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Scholz-Plakat vor SPD-Zentrale: Die Ampel hat versprochen, in einem Schritt auf zwölf Euro Mindestlohn zu gehen.

© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

BDA erwägt Klage gegen Erhöhung auf zwölf Euro: Warum die Arbeitgeber gegen die Mindestlohnpläne der Ampel kämpfen

Zwölf Euro stehen im Koalitionsvertrag – und die Arbeitgeber sind sauer. Der Streit um den Mindestlohn könnte nun sogar vor Gericht gehen.

Steffen Kampeter hatte sich das so schön ausgedacht. Am 30. Juni 2020 beschloss der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) mit seinen Kolleginnen und Kollegen in der Mindestlohnkommission einen ungewöhnlichen Stufenplan. In vier Schritte sollte die gesetzliche Lohnuntergrenze von 9,35 Euro auf 10,45 Euro zum 1. Juli 2022 steigen. Das waren sechs Prozent mehr als die Tarifentwicklung der vergangenen Jahre, an der sich die Mindestlohnkommission normalerweise orientiert. Doch ein Wahljahr stand bevor. Kampeter ließ sich auf 10,45 Euro ein in der Hoffnung, dass die Höhe des Mindestlohns nicht zum Wahlkampfthema würde. Er hat sich geirrt.

Olaf Scholz gewann die Bundestagswahl mit dem Versprechen, in einem Schritt auf zwölf Euro zu gehen. Zwölf Euro stehen im Koalitionsvertrag – und die Arbeitgeber sind sauer. Kampeter ließ die Sitzung der Mindestlohnkommission am 1. Dezember platzen, vermutlich erst im Februar trifft sich das aus drei Gewerkschaftern und drei Arbeitgebern bestehende Gremium. Und nun erwägen die Arbeitgeber sogar, juristisch gegen das von der Ampelregierung angekündigte Gesetz für 12 Euro Mindestlohn vorzugehen.

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„Unser Problem ist der Weg dahin“, sagt BDA-Präsident Rainer Dulger. Die Tarifautonomie sei verfassungsrechtlich geschützt und das geplante Gesetz ein Bruch des Regierungsversprechens, „dass die Mindestlohnkommission der Wächter des Mindestlohns ist und nicht die Politik“, so Dulger.

Gewerkschaften spotten über „schlechte Verlierer“ auf Arbeitgeberseite

Kampeter lässt derweil mitteilen, man sei weiter bereit zur Mitarbeit. Grundlage dafür sei die Unabhängigkeit der Kommission „und die Orientierung am Tarifgeschehen“. Die Arbeitgeber warten auf den Gesetzentwurf, den Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu den zwölf Euro demnächst vorlegen wird. Doch der Ärger sitzt tief. „Die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie und die stets einmütig zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gefassten Beschlüsse der Mindestlohnkommission dürfen nicht zum Spielball der Politik werden“, heißt es bei der BDA. Im DGB wiederum spotten sie über „die schlechten Verlierer“ auf der Arbeitgeberseite.

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro war von der Großen Koalition zum 1. Januar 2015 eingeführt worden. Das Startniveau war auch deshalb so niedrig, weil Ökonomen vor Arbeitsplatzverlusten gewarnt hatten. Die blieben aber aus. Damals waren rund vier Millionen der Beschäftigungsverhältnisse betroffen, das war gut jeder zehnte Arbeitsplatz; vor allem in ostdeutschen Dienstleistungsbranchen bekamen viele Arbeitnehmer mehr Geld. Zu negativen Effekten auf dem Arbeitsmarkt kam es auch deshalb nicht, weil die Konjunktur 2015 rund lief. Und damals galt für Tarifverträge, die Löhne unterhalb des Mindestlohns enthielten, eine zweijährige Übergangsfrist, um das gesetzliche Niveau zu erreichen.

Wirtschaftsinstitute warnen vor „negativen Beschäftigungseffekten“

Überwiegend Minijobs verschwanden, von denen viele in reguläre Beschäftigung überführt wurden. Außerdem wurde Beschäftigung von weniger produktiven Jobs hin zu Jobs mit höherer Produktivität verlagert, ergaben diverse Studien. Doch was passiert, wenn der Mindestlohn mit einem Schlag um 15 Prozent steigt? „Es ist naheliegend, dass die negativen Beschäftigungseffekte bei der geplanten Anhebung des Mindestlohns aufgrund seines deutlich höheren Niveaus stärker ausfallen dürften als 2015“, meint das Münchener Ifo Institut. Mehr als doppelt so viele Arbeitnehmer würden von zwölf Euro profitieren als damals von 8,50 Euro.

Etwa 8,6 Millionen Arbeitnehmer haben 2021 weniger als zwölf Euro in der Stunde verdient. Davon 7,3 Millionen in Hauptjobs (21,8 Prozent der Arbeitsplätze) und 1,3 Millionen (59,2 Prozent) in Nebenjobs, schreibt das Ifo Institut. Viele Beschäftigte arbeiten zu Tariflöhnen unterhalb von zwölf Euro. Entsprechend „wären die Auswirkungen auf das bestehende Tarifsystem erheblich“, heißt es beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Nach einer Untersuchung von 40 Tarifbranchen liegt knapp ein Fünftel aller Lohngruppen unter zwölf Euro. „Damit wäre die Eingriffsintensität etwa dreimal so hoch wie bei Einführung des Mindestlohns.“

Gewerkschaftsnahe Ökonomen erwarten Probleme erst ab 13 Euro Mindestlohn

Nach Berechnungen der Böckler-Stiftung arbeiten etwa 80 Prozent der Beschäftigten mit Löhnen unter zwölf Euro in Betrieben ohne Tarifbindung. Bei den übrigen 20 Prozent fehle schlicht die gewerkschaftliche Macht, um ein höheres Tarifniveau durchzusetzen. „Gerade im Niedriglohnsektor stärkt ein höherer Mindestlohn die Tarifautonomie, indem er die Außenseiterkonkurrenz der nicht tarifgebundenen Unternehmen begrenzt“, schlussfolgert die Stiftung.

Mit einer Erhöhung auf zwölf Euro würde der Mindestlohn gegenüber den bereits beschlossenen 10,45 Euro um 15 Prozent ansteigen. Über die Auswirkungen wird viel spekuliert. Die Erfahrungen hätten gezeigt, „dass es zu einer Stauchung der Lohnstruktur, zu Preiserhöhungen, reduzierter Arbeitszeit und zu einem Wechsel der betroffenen Beschäftigten zu produktiveren Firmen – verbunden mit erhöhten Pendlerzeiten – gekommen ist“, schreibt das IW im Rückblick auf 2015. Negative Beschäftigungseffekte „konzentrieren sich im Wesentlichen auf Betriebe in Ostdeutschland und auf solche, die sich einem hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt fühlen“, hat Nicole Gürtzgen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit festgestellt. Gewerkschaftsnahe Ökonomen erwarten starke Beschäftigungsverluste erst ab einem Mindestlohn von 13 Euro.

Mit 12 Euro Mindestlohn schließt Deutschland zur Spitzengruppe in Europa auf

In den vergangenen Jahren machte der Mindestlohn hierzulande rund 50 Prozent des mittleren Einkommens (Medianlohn) aus. Damit lag die Bundesrepublik im europäischen Mittelfeld. „Mit einer Anhebung auf zwölf Euro je Stunde wird dieses Niveau auf etwa 60 Prozent des Medianlohns steigen, womit Deutschland zur Spitzengruppe in Europa aufschließen wird“, schreibt das Ifo.

Die Ampel-Parteien haben vereinbart, den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro zu erhöhen. Der Vertrag enthält jedoch keine Informationen zum Zeitpunkt der Erhöhung; im Sondierungspapier stand noch die Formulierung „im ersten Jahr“. Es ist also offen, ob zwölf Euro im Herbst 2022 kommen oder erst Anfang 2023. Auf jeden Fall will die Ampelkoalition die Mindestlohnkommission beibehalten, die im Anschluss an den politisch beschlossenen Sprung auf zwölf Euro „über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden wird“.

Arbeitgeber müssen mit der Ampel leben lernen

Da die neue Regierung die Sozialpartnerschaft schätzt – „wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken“ –, möchte Arbeitsminister Heil den Arbeitgebern eine Brücke bauen: Die Mindestlohnkommission soll einbezogen werden bei der Entscheidung über die Einführungsmodalitäten. Im Idealfall schlägt die Kommission den Zeitpunkt vor. Informelle Gespräche gibt es bereits dazu. Die Arbeitgeber wollen die zwölf Euro so weit wie möglich ins Jahr 2023 schieben und auch wieder einen Übergangszeitraum für Tarifverträge wie 2015 einräumen. Der DGB lehnt das ab und bringt bereits 12,50 Euro als nächste Stufe ins Spiel, wenn zwölf Euro erst Anfang 2023 kommen sollten.

Auf der Basis des Gesetzentwurfs von Heil wird die Mindestlohnkommission zu entscheiden haben: Spätestens im Juni 2022 steht der Beschluss über die nächste(n) Erhöhung(en) der Lohnuntergrenze an. Es liegt an den Arbeitgebern, ob sie im Spiel bleiben. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte zur Wahl von Armin Laschet aufgerufen. Er und sein Hauptgeschäftsführer Kampeter müssen jetzt mit der Ampel leben lernen.

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