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Wirtschaft: Baugemeinschaft: Ein Projekt, viele Träume

Mit Gleichgesinnten baut man günstiger – muss aber auch Kompromisse machen können

Prenzlauer Berg ist beliebt – und wird immer beliebter. Wer hier, im Herzen Berlins, wohnen will, zahlt saftige Mieten oder horrende Kaufpreise für eine schicke Altbauwohnung. Anders die 24 Familien in der Kollwitzstraße 22: Sie wohnen in maßgeschneiderten neuen Eigentumswohnungen – die durchschnittlich gerade mal 2300 Euro pro Quadratmeter gekostet haben, erzählt Thomas Welter, einer der Eigentümer und Bundesgeschäftsführer des Bundes deutscher Architekten. Sonderwünsche wie die Badewanne im Schlafzimmer, das Blockheizkraftwerk und die Pelletheizung inklusive.

Einer der Bauherren, ein Pilot, habe den Traum von einer Penthouse-Wohnung auf dem Grundstück gehabt, den Eigentümer ausfindig gemacht und einen Kaufpreis ausgehandelt. Was fehlte, waren die Miteigentümer. Ein paar Inserate und ein wenig Mundpropaganda später gab es die erste Infoveranstaltung. „800 Leute kamen damals“, erinnert sich Welter. Drei Jahre später war das Mehrfamilienhaus fertig.

Im Neubau nebenan kostete der Quadratmeter 3500 Euro. Welter und seine Ko-Bauherren konnten günstiger bauen. „Möglich ist das vor allem, weil man sich den Bauträger spart“, sagt Carmen Mundorff von der Architektenkammer Baden- Württemberg. Durch die Größe des Projektes sinken zudem die Kosten für Handwerker und Ausschreibungen im Vergleich zum Einzelbauherren. Notargebühren und Grunderwerbssteuer fallen nur für die unbebaute Fläche an. Daher sparen Baugemeinschaften in der Regel etwa 20 Prozent.

Geburtsstadt der Baugemeinschaften ist Tübingen. Dort entwickelte die Stadt das Modell nach dem Abzug des französischen Militärs Anfang der 1990er Jahre als städtebauliches Instrument, um die frei gewordenen Flächen neu zu erschließen. Anfangs waren es fast ausschließlich junge Geisteswissenschaftler, die sich auf das Experiment einließen. „Junge Akademikerfamilien, die in der Studentenstadt hängen geblieben sind und auf dem Mietwohnungsmarkt nichts gefunden haben“, erklärt Matthias Gütschow, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Baugemeinschaften.

Inzwischen hat der Trend auf alle Gesellschaftsschichten übergegriffen. „Arbeiter, Handwerker und Professoren, alleinerziehende Mütter und Senioren sind dabei“, erklärt Gütschow. Und die Banken lieferten sich – zumindest in Süddeutschland – eine regelrechte Zinsschlacht, um die Projekte finanzieren zu dürfen. Baugemeinschaften gibt es in vielen Großstädten. In Hamburg zum Beispiel reserviert die Stadt 20 Prozent ihrer Flächen für derartige Projekte und hat eigens eine Agentur gegründet, die Baugemeinschaften berät und für die Grundstücksvergabe zuständig ist.

Der Potsdamer Architekt Dietrich Wiemer verwirklichte sich zunächst als Bauherr in einer Baugemeinschaft 1999 seinen Traum vom Loft in einer Fabrikhalle. Seither entwickelt er beruflich Projekte für Baugemeinschaften aller Art. Die Bandbreite der Immobilien reicht vom Umbau einer alten Brauerei-Ruine über die Sanierung von Altbauvillen bis zum Neubau von Doppelhaushälften. Das Prinzip einer Baugemeinschaft ist einfach. Man tut sich zusammen, meist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), kauft als solche das Grundstück, engagiert einen Architekten und baut. In der Praxis funktioniert das allerdings selten reibungslos. Die Probleme liegen nicht etwa im rechtlichen Bereich, sondern in der Vielzahl der Interessen, die bei einem solchen Projekt unter einen Hut gebracht werden müssen. „Auf dem Weg zum Wunschwohnen müssen viele Kompromisse gemacht werden“, betont Carmen Mundorff. In einer Bauherrengemeinschaft trifft sich meist eine Gruppe von relativen Individualisten. Das kann schnell zur Uneinigkeit führen. Und: Die Finanzierung eines solchen Projektes kann sehr kompliziert sein und wird von den meisten Banken wegen der damit verbundenen Risiken und des Arbeitsaufwandes abgelehnt. Günstige Finanzierungskonditionen zu bekommen, ist oftmals sehr schwer.

Von der Gestaltung der Außenanlagen über die ökologische Ausrichtung bis hin zur Farbe der Ziegel: Beim Hausbau gibt es viele Streitpunkte, weiß auch Matthias Gütschow. Er empfiehlt, grundsätzlich einen externen Projektleiter zu engagieren, der Entscheidungsprozesse moderiert. Denn eine gute Diskussions- und Streitkultur sei das Fundament einer jeden erfolgreichen Baugemeinschaft. Die Berliner Baugemeinschaft Kollwitzstraße hat die Moderation in Eigenregie durchgeführt. Anfangs gab es wöchentliche Planungstreffen, später monatliche. „Diskussion und Koordination sind die Standardeigenleistungen“, sagt Welter. „Wer das Planen und Bauen übersteht, den kriegt danach nichts mehr auseinander.“ Entsprechend scheitern Baugemeinschaften entweder im Anfangsstadium, weil sich das Vertrauen nicht einstellt, oder sie wachsen zu einer echten Hausgemeinschaft zusammen. Oft wird bis zum Schluss um die Farbe der Klingelknöpfe am Hauseingang gestritten. Immer daran denken: in einer Baugemeinschaft entscheidet nicht der Einzelne, sondern immer die ganze Gruppe! In Wiemers Loft dauert die jährliche Eigentümerversammlung gerade einmal eine Stunde. Und Welter scherzt: „Ich baue nie wieder, so gut kann es nur einmal sein.“ (dpa)

Literatur: Planen, Bauen, Leben – Baugemeinschaften in Tübingen, 2,50 Euro, ISBN: 978-3-00-033872-4. Bestellung bei der Architektenkammer Baden-Württemberg unter Telefon 07121/270305.

Nadia-Maria Chaar

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