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Wirtschaft: Auf wackeligen Beinen

2004 kommt die deutsche Wirtschaft endlich wieder in Fahrt. Doch der immer stärker werdende Euro wird allmählich zur Gefahr für den Aufschwung

Noch sind die Deutschen skeptisch. Zwar soll 2004 endlich ein deutlicher Konjunkturaufschwung kommen – doch glauben mögen das die Leute noch nicht so recht. So knauserten sie kurz vor Weihnachten, statt in froher Erwartung ihr Geld für Weihnachtsgeschenke auszugeben. Für den Handel bedeutete das in den Monaten November und Dezember ein Umsatzminus von bis zu fünf Prozent. Und weiteres Unbill droht: Auch im Januar wollen sich die Verbraucher zurückhalten, und mehr Wohlstand versprechen sie sich auch nicht vom neuen Jahr – das zumindest haben Meinungsforscher in Umfragen ermittelt.

Wenn sich die Deutschen mal nicht täuschen. Denn zum ersten Mal seit drei Jahren steht das Land wieder vor einem nennenswerten Wirtschaftswachstum. Zwischen einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,5 bis 2,1 Prozent pendeln die Vorhersagen der wichtigsten Experten. Zum Vergleich: 2003 wird das BIP bei 0,0 Prozent gerade einmal stagnieren.

„Die Konjunkturampeln stehen auf Grün“, sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Nachdem Irak-Krieg, Südamerika- und Sars-Krisen überwunden scheinen, wächst der Optimismus beinahe täglich: Noch im Herbst mieden die Prognostiker jede Euphorie und sprachen lieber vorsichtig von einer „moderaten Erholung“, von „Auf ohne Schwung“. Von einem Aufschwung aber – einer Phase, in der die Summe der neuen Güter und Dienstleistungen schneller wächst als die Produktionskraft der Wirtschaft – ist erst seit kurzem die Rede.

Die Stimmung steigt

Mut machten den Forschern Meldungen über eine immer bessere Stimmung in den Unternehmen. Der Ifo-Geschäftsklima-Index, einer der wichtigsten konjunkturellen Frühindikatoren, steigt bereits seit sieben Monaten infolge. So hoch wie derzeit stand er zuletzt 1994. Nur sechs von 43 Wirtschaftszweigen gehen für 2004 von einer abnehmenden Produktion aus, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) herausgefunden. Auch die Finanzmärkte strotzen vor Optimismus, die 4000-Punkte-Marke verfehlte der Deutsche Aktienindex Dax kurz vor Jahresschluss nur um drei Zähler. Die Zuversicht rührt von der Trendwende her, die die Weltwirtschaft seit dem Sommer erfasst hat. Deshalb füllen sich die Auftragsbücher der deutschen Industrie wieder, und Fabriken wie Dienstleistungsbetriebe produzieren deutlich mehr als noch vor Jahresfrist.

Doch die Belebung ist bislang fast ausschließlich der starken Auslandsnachfrage zu verdanken. Die Binnenkonjunktur dürfte sich weiterhin nur mäßig entwickeln – trotz der vorgezogenen Steuersenkung. „Die Reform wird die Belastungen, die den Bürgern durch die Sozialreformen ins Haus stehen, allenfalls kompensieren – entsprechend gering wird der Einfluss auf die Nachfrage sein“, glaubt Martin Hüfner, Chefvolkswirt der Hypo-Vereinsbank. Entscheidend für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist weiterhin die Weltkonjunktur – die von der größten Volkswirtschaft, den USA, abhängig ist.

Noch boomt die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten mit einem Plus von mehr als acht Prozent im dritten Quartal. Doch sollte dem vor allem durch Staatsschulden finanzierten Aufschwung die Luft ausgehen, verlöre die Welt ihre Triebfeder – und der Dollar könnte noch weiter in den Abwärtsstrudel geraten als ohnehin schon. Noch an Silvester erreichte er gegenüber dem Euro erstmals die Rekordmarke von mehr als 1,26 Dollar. Seit Anfang 2003 hat der Euro gegenüber dem US-Dollar um fast 20 Prozent an Wert dazu gewonnen. Weitere Kurssprünge könnten der deutschen Wirtschaft empfindlichen Schaden zufügen. „Der Euro ist der große Unsicherheitsfaktor für uns“, bestätigt Michael Grömling, Konjunkturchef beim IW. Ein weiter steigender Kurs der Gemeinschaftswährung würde Produkte aus Europa verteuern und ihre Absatzchancen schmälern – nicht nur Autos, auch Arzneimittel, Chemikalien und Spezialmaschinen sind wichtig für den alten Kontinent. Optimisten setzen aber darauf, dass der US-Aufschwung sich im Verlauf von 2004 trotz aller Bedenken festigt – und der Euro-Dollar-Kurs im Jahresschnitt etwa auf dem jetzigen Stand verharrt. Zudem halten sich Gerüchte hartnäckig, die EZB könnte den Euro-Anstieg mit einer Senkung der Leitzinsen zu bremsen versuchen.

Gegen starke Bremseffekte durch Wechselkurs-Turbulenzen spricht die robuste Verfassung der deutschen Unternehmen nach drei Jahren Krise. Viele haben harte Kostensenkungsrunden, zahlreiche Entlassungen und die Verlagerung von Fabriken ins kostengünstigere Ausland hinter sich – etwa der Reifenhersteller Continental. Die Börse belohnte die Schlankheitskur mit einem Kursaufschlag von mehr als hundert Prozent in den vergangenen zwölf Monaten.

Für die Arbeitslosen in Deutschland bedeutet dies gleichwohl wenig Gutes. Trotz des Aufschwungs wird es 2004 noch nicht auf breiter Front zu Einstellungen kommen. Das Ifo-Institut erwartet einen Jahresschnitt von 4,3 Millionen Menschen ohne Job. „Der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht“, sagt Ifo-Chef Sinn. Einer Studie der Zeitarbeitsfirma Manpower zufolge planen sogar 22 Prozent der deutschen Unternehmen, zwischen Januar und Ende März noch einmal Stellen zu streichen. Frühestens ab dem Sommer ist mit Einstellungen zu rechnen. Neue Jobs dürfte es vor allem in den unteren Einkommensgruppen geben, sagt Michael Burda, Wirtschaftsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität. „Durch die Reformgesetze wird eine Menge passieren – aber das Lohnniveau könnte zugleich deutlich sinken.“

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