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Wirtschaft: Antibaby-Pille für Saugkarpfen

US-Wissenschaftler finden Arzneimittelrückstände in Gewässern – und befürchten schlimme Folgen

Wissenschaftler, Behörden und Umweltschützer in den USA beginnen sich zu fragen, ob die großen Mengen nicht verbrauchter Medikamente, die oft durch den Abfluss entsorgt werden, eine Bedrohung für die Umwelt und möglicherweise für den Menschen darstellen.

In Bachläufen in Washington und Texas fanden Forscher Fische, die mit Östrogenen und Antidepressiva voll gepumpt waren und teilweise neurologische oder psychologische Veränderungen aufwiesen. Bislang hat zwar niemand eine Auswirkung auf den Menschen nachweisen können, aber immer mehr Leute fragen sich, warum die Regierung das sich in ihren Augen abzeichnende Problem nicht aggressiver angeht.

Im Oktober 2002 bat das Ministerium für Umweltschutz in Maine die Wissenschaftler der US-Regierung, Wasserproben auf pharmazeutische Rückstände zu untersuchen. Weil sie besorgt war, dass durch die Kanalisation entsorgte Antibaby-Pillen, Antidepressiva und andere Medikamente die Fischindustrie des Bundeslandes und die menschliche Gesundheit gefährden könnten, hoffte Ann Pistell vom Mainer Umweltministerium, die US-Umweltschutzbehörde würde ihr eine schnelle Antwort geben.

Doch erst nach zweieinhalb Jahren erhielt sie einen Teilbericht, der Medikamentenrückstände bestätigte – allerdings ohne detaillierte Erklärung. Diese kam erst vor gut zwei Wochen und Ann Pistell sagt, sie warte immer noch auf eine genaue Aufschlüsselung.

„Wir sind erstaunt und verärgert, dass wir keine exakte Probenanalyse erhalten haben“, sagt die Umweltspezialistin. „Wir sehen dies als einen dringenden Fall. Je mehr wir herausfinden, desto besorgter sind wir.“

Die Auswirkungen der Medikamentenrückstände auf das Leben in den Gewässern und den menschlichen Organismus sind selbst unter den Umweltschutzbehörden umstritten. Doch in den vergangenen Monaten haben verschiedene Studien gezeigt, dass Medikamente, die in die Kanalisation und damit in Flüsse, Bäche und Seen gelangt sind, Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten. Im Jahre 2002 ergab eine geologische Untersuchung in den USA, dass 80 Prozent der 139 untersuchten Bäche aus 30 Staaten mit Medikamenten verunreinigt waren. Andere Forscher vermuten, dass Hormone und Medikamente im Wasser dafür verantwortlich sind, dass männliche Fische verweiblichen.

Rebecca Klaper, Genforscherin an der Universität von Wisconsin in Milwaukee, behandelte kürzlich Fettköpfige Elritzen mit einem gebräuchlichen cholesterinsenkenden Medikament – in einer Konzentration, die nur ein wenig höher war, als sie in den Bächen der Umgebung nachgewiesen wurde. Das einwöchige Experiment musste nach 24 Stunden abgebrochen werden, weil die Fische ums Überleben kämpften. „Sie lagen am Boden des Beckens und waren kaum in der Lage, sich zu bewegen oder zu atmen“, sagte sie. „Wir befürchten, dass diese Medikamente nicht nur eine Auswirkung auf Wasserorganismen, sondern auch auf den Menschen haben.“

Der Toxikologe Timothy Gross hat jahrelang die Entwicklung der Fische in Bachläufen unterhalb Las Vegas untersucht. Er konzentrierte sich auf Karpfen, Schwarzbarsche und den vom Aussterben bedrohten texanischen Saugkarpfen – und entdeckte bei allen dreien „einen großen und markanten Rückgang in der Spermienqualität und -quantität“.

Die Behörden auf Landes- und Kommunalebene werden zunehmend ungeduldiger. David Galvin, der das Sondermüll-Programm in King County, Washington, organisiert, wird von der Bevölkerung immer mehr unter Druck gesetzt, die Restmedikamente aus Krankenhäusern und Altersheimen abzuholen. Gemeinsam mit dem gemeinnützigen Product Stewardship Institute in Boston arbeitet er daran, einen Dialog zwischen Pharmaindustrie und Umweltschutzbehörden darüber herzustellen, wie die Umweltauswirkungen durch weggespülte Medikamente reduziert werden können. „Ansonsten müssten wir sehen, wie wir mit dem Problem alleine klarkommen und wie wir das Geld dafür auftreiben“, sagt Galvin.

Die offiziellen Stellen in Maine versuchen jetzt, ein Programm auf die Beine zu stellen, das Verbraucher ermutigt, ihre nicht verbrauchten Medikamente zurückzusenden. Sie wollen, dass die Pharmaindustrie dafür bezahlt. Doch im Februar hieß es in einem Brief des Natural Resources News Service, man sei dagegen. Pistell vom Umweltministerium sagt, man sei gerne bereit, die Medikamente zurückzunehmen. Allerdings sei der Staat nicht in der Lage, die Kosten zu übernehmen.

Texte gekürzt und übersetzt von Tina Specht (Moskau), Svenja Weidenfeld (Fische), Matthias Petermann (China) und Christian Frobenius (Großbritannien)

Juliet Eilperin

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