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Wirtschaft: Blaumänner allein sind nicht genug

Die IG Metall kämpft gegen Mitgliederschwund – bei neuen Zielgruppen

Gerade hat Herbert Hahn wieder eine Kündigung auf den Tisch bekommen: Einer, der viele Jahre lang in der IG Metall war und vor kurzem arbeitslos geworden ist, tritt aus. Er bedankt sich für die gute Zusammenarbeit und schreibt, dass er sich den Monatsbeitrag von 1,53 Euro einfach nicht mehr leisten könne, es tue ihm leid. Hahn ist Gewerkschaftssekretär der IG Metall für Stadthagen bei Hannover. Er hat viele solche Schreiben bekommen in letzter Zeit: Über sieben Prozent ihrer Mitglieder hat die Gewerkschaft hier im vorigen Jahr verloren. Bis März waren es noch einmal 4,4 Prozent.

Wenn einer von unseren beiden großen Betrieben Schnupfen hat, schlägt sich das auf unsere Mitgliederzahlen nieder“, sagt Hahn. Viele, die gekündigt haben, waren beim Rolltreppenbauer Otis beschäftigt. Otis hatte keinen Schnupfen. Otis ist, um mit Franz Müntefering zu sprechen, von den Heuschrecken gefressen worden: 14 Prozent Rendite seien zu wenig gewesen, sagt Hahn, 17 Prozent habe das Management gewollt. Also wurde ein neues Werk in Tschechien gebaut und das in Stadthagen geschlossen. Damit ist von den beiden großen Betrieben in Stadthagen nur noch einer übrig; ein Autozulieferer. Dann kommt lange nichts, wo die Gewerkschaft neue Mitglieder rekrutieren könnte. Also gilt es, die vorhandenen zu halten. So sei für die gut 300 Otis-Leute „eine Beschäftigungsgesellschaft erstreikt worden, die ihresgleichen sucht“: eine Art maßgeschneiderte Arbeitsagentur, in der die Metaller sich qualifizieren und professionelle Bewerbungen erstellen können.

Anderen will die Gewerkschaft die Augen öffnen: Ruheständlern zum Beispiel, die austreten, weil ihnen nicht klar ist, dass ihre Renten sich an den Löhnen orientieren: Nullrunden in den Betrieben bedeuten stagnierende Renten. Auch „haben wir ein Riesenpotenzial von Beschäftigten noch gar nicht angesprochen“, sagt Hahn. Etwa in kleinen Handwerksbetrieben, in denen die Meister im Sog der Großen schwimmen, wenn es um Arbeitszeiten, Urlaub und Tarife geht. Auch in die Forschungsabteilungen sei die Gewerkschaft kaum vorgedrungen – wohl weil man sich aus Gewohnheit auf die Blaumänner an der Werkbank konzentrierte. Doch von denen gibt es nicht mehr viele.

In Völklingen in Saarland funktioniert die IG Metall auch nicht viel anders als in Stadthagen. Aber sie ist erfolgreicher. Die Mitgliederzahl ist stabil, obwohl auch hier gerade ein Unternehmen mit 330 Gewerkschaftern geschlossen wurde. „Wir haben günstigere Voraussetzungen als viele andere IG Metall-Verwaltungsstellen“, sagt der Erste Bevollmächtigte, Robert Hiry. Die kleinen, schwer erreichbaren Handwerksbetriebe stellten nur 350 von 26 500 Mitgliedern im Revier. Dafür hat die Gewerkschaft sich erfolgreich bei Mittelständlern in Holz-, Kunststoff- und Textilindustrie etabliert. Auch die Zulieferer, die sich um das Ford-Werk in Saarlouis angesiedelt haben, konnten in den Schoß der Gewerkschaft geholt werden. Und von den über 200 Azubis im Revier, die pro Jahr eingestellt würden, „kriegen wir etwa 95 Prozent organisiert“, sagt Hiry. Jeder Zehnte in der Verwaltungsstelle sei jünger als 27 Jahre.

Um populär zu bleiben, macht die Gewerkschaft auch Politik: Als Pläne der Saarbrücker Regierung zur Schließung von 90 Grundschulen bekannt wurden, organisierten die Metaller Demos und Infostände. So erreichten sie die Eltern betroffener Schüler, die nie geahnt hätten, wozu eine Metallgewerkschaft gut sein könnte.

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