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Wirtschaft: Angst vor dem Abstieg

Der Export macht 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus, drei Viertel werden in Euro abgerechnet. Experten warnen daher vor Panikmache

Berlin - Wer bietet mehr? Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält einen Euro-Kurs von 1,45 Dollar für möglich. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht die Gemeinschaftswährung bis auf 1,50 Dollar steigen. Und Fred Bergsten, US-Ökonom und Berater früherer US-Regierungen, wäre von 1,80 Dollar nicht überrascht.

Die täglich neuen Rekordstände – am Freitag machte der Euro bei knapp 1,33 Dollar Station – provozieren Horroszenarien: Explodiert der Kurs, reißen die Währungsabsicherungen, mit denen viele Exporteure ihre Geschäfte noch gegen schwankende Wechselkurse geschützt haben. Geht die Aufwertung ungebremst weiter, verliert die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Welt und schmelzen die in Dollar verdienten Gewinne der Unternehmen. Eine nachhaltige Schwächung des Exports – für die deutsche Wirtschaft wäre das fatal. Denn die Ausfuhr steht für 30 Prozent unserer Wirtschaftsleistung. In diesem Jahr wäre das Bruttoinlandsprodukt ohne die starke Auslandsnachfrage vermutlich geschrumpft – Investitionen, Konsum und Staatsnachfrage im Inland stagnierten das vierte Jahr in Folge. Kein Wunder, dass Kanzler und Konzerne mit Sorge auf die Entwicklung der Euro-Dollar-Relation blicken. Seit Anfang 2000 gewann die Einheitswährung 40 Prozent an Wert. Droht dem Exportweltmeister Deutschland der Abstieg in die Zweitklassigkeit?

In den Chor der Euro-Apokalyptiker mischen sich zunehmend Stimmen, die vor einer Hysterie warnen: „Die Gefahr hoher Wechselkurse wird völlig überschätzt“, meint etwa Anton Börner, Präsident des Bundesverbands des Groß- und Außenhandels (siehe Interview). „Die Weltnachfrage steigt stärker, als der Euro Probleme macht“, sagt Ralph Wichers, Chefvolkswirt des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Und Kurt Demmer, Volkswirt der IKB Deutsche Industriebank, weist auf „den Nutzen der europäischen Währungsunion“ hin, der in Zeiten der Dollarschwäche erst richtig sichtbar werde.

Zahlen der Bundesbank bestätigen, dass übertriebene Panik fehl am Platze ist: Von allen deutschen Ausfuhren wurden im vergangenen Jahr 75,4 Prozent in Euro fakturiert. Nur 16,7 Prozent der Exportgeschäfte wurden in Dollar abgewickelt. Bei Investitionsgütern ist das Verhältnis noch eindeutiger: Laut VDMA gehen nur 15 Prozent der Ausfuhren in den Dollarraum, 80 Prozent werden in Euro fakturiert. Im grenzüberschreitenden Handel mit Investitionsgütern wird Deutschland deshalb auch 2004 Weltmarktführer bleiben, schätzt Ralph Wichers. Im Jahr 2003 hatte der Marktanteil der Deutschen bei 19 Prozent gelegen – die USA kamen mit 13 Prozent nur auf Platz drei.

Freilich ist auch der Euroraum kein abgeschotteter Markt, der von den Turbulenzen im Dollarraum unberührt bliebe. „Deutsche Anbieter haben Wettbewerber aus Japan oder China bekommen, die erheblichen Preisdruck ausüben“, sagt Axel Nitschke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Dies trifft vor allem die Maschinenbauer doppelt, die gleichsam von japanischen Konkurrenten und schwindenden Dollar-Erlösen in die Zange genommen werden. Aber auch hier gilt: Die brummende Weltkonjunktur konnte den Währungseffekt bislang überkompensieren. So ist China mittlerweile der zweitwichtigste Abnehmer für deutsche Maschinen geworden. Und die aufstrebenden Nationen Asiens, von Thailand über Korea bis China, bezahlen ihre Bestellungen zunehmend in Euro – und nicht mehr in Dollar.

In einigen Märkten sind die Deutschen zudem noch so stark, dass der Preis nicht die entscheidende Rolle spielt. „Die Qualität und der Wettbewerbsvorsprung zählen bei Spezialmaschinen aus Schwaben häufig mehr als günstige Konditionen“, sagt IKB-Volkswirt Demmer. Die Kunden könnten und wollten nicht so leicht auf andere Anbieter ausweichen, bestätigt Ralph Wichers vom VDMA. So habe sich der Eurokurs bei den Umsätzen der deutschen Exporteure noch kaum bemerkbar gemacht. Allerdings: Die Gewinne steigen Wichers zufolge immer langsamer.

Wie lange vor allem kleinere Exporteure diesen schleichenden Schwund verkraften, ist indes offen. Viele Mittelständler, die nicht über langjährige und kontinuierliche Lieferverträge etwa mit US-Kunden verfügen, sind nur unzureichend gegen den schwachen Dollar abgesichert. Damit sich die Unsicherheit am Devisenmarkt nicht zu einem Investitionshemmnis entwickelt, plädieren Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Peter Bofinger für ein Eingreifen der Europäischen Zentralbank. Immer mehr exportorientierte Firmen seien zögerlich, sagt Bofinger, weil sie nicht wissen, „ob eine neue Produktionsanlage bei einem Euro-Kurs von 1,30 oder 1,60 Dollar in Betrieb gehen wird“.

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