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Atomforum: Atomstreit auf der Straße

Das Deutsche Atomforum wird 50 Jahre alt. Auch seine Gegner gratulieren. Umweltminister Gabriel etwa setzte eine Zeitungsannonce auf: "Bitte geh’ in den Vorruhestand." Das Forum findet das "hysterisch".

Berlin - Die beiden Institutionen sind sich traditionell in inniger Feindschaft verbunden. „Während von der Bundesregierung in den nächsten Wochen Milliarden an zusätzlichen Steuergeldern bei den Bürgern einkassiert werden, verpulvert der Bundesumweltminister jetzt Millionen an Steuergeldern für eine Anzeigenkampagne, mit der die Bürger hinters Licht geführt werden sollen.“ Diese Worte richtete Otto Majewski, Präsident des Deutschen Atomforums, vor genau zehn Jahren, im Juni 1999, an Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne), als der mit Plakaten für den Atomausstieg warb.

Weder Majewski noch Trittin sind heute noch im Amt. Aber ihre Nachfolger führen die Fehde leidenschaftlich weiter – auch am gestrigen Mittwoch. Da feierte das Deutsche Atomforum, der Interessenverband der großen Energieversorger für die Förderung der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“, sein 50-jähriges Bestehen. „Ich kann heute nicht die Glückwünsche der ganzen Bundesregierung überbringen – das hat man ja gesehen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der abendlichen Feierstunde im E-Werk in Berlin-Mitte. Sie spielte auf Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) an. Auch er hatte dem Atomforum gratuliert – auf seine Weise. Ursprünglich wollte er in Tageszeitungen eine Anzeige mit folgendem Wortlaut schalten: „Liebes Atomforum, seit genau 50 Jahren versuchst du den Menschen in Deutschland einzubläuen, Fortschritt gebe es nur mit der Atomkraft. Dir ist es maßgeblich zu verdanken, dass die deutschen Steuerzahler bislang über 20 Milliarden Euro für die Atomenergie ausgegeben haben. Und du warst es, der uns die rührenden Bilder mit den ,ungeliebten Klimaschützern’ geschenkt hat.

Liebes Atomforum, du bist jetzt ein halbes Jahrhundert alt. Ich meine: Das reicht. Bitte geh’ in den Vorruhestand.

Dein Sigmar Gabriel“.

Die Anzeige erschien nicht, dafür wurde der Sozialdemokrat in einer Mitteilung noch deutlicher: „50 Jahre Atomforum – ein halbes Jahrhundert Lug und Trug“, schrieb er. Die Propagandazentrale der Atomkonzerne stehe wie kaum eine andere Institution für das bewusste Verschweigen, Verdrängen und Verharmlosen der Gefahren, die mit der kommerziellen Nutzung der Atomenergie verbunden sind, teilte er mit. Und weiter: „Die Dinosauriertechnologie Atomkraft steht nicht vor einer Wiedergeburt, wie manche glauben machen wollen, sondern vor ihrem Ende.“ Und mit dem absehbaren Abschalten des letzten Atomkraftwerkes in Deutschland werde auch das Deutsche Atomforum dort landen, wo es hingehört: „auf dem Misthaufen der Geschichte“.

Merkel sprach sich dagegen erneut für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken aus. Zur Zeit halte sie die Kernenergie für „unverzichtbar“. Allerdings sei auf der ganzen Welt die wichtige Frage der Endlagerung bei weitem noch nicht geklärt, fügte sie hinzu.Bei einem kurzfristigen Atomausstieg Deutschlands habe sie die Sorge, dass in der Welt eine wichtige Stimme für mehr Sicherheit in dieser Branche fehle. Deutschland müsse auch darauf achten, sich nicht mit Sonderwegen in immer mehr Hochtechnologiebereichen wie der Atomkraft oder der Gentechnik seiner Möglichkeiten zu berauben, Geld zu verdienen.

Bereits am Vormittag waren Aktivisten der Deutschen Umwelthilfe und der Initiative Campact vor der Geschäftsstelle des Atomforums am Robert- Koch-Platz in Puppen von Merkel und Vertretern der Branche geschlüpft und zerlegten mit Flex und Vorschlaghammer symbolisch eine Solaranlage. „Angela Merkel will mit der Atomlobby gemeinsame Sache machen und nach der Bundestagswahl den Atomausstieg kippen“, sagte Campact-Vorsitzender Christoph Bautz. „Fällt der Atomausstieg, werden die Atomkonzerne den Ausbau der erneuerbaren Energien blockieren, wo sie nur können.“ Schließlich blieben sie um so häufiger auf ihrem profitablen Atomstrom sitzen, je stärker die Erneuerbaren wachsen, sagte er.

Beim Atomforum war man bemüht, sich nicht provozieren zu lassen. Geschäftsführer Dieter H. Marx schaute sich das Spektakel vom Fenster aus an und sagte später: „Ich finde es sehr schade, dass man bei der heutigen Demonstration vor unserer kleinen Geschäftsstelle Solarpanelen zerstört hat. Da wir nichts gegen erneuerbare Energien haben, hätte ich mir gewünscht, dass man uns die unversehrten Panelen als Geburtstagsgeschenk gemacht hätte.“

Nach außen versucht sich die Atomwirtschaft versöhnlich zu geben und die meist kleinen und mittelständischen Unternehmen, der Wind-, Sonnen- und Biomassen-Branche auf ihre Seite zu ziehen. Atomkraftwerke stoßen bekanntlich auch kein Kohlendioxid aus und sind Teil einer klimaneutralen Energieproduktion – so das Argument im Wahlkampfjahr. Auf der Jahrestagung des Atomforums vergangenen Mai in Dresden hatte Präsident Walter Hohlefelder klargemacht, dass mit der Wahl die Karten in der Atomfrage neu gemischt werden. In seiner vielbeachteten Eröffnungsrede sagte er: „Ja, die Kernkraftwerksbetreiber sind grundsätzlich einverstanden, einen politischen Preis für die Laufzeitverlängerung zu zahlen. Ab dem 27. September 18 Uhr sind wir bereit, unsere Vorschläge auf den Tisch zu legen und mit den Entscheidungsträgern darüber zu verhandeln.“

Was wie ein Angebot klang, verstand man beim Bundesverband Erneuerbare Energie als Drohung und wehrt sich gegen eine Vereinnahmung. Nicht nur dort ist man sich sicher: Wenn Union und FDP die Wahl gewinnen, dann wird das Atomforum so gut wie nichts auf den Tisch legen müssen, um Atomkraftwerke über das Jahr 2022 hinaus betreiben zu dürfen.

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