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Auf der diesjährigen IAA im September in Frankfurt am Main gab es Proteste gegen die Branche.

© dpa

„Berlin und die IAA – das passt!“: Nur die Landespolitiker könnten sich noch selbst ein Bein stellen

Die Grünen wollen die IAA nicht in Berlin haben. Aber: Eine andere Stadt kommt kaum in Betracht.

Christian Göke brauchte ein paar Tage, bis er sich wieder beruhigt hatte. Der Chef der Berliner Messegesellschaft litt am vergangenen Wochenende unter Schnappatmung, nachdem die Berliner Grünen die Internationale Autoausstellung IAA als eine in Berlin unerwünschte Veranstaltung diskreditierten. Und dabei die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop gleich mit desavouierten. Göke bemüht sich seit Juli um die renommierte Autoschau, deren Ursprünge im Berlin der 1890er Jahre liegen und die in den 1950er Jahren aufgrund der deutschen Teilung von der Spree nach Frankfurt an den Main umgezogen war.

Michael Müller bemüht sich

Berlin war bislang Favorit für die neue IAA, die erstmals im Herbst 2021 stattfindet – wo auch immer. „Wir können uns nur selbst schlagen“, hatte Göke schon vor Wochen gemeint und dabei das Verhalten der Landespolitiker im Blick. Der Regierende Bürgermeister war schnell gewonnen für das Projekt, und Anfang November empfing Michael Müller (SPD) die Spitze des Verbandes der Autoindustrie (VDA) im Roten Rathaus. Doch dann kam der Parteitagsbeschluss der Grünen, eine Regierungspartei mit Ambitionen. Kann die internationale Leitmesse der Autobranche in einer Stadt funktionieren, die demnächst vielleicht von einer grünen Bürgermeisterin regiert wird, die ihre Termine mit dem Fahrrad bewältigt?

Vorentscheidung am 29. Januar

„Warum denn nicht?“, antwortet relativ abgeklärt ein Vorstandsmitglied des VDA. Am 29. Januar will sich der 19 Köpfe zählende Vorstand, dem die Chefs der wichtigsten Autohersteller und -zulieferer angehören, mit dem IAA-Standort befassen. Die IAA ist ein Riesenprojekt, zu der eine halbe Million Besucher und Tausende Fachjournalisten aus aller Welt anreisen. „Der Anspruch ist, globaler Taktgeber zu sein“, beschreibt Göke den Status einer Leitmesse. „Die neue IAA muss das Mobilitätserlebnis (connected, autonomous, shared, electrified) erstmals wirklich im Bewusstsein der Bevölkerung und der Politik verankern“, schreibt Göke an den VDA. „Einmal im Jahr sollen diese Themen gezeigt und vorausgedacht 3–5 Tage die weltweiten Medien beherrschen.“

Der VDA braucht das Geld der IAA

Am 23. Januar präsentieren die Bewerberstädte den Marketingverantwortlichen der Autokonzerne ihre Ideen. Am 29. stellt dann der VDA-Vorstand eine Shortlist auf mit zwei oder drei Städten für die Endauswahl respektive die Schlussverhandlungen. Dann wird es um Geld gehen, denn die Einnahmen der IAA tragen maßgeblich zur Finanzierung des Autoverbandes bei. Und das soll auch so bleiben. Bei Miete und Standkosten, Transport und Logistik erwarten die Autobosse attraktive Angebote.

Berlin hat viele Vorteile

„Berlin ist ein guter Standort, weil die Bedeutung der Politik für Verkehrsthemen groß ist“, heißt es an der VDA- Spitze. Oder in den Worten Gökes: „Die IAA ist in Berlin zu Hause, wenn die neue IAA nicht nur die Stadt, sondern erstmalig auch die Bundespolitik zum integralen Bestandteil ihrer selbst macht.“

Christian Göke, Chef der Messe Berlin, hat die besten Karten im Spiel um den IAA-Standort.
Christian Göke, Chef der Messe Berlin, hat die besten Karten im Spiel um den IAA-Standort.

© Thilo Rückeis

Neben Berlin bewerben sich auch München, Frankfurt am Main, Köln und Hamburg um die IAA. Doch selbst in Kreisen der Wettbewerber heißt es: „Berlin ist kaum zu schlagen.“ Keine andere Stadt hat ähnliche internationale Strahlkraft. Mit dem neuen Flughafen baut Berlin Defizite bei der Erreichbarkeit ab; es gibt reichlich Hotelzimmer in allen Kategorien, und die Kombination aus Autoshow in den Messehallen und erlebbaren, neuen Mobilitätsformen auf der Straße ist vielversprechend. „Eigentlich hat Berlin schon gewonnen“, heißt es in der Messeszene. Jeder Autohersteller hat inzwischen Digital-Labs in der Stadt, weil hier die Start-up-Szene Zukunft verheißt.

Die Wirtschaftssenatorin hat Zweifel

„Berlin muss wollen“, heißt es beim VDA über die IAA-Chancen der Stadt. Senatschef Michael Müller betont das bei jeder Gelegenheit, um auch die Grünen zu übertönen. Der „Steuerungskreis Industriepolitik“, in dem der Senat mit Kammern, Verbänden und Gewerkschaften industriepolitische Akzente setzt, hat sich für die Autoschau ausgesprochen: „Berlin und die IAA – das passt!“, heißt es in einer Erklärung, hinter der auch die Wirtschaftssenatorin steht. Nach dem Parteitag der Grünen klingt das anders. „Die Zweifel daran, ob der VDA einen radikalen Bruch mit der klassischen IAA vollziehen und wirklich Neues schaffen will, sind groß“, teilt ein Pop-Sprecher mit. Berlins IHK-Chef Jan Eder, der Wirtschaftssenatorin Pop freundschaftlich verbunden, kommentiert die Spagat-Politik der Senatorin so: „Die Grünen scheinen ein Standortproblem zu werden.“

Entscheidend ist das Konzept

In den Verantwortungsbereich der Wirtschaftssenatorin gehört die landeseigene Messegesellschaft, in deren Aufsichtsrat Pop als stellvertretende Vorsitzende eine Schlüsselfunktion hat. Von Amts wegen hätte Pop sich auf dem Grünen-Parteitag für die Interessen der Wirtschaft und der Messe Berlin einsetzen müssen. Sie entschied sich dagegen, um ihre innerparteiliche Position nicht zu schwächen. Das ist nicht hilfreich für das IAA-Projekt – aber auch kein entscheidender Nachteil. „Wir sollten die Grünen nicht überschätzen“, sagt ein VDA-Vorstandsmitglied. „Entscheidend ist das Konzept.“ Dafür ist Messechef Göke zuständig. Am 23. Januar wird er womöglich gemeinsam mit Michael Müller und anderen prominenten Hauptstädtern die Vorstellungen der Berliner in der VDA-Zentrale am Bebelplatz vorstellen. Ein Auftritt der Wirtschaftssenatorin ist nicht vorgesehen.

Von Einstein zu Göke

Wie es sich für einen Verkäufer gehört, arbeitet Göke auch mit Pathos im ganz großen Bezugsrahmen. „Das Narrativ der neuen IAA stellt den sozialen Zweck, den Nutzen für die Gesellschaft, die Nachhaltigkeit ins Zentrum“, schreibt er an den VDA und erinnert an Albert Einsteins Worte anlässlich der Ifa-Eröffnung 1930: „Technologie ermöglicht Kommunikation. Kommunikation ermöglicht Demokratie.“ In die Gegenwart übertragen bedeutet das für Göke: „Mobilität ermöglicht persönliche Beziehungen. Persönliche Beziehungen bewahren Frieden.“

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