Jahres. Vor der Bundestagswahl im September wird es keine ähnlich wichtigen Daten mehr geben, Union und FDP werden die 0,7 Prozent als Erfolg ihrer Politik anpreisen.

Tatsächlich hat die Wirtschaft aus Sicht der Regierung gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Im Winter schrammte sie knapp an einer Rezession vorbei – Ende 2012 schrumpfe das BIP um 0,5 Prozent, Anfang 2013 stagnierte es. Ermutigend ist, dass nicht mehr nur die Bürger mit ihren Einkäufen die Konjunktur stützten. Auch die Investitionen der Unternehmen haben erstmals seit mehr als einem Jahr deutlich zugelegt. So dürfte der Bau nachgeholt haben, was im Winter liegen bleiben musste. Auch die Exportfirmen lieferten wieder mehr ins Ausland, ein Indiz dafür, dass die Weltkonjunktur an Schwung gewinnt.

Wie fast immer legen Fachleute diese Zahlen unterschiedlich aus. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sieht für das Land „allen Grund zu Optimismus“. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hält beim Wachstum am Ende sogar eine Eins vor dem Komma für möglich – bislang waren die Forscher nur von 0,8 Prozent ausgegangen. Die Ökonomen der Commerzbank sehen es anders. Der Startpunkt für einen kräftigen Aufschwung sei dies noch nicht, sagte ihr Volkswirt Ralph Solveen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie senkte gar seine Wachstumsaussichten von 0,8 auf 0,5 Prozent. „Die von uns zu Beginn des Jahres erwarteten Impulse sind bislang weitgehend ausgeblieben“, sagte Hauptgeschäftsführer Markus Kerber.

Von den Nachbarländern gibt es derweil Ermutigendes: Frankreich, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Euro-Zone, wuchs um 0,5 Prozent. Spanien und Italien meldeten mit minus 0,1 und minus 0,2 Prozent noch leicht rote Zahlen. Im gesamten Euro-Raum gab es damit erstmals nach sechs Quartalen Rezession wieder ein Plus. EU-Währungskommissar Olli Rehn erklärte, „ein dauerhafter Aufschwung“ sei nun „in Reichweite“.

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