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Wirtschaft: Bei Adtranz stehen die klaren Antworten noch aus

Trifft der geplante Stellenabbau vor allem die deutschen Werke und damit auch Hennigsdorf? / Betriebsrat spricht von "Kahlschlag"VON MARGARITA CHIARIAuf Adtranz-Konzernchef Kaare Vagner ist Manfred Foede derzeit schlecht zu sprechen.

Trifft der geplante Stellenabbau vor allem die deutschen Werke und damit auch Hennigsdorf? / Betriebsrat spricht von "Kahlschlag"VON MARGARITA CHIARI

Auf Adtranz-Konzernchef Kaare Vagner ist Manfred Foede derzeit schlecht zu sprechen.Zu der Ankündigung des Managers, in den europäischen Werken des Schienenfahrzeugherstellers rund 5000, also ein Viertel der insgesamt 20 000 Arbeitsplätze, streichen zu wollen, fällt Foede - erster Bevollmächtigter der IG Metall in Berlin und zugleich Mitglied des Aufsichtsrates der deutschen Adtranz-Tochtergesellschaft - nur ein knapper Kommentar ein: "Abenteuerlich".Was den Gewerkschafter besonders auf die Palme treibt: Zwei Wochen zuvor, bei der Sitzung des Aufsichtsrates, habe Vagner "kein Sterbenswort" von derartigen Überlegungen gesagt, die weit über alle bisher genannten Zahlen hinausgingen - während in Hennigsdorf, dem mit 3200 Beschäftigten größten Werk des Konzerns, gerade hitzige Auseinandersetzungen über einen möglichen Abbau von 370 Stellen liefen, einem Bruchteil des nun angestreben Maßes. In den deutschen Werken des Konzerns der 1996 aus der Fusion der Schienenfahrzeugsparten von AEG / Daimler-Benz und ABB hervorging, schlug die Nachricht wie eine Bombe ein.Der Stellenabbau, so die Befürchtung, werde vor allem die deutschen Standorte treffen.Denn innerhalb der Adtranz-Gruppe, die weltweit 25 000 Mitarbeiter beschäftigt und über Produktionsstätten in 28 Staaten verfügt, ist die deutsche Tochtergesellschaft mit 8500 Mitarbeitern nicht nur die größte - sie schreibt auch Verluste.In einem spontanen Protest legten Anfang der Woche 7000 Beschäftigte der neun deutschen Werke, die Arbeit nieder.Das Wort von der "Kahlschlagsanierung" macht die Runde.Vor allem in Hennigsdorf ist das Zittern groß.Schon wird über interne Berechnungen spekuliert, wonach bei konsequenter Umsetzung der Firmenphilosophie von der "Konzentration auf Kernkompetenzen" gerade in diesem Werk, das noch eine hohe Fertigungstiefe aufweist, rund 1600 Arbeitsplätze wegfallen könnten - das käme einer Halbierung der Belegschaft gleich.Bei den früheren AEG-Beschäftigten weckt das böse Erinnerungen an alte Zeiten."Vor zwei Jahren, als Daimler und ABB die Fusion verkündeten, haben alle von der Kombination der Stärken gesprochen", mit denen die Tage der chronisch defizitären AEG-Schienenfahrzeugtechnik endgültig zu Ende sein würden, sagt ein Mitarbeiter."Jetzt haben wir doch wieder die gleiche Misere." In der Deutschland-Zentrale des Konzerns versucht man zu beruhigen.Über einzelne Standorte sei noch nicht entschieden, die nun erstmals genannte Zahl von 5000 Stellen sei Teil einer "strategischen Mittelfristplanung" und gelte im übrigen auch für die insgesamt rund 3000 Beschäftigte zählenden Werke in Polen und Ungarn, sagt Unternehmenssprecher Hans-Christian Maaß.Vermutungen, daß der Stellenabbau in direktem Zusammenhang mit dem schwachen Ergebnis der deutschen Niederlassung stehe, weist er zurück.Vielmehr müßten die Weichen für die Zukunft gestellt werden: Denn schon jetzt sei abzusehen, daß die Nachfrage in Europa zurückgehen, jene in Asien, Lateinamerika und Osteuropa hingegen zunehmen werde.Mit diesen vagen Angaben aber will sich die Belegschaft nicht zufrieden geben.Auf Druck der Arbeitnehmervertreter wurden außerordentliche Sitzungen der Aufsichtsräte einberufen - für kommenden Mittwoch jener des Konzerns, am Donnerstag tagt dann der Aufsichtsrat der deutschen Landesgesellschaft.Thema: die Überlegungen zum Personalabbau. Unbegründet ist die Sorge nicht.Schon im Frühjahr, bei der Bilanzvorlage der Gruppe, bekamen die deutschen Mitarbeiter die Schelte der Konzernchefs zu hören: "Deutschland", so Kaare Vagner damals, hat unsere Erwartungen nicht erfüllt.Während der Konzern mit einem weltweiten Umsatz von 6,2 Mrd.DM einen knappen Gewinn erwirtschaftete, fuhr die deutsche Tochter mit einem Umsatz von 3 Mrd.DM Verluste in zweistelligen Millionenhöhe ein. Hier macht sich freilich auch das Erbe der Vergangenheit bemerkbar.Denn im Gegensatz zu anderen Landesgesellschaften prallen in Deutschland gleich mehrere Unternehmensphilosophien aufeinander.Zum Zeitpunkt der Fusion waren weder AEG noch die deutsche ABB homogene Gebilde, sondern das Produkt diverser Zukäufe - von Thyssen-Henschel, über MAN bis zu MBB.Reibungsverluste bleiben da nicht aus.Erschwerend kam hinzu, daß vor allem die AEG zahlreiche Aufträge zu nicht kostendeckenden Preisen hereingenommen hatte.Das erhöhte den Druck, Pannen waren damit programmiert.So blieb etwa der neu entwickelte Regional-Zug mit Neigetechnik gleich in der ersten Kurve liegen: Erst funktionierte die Technik nicht, dann klemmten die automatischen Türöffner und schließlich tropften auch die Toiletten.Mittlerweile sind die Fehler beseitigt.Pannen gab es auch bei den Niederflur-Straßenbahnen für die BVG, die immer wieder aus den Schienen sprangen, und die neuen S-Bahnen für Berlin wurden erst mit Verspätung geliefert.Adtranz-Deutschland-Chef Rolf Eckrodt gibt inzwischen offen zu: "Wir haben die internen Probleme der Fusion unterschätzt." Gleichwohl aber macht er keinen Hehl daraus, daß nicht mehr viel Spielraum bleibt.Auf Dauer würden die anderen Landesgesellschaften nicht zusehen, wie mit ihren Gewinnen die Verluste in Deutschland ausgeglichen werden - zumal sie selbst von Stellenabbau und sogar Werksstillegungen nicht verschont blieben.Bislang, so Eckrodt, hätten die deutschen Werke "erst 20 Prozent" der Umstrukturierung geschafft.Beschleunigt werden soll der Prozeß nun durch das Anfang Mai gestartete "PEP-Programm" - die Initialen stehen für Prozeßoptimierung, Ergebnisverbesserung und Projektorganisation.Das Ziel: Durch das werksübergreifende Zusammenschweißen von Projektgruppen soll die noch stark verankerte "Standort-Denke" überwunden werden.Ganze 18 Monate wurden für die Umsetzung veranschlagt. Doch dazu, vermutet Michael Wobst, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der deutschen Werke, soll es nun gar nicht erst kommen.Statt der Umstrukturierung werde nun schlicht der "Kahlschlag verordnet" - mit fatalen Folgen: Denn schließlich, so Wobst, stünde bei der deutschen Tochter noch ein Auftragsvolumen von 10 Mrd.DM in den Büchern, ein radikaler Stellenabbau und die Ausgliederung ganzer Bereiche würde das Unternehmen da nur noch zusätzlich belasten.Die immer neuen Vorgaben der Geschäftsführung müßten ein Ende haben, nötig seien nun klare Aussagen über die Zukunft der Arbeitsplätze und ein Gesamtkonzept für alle Werke."Die Mitarbeiter sind schon verunsichert genug."

MARGARITA CHIARI

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