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Wirtschaft: Beifall von der falschen Seite

Die Industrieverbände organisieren eine Demonstration – zur Unterstützung der Reformpolitik des Kanzlers. Doch der bedankt sich

DIE WIRTSCHAFT UND IHR KANZLER

Von Carsten Brönstrup

und Ursula Weidenfeld

Arnold Kawlath reicht es. „Das geht mir alles viel zu langsam“, schimpft der stämmige Mann mit den grauen Haaren. „Deshalb gehe ich jetzt auf die Straße.“ Der Koffer ist gepackt, der Flug gebucht, die Transparente sind vorbereitet. Kawlath, 65, fährt am Montag nach Berlin. „Heutzutage demonstriert jeder Hansel mit seinem Traktor vor dem Brandenburger Tor – nur wir nicht. Das wird jetzt anders“, sagt er.

Kawlath ist kein gewöhnlicher Demonstrant. Kawlath ist Unternehmer, ihm gehören zwei Gießereien mit 600 Beschäftigten. Zusammen mit 1000 anderen Managern will er in der Hauptstadt „dafür sorgen, dass nicht immer nur über Reformen geredet wird, sondern endlich was passiert“. Eine solche Kundgebung habe es bislang in Deutschland nie gegeben, preist der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), der die Chefs zusammengetrommelt hat, das Wirtschafts-Happening an. „Freiheit wagen, Fesseln sprengen“ lautet das pathetische Motto.

Wenige Stunden nach der Bayernwahl beginnt für Kanzler Gerhard Schröder die heiße Phase im Reformherbst 2003. Arbeitsmarkt, Gesundheit, Steuern, Staatsfinanzen – in den kommenden Wochen entscheidet sich die Zukunft der zahlreichen Projekte, die Rot-Grün seit der Agenda-2010-Rede des Regierungschefs am 14. März diskutiert. Im Bundesrat, im Ringen mit der Union, die dort die Mehrheit hat. Doch dieses Mal ist es anders als früher: Der Kanzler hat die Wirtschaft auf seiner Seite. Ätzende Kritik, wie noch vor Jahresfrist, ist aus dem Unternehmerlager seit Monaten nicht zu hören. Eher gönnerhafte Zustimmung: „Die Regierung hat eine beachtliche Entwicklung durchgemacht“, staunt ein Verbandsfunktionär. „Dass die Regierung bei der Gesundheit, beim Arbeitsmarkt oder bei der Rente so weit gehen würde, hätte keiner von uns vor einem Jahr für möglich gehalten.“

Rückblende: Im Herbst 2002, nach dem knappen Sieg bei der Bundestagswahl, lösten die Pläne der rot-grünen Koalition in puncto Wirtschaftspolitik bei den Unternehmen helle Empörung aus. Vor allem das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz sorgte für Unmut, das die Kürzung von Subventionen oder die höhere Besteuerung von Dienstwagen vorsah. Zudem herrschte zwischen BDI-Chef Michael Rogowski und dem Kanzler Funkstille, nachdem ihm der Industriechef in einem Tagesspiegel-Interview einen „hinterhältigen Stil“ vorgeworfen hatte.

Doch dann kam Schröders Agenda-Rede. Der Kanzler machte sich plötzlich all das zu Eigen, was Industrie, Kammern und Handwerk seit langem forderten: Einschnitte bei Sozialleistungen, Lockerung der Arbeitsmarkt-Regeln, niedrigere Steuern. Zur Freude vieler Manager – jeder Zweite findet Umfragen zufolge die Arbeit des Kanzlers mittlerweile prima. „Schröder bricht mit einigen Tabus, das muss man ihm lassen“, bekennt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).

Für Schröder und die Bundesregierung kommt der Applaus von der falschen Seite. Kein Wunder, dass die abfälligen Bemerkungen gegenüber den Verbänden zurzeit wieder zunehmen: Die könnten eben den Hals nicht vollbekommen, sagen Beamte im Wirtschaftsministerium, wenn die Wirtschaftslobby wieder einmal Forderungen nach Liberalisierung stellt. Der Grund: Schröder hat derzeit genug Probleme – in den eigenen Reihen tobt die Diskussion um Gerechtigkeit und sozialdemokratische Werte, die Umfragewerte für die SPD sacken von Woche zu Woche tiefer in den Keller.

Schlimmer noch: Gleichzeitig gehen die alten Verbündeten auf Distanz. Die Gewerkschaften, einst natürlicher Partner der SPD, wenden sich enttäuscht ab. „Die traditionelle Bindung löst sich allmählich auf“, konstatiert Rüdiger Pohl, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Binnen eines Jahres haben sich die Kräfteverhältnisse in der Republik deutlich verschoben.

Die neue Nähe der Unternehmen zur SPD geht so weit, dass sie sich neuerdings Ideen des Kanzlers zu Eigen machen. Zahm und beflissen verabschiedeten sich die Chefs der Energiekonzerne am vergangenen Donnerstagabend selbst von dem verhassten Umweltminister Jürgen Trittin, der ihnen erklärt hatte, wie der Emissionshandel funktioniert. Und: Der Unternehmertag des BDI sei vor allem als „Ermutigung für diejenigen in der Regierung gedacht, die wirklich nach vorne wollen“, flötet es aus der Verbandszentrale.

Vor der Kundgebung am Montagabend will der BDI ein umfangreiches Reformkonzept präsentieren. Einige der Schlagwörter lesen sich wie aus dem Regierungs-Reform-Programm: Rente erst ab 67, Bürokratieabbau, Abgeltungssteuer für Zinsgewinne, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Abkopplung der Sozialbeiträge vom Beschäftigungsverhältnis. Zwar können es die Wirtschaftsverbände nicht lassen, wo der Zeitpunkt schon mal so günstig ist: Die Industrie will mehr Subventionsabbau und eine entschlossenere Privatisierung. Die Mitbestimmung soll geändert, die Bildungspolitik intensiviert werden. „Acht Monate lang stehen keine Wahlen an, diese Gelegenheit muss die Regierung nutzen“, sagt DIHK-Mann Wansleben. Doch zu weit wollen die Verbände auch nicht gehen. „Es muss zwar noch vieles geschehen“, sagt ein hoher Verbandsvertreter. „Aber für die Begleitung des Reformprozesses können wir uns im Moment keinen Besseren als Schröder vorstellen.“

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